Brief von Aslı Erdoğan aus dem Istanbuler Bakirköy-Gefängnis: "Bitte vergesst mich nicht. Und meine Bücher – sie sind meine Kinder."

Foto: Gürcan Öztürk

"Europa (…) scheint die Gefahren des totalen Verlusts der Demokratie in der Türkei zu unterschätzen. Jetzt zahlen wir – die Schriftsteller, Journalisten, Kurden, Aleviten und natürlich die Frauen – den hohen Preis für die Demokratiekrise", schreibt Aslı Erdoğan in einem Brief aus dem Istanbuler Bakirköy-Gefängnis, den die Deutsche Welle Anfang November veröffentlicht hat.

Die türkische Schriftstellerin und Journalistin befindet sich seit über drei Monaten in Haft, vorgeworfen wird ihr unter anderem die "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation". Gemeinsam mit anderen MitarbeiterInnen der mittlerweile geschlossenen prokurdischen Zeitung "Özgür Gündem" war Erdoğan im Sommer ins Visier der "Säuberungswelle" des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan geraten – nun droht ihr lebenslange Haft.

Doch Aslı Erdoğan ist nicht gewillt, als kritische feministische Stimme zu verstummen. "Ich bin im Gefängnis, weil ich über die Abscheulichkeiten geschrieben habe, welche die Türkei begangen hat – es ist meine Aufgabe, über Abscheulichkeiten zu schreiben", teilte sie dem SRF in einem Brief kurz nach ihrer Verhaftung mit. Seit vielen Jahren prangert sie staatliche Repressionen gegen KurdInnen an, setzt sich für Frauenrechte und die Freilassung politischer Gefangener ein.

Internationale Solidarität

Mittlerweile gibt es zahlreiche Solidaritätserklärungen: Eine Onlinepetition wurde bisher von rund 43.000 Personen unterzeichnet, PolitikerInnen, KünstlerInnen und AktivistInnen fordern die Freilassung der Autorin. In Wien initiierte das Autonome Frauenzentrum FZ die Aktion "Ich lese Aslı Erdoğan" und veröffentlichte Videos kurzer Lesungen von solidarischen Frauen – darunter auch die grünen Nationalratsabgeordneten Alev Korun und Berîvan Aslan. Aslı Erdoğan hat auch Verbindungen nach Österreich: Von August 2012 bis zum Sommer 2013 fand sie als "writer in exile" Zuflucht im Internationalen Haus der Autorinnen und Autoren Graz.

Die 1967 geborene Erdoğan begann früh, Gedichte und Kurzgeschichten zu veröffentlichen, widmete sich jedoch erst nach einer abgebrochenen Karriere als Physikerin ganz dem Schreiben. "Ich war erst vierundzwanzig, ich war die einzige Frau, die einzige Türkin in einem Team von französischsprachigen Männern. Frauen waren am Cern generell in der Minderzahl und entsprechend exponiert, und das Konkurrenzdenken, die Aggressivität waren unerträglich", erzählte sie der "NZZ" über ihre Zeit als Wissenschafterin am renommierten europäischen Kernforschungszentrum in Genf.

Für ihren Roman "Tas Bin" erhielt Erdoğan 2010 den "Sait-Faik-Literaturpreis", den wichtigsten Literaturpreis der Türkei. An ihre Literatur erinnert auch die Autorin selbst in ihrem Brief an das SRF: "Bitte vergesst mich nicht. Und