Historischer Plan der Schlacht von Aspern mit Fundpunkten von Gräbern.

Foto: M. Mosser/Stadtarchäologie Wien

Erst im Oktober 2016 wurde eine weitere Bestattung von zwei Soldaten bei Bauarbeiten gefunden.

Foto: M. Penz/Stadtarchäologie Wien

Studentische Mitarbeiter der Stadtarchäologie Wien bei der Ausgrabung.

Foto: M. Penz/Stadtarchäologie Wien

Massengrab mit 22 Männern.

Foto: S. Sakl-Oberthaler/Stadtarchäologie Wien

Bei diesem Soldaten steckte die Kugel noch im Rücken als er bäuchlings in einem Massengrab bestattet wurde.

Foto: M. Penz/Stadtarchäologie Wien

Kopfschuss mit Ein- und Austrittswunde.

Foto: M. Binder/ÖAI

Schlecht verheilte Marsch-Fraktur am dritten Mittelfußknochen des rechten Fußes (siehe Pfeil). Die schwammartigen Knochenneubildungen deuten auf eine Entzündung des Bruches hin.

Foto: N. Gail/ÖAI

Ein schöner Aspekt der Arbeit an menschlichen Skelettresten ist die große chronologische und geografische Bandbreite der Projekte. Im Gegensatz zu vielen Kollegen in der Archäologie müssen wir uns weder auf eine bestimmte Region noch auf eine Zeitperiode spezialisieren. Die Knochen unserer Art sind zumindest in den anatomischen Grundlagen völlig gleich, unabhängig davon, aus welcher geografischen Region und welchem Zeitpunkt in der Geschichte des Homo sapiens. Daher fällt die Umstellung von der Bronzezeit in Arabien ins 19. Jahrhundert in Europa nicht schwer – jedenfalls methodisch, der körperliche Zustand der Bearbeiterin sei dahingestellt.

Ein Projekt, das mich seit 2009 begleitet, sind Skelette von Soldaten, die bei der Schlacht von Aspern im Nordosten Wiens im Jahre 1809 gefallen waren. Ein bedeutendes historisches Ereignis, erfuhr Napoleon im Mai 1809 doch seine erste große Niederlage in einer Landschlacht gegen die Habsburger-Armee unter der Führung von Erzherzog Karl.

Überreste der Schlacht

90.000 Mann auf österreichischer Seite standen lediglich 77.000 französische Soldaten gegenüber. Schätzungen zufolge haben während der zweitägigen Schlacht zwischen 6.000 und 30.000 Franzosen und 4.000 bis 24.000 Österreicher den Tod gefunden. Unumstritten ist jedoch, dass die Zahl der Toten und Verwundeten bei weitem jegliche Versorgungskapazität überschritten.

Obwohl auch die lokale Bevölkerung zu Abtransport und Bestattung rekrutiert wurde, blieben viele Leichen noch bis Wochen nach der Schlacht auf dem Schlachtfeld liegen und wurden nur notdürftig dort, wo sie gefallen waren, in einfachen Gruben verscharrt. Der grausige Anblick der Leichen hielt viele Wiener jedoch nicht davon ab, mit ihren Pferdekutschen aufs Schlachtfeld hinauszufahren, um die Überreste der Schlacht zu besichtigen.

Ins Stadtgebiet eingegliederte Fläche

Bereits wenige Jahrzehnte nach der Schlacht begann die weite, offene Fläche des Schlachtfelds von Aspern nach und nach dem Expansionsdruck der Stadt Wien zu weichen, in deren Stadtgebiet das Dorf 1904 eingegliedert wurde. Zu den größten Bauprojekten zählte der erste Flughafen Wiens, der von 1912 bis 1977 in Betrieb war, die in den 1980er-Jahren errichteten General-Motors-Werke und mit der 2009 begonnenen Seestadt Aspern eines der größten städtischen Wohnprojekte Europas. Dadurch wurden bereits ab Mitte des 20. Jahrhunderts neben zahlreichen ur- und frühgeschichtlichen Fundstellen, etwa eine Siedlung und ein Gräberfeld aus der Bronzezeit (ca. 1200 v. Chr.), auch immer wieder Massengräber der Schlacht von Aspern entdeckt. Die Skelette aus diesen Grabungen wurden jedoch nie systematisch untersucht.

Seit Beginn der Bauarbeiten an der Seestadt und der damit verbundenen Verlängerung der U2 werden die Baumaßnahmen von der Stadtarchäologie Wien begleitet. Diese heute dem Wien-Museum angeschlossene Einrichtung unter der Leitung von Karin Fischer-Ausserer kümmert sich seit fast 100 Jahren um die archäologische Erforschung und Durchführung von Rettungsgrabungen im Zuge von Baumaßnahmen auf dem Wiener Stadtgebiet. Werden dabei menschliche Skelette gefunden, werden diese seit 2005 zumeist mir zur wissenschaftlichen Bearbeitung übergeben, da die Stadtarchäologie Wien selbst keinen Anthropologen beschäftigt – ein modus operandi, wie er allgemein in der Archäologie hierzulande üblich ist.

Kaum Gegenstände in den Gräbern

Daher beschäftige ich mich seit 2011 auch mit der Untersuchung der mittlerweile 35 Skelette, die nach und nach aus verschiedenen Gräbern am Asperner Schlachtfeld geborgen werden konnten. Die archäologischen Zeugnisse bestätigen historische Beschreibungen, wonach viele Gefallene an Ort und Stelle begraben wurden. Dass das oft hastig und relativ sorglos ausfiel, zeigen zwei Massengräber, in die zehn beziehungsweise 22 Männer übereinander, oft auch bäuchlings gelegt wurden. In anderen Gruben waren lediglich ein oder zwei Tote, doch auch hier fällt es schwer, von einem regelhaften Begräbnis zu sprechen. Außerdem zeigt sich, dass die überwiegende Mehrheit der Toten ihrer Uniformen und Ausrüstungen entledigt wurden, denn es fanden sich kaum Gegenstände in den Gräbern. Bei lediglich zwei Männern waren Uniformknöpfe vorhanden. Die darauf geprägten Regimentsnummern lassen eine Identifizierung als Angehörige der französischen Armee zu.

Die einzig wirklich häufige Kategorie an Funden in den Gräbern sind zahlreiche Kugeln aus Blei oder Eisen. Mitbegraben an den Körperstellen, an denen sie in eindrangen, zeugen die Geschoße vom oft grausamen Tod, den die größtenteils sehr jungen Männer in der Schlacht erlitten. Mehr jedoch als die – ohnehin augenscheinliche – Todesursache war es Ziel des Forschungsprojekts, die Lebensbedingungen der Soldaten während der Feldzüge näher zu beleuchten.

Knochen speichern Informationen

Wie schon öfters im Archäologieblog erwähnt, speichern unsere Knochen zahlreiche Informationen über Ernährungszustand, Krankheiten und Verletzungen zu Lebzeiten. So wurden auch die Skelette der Asperner Soldaten gemeinsam mit meiner Mitarbeiterin Leslie Quade vom ÖAI beziehungsweise mittlerweile an der Durham University in Großbritannien systematisch auf Hinweise entsprechender Veränderungen untersucht.

Wenn sich krankhafte Veränderungen auf das Skelett auswirken – dazu muss der Prozess mehrere Wochen bestehen –, kommt es in der großen Mehrheit der beobachteten Fälle zu verschiedenen Formen von Knochenneubildungen, seltener auch Knochenabbau. Die Beschaffenheit dieses Knochens lässt Rückschlüsse darauf zu, ob die Krankheit zum Zeitpunkt des Todes aktiv oder verheilt war.

Chronische Entzündungen, Abszesse

So konnten beispielsweise an einem Viertel der Skelette deutliche Anzeichen von akuten chronischen Entzündungen im Bereich der Lunge, eventuell auch Tuberkulose, festgestellt werden. Auch um die Zahngesundheit der Männer war es trotz des geringen Sterbealters ausgesprochen schlecht bestellt. Kaum ein Gebiss wies keine Abszesse, hochgradig von Karies zerfressene oder bereits ausgefallene Zähne auf.

Auch die starken körperlichen Anstrengungen der Feldzüge spiegeln sich an den Skeletten wider. Neben deutlichen, sehr früh auftretenden Abnutzungen der Gelenke litten vier Männer an sogenannten Marsch-Frakturen. Das sind Brüche der Mittelfußknochen, die durch eine Überbelastung entstehen. In allen Fällen waren diese nicht vollständig verheilt, da an Ruhigstellung – wie man das heute als Therapie durchführt – natürlich nicht zu denken war. Beim Gehen bereiteten diese den Soldaten mit hoher Wahrscheinlichkeit große Schmerzen.

Kleine Stichprobe

Obwohl es sich bei den uns zur Verfügung stehenden Skeletten natürlich nur um eine sehr kleine Stichprobe handelt und die ungewisse Zugehörigkeit der Männer zu einer der beiden gegnerischen Armeen die Interpretation der Ergebnisse etwas einschränkt, erlauben sie doch einen kleinen Einblick in die Lebensbedingungen einfacher Soldaten. Die Knochen sprechen von Krankheiten, Anstrengungen und Schmerzen und zeigen, dass die Männer weit entfernt von der Höhe ihrer körperlichen Einsatzfähigkeit waren, als sie in die Schlacht zogen – eine Tatsache, die mit Sicherheit nicht nur auf die Zeit der Napoleonischen Kriege zutrifft.

Die Skelette selbst sollen nach Abschluss der Untersuchungen wieder bestattet werden. Darüber hinaus läuft derzeit die Arbeit an einem Buch in der Reihe "Wien archäologisch", herausgegeben von der Stadtarchäologie Wien, über die Ergebnisse der historischen, bioarchäologischen und archäologischen Arbeiten, das Anfang 2017 erscheinen wird. Auch wenn das Schlachtfeld nach und nach dem Bedarf der wachsenden Stadt weichen muss, soll das Buch dazu beitragen, dass dieses bedeutende Ereignis im Werden des modernen Europa sowie die damit verbundenen Schicksale und Geschichten nicht völlig in Vergessenheit geraten. (Michaela Binder, 24.11.2016)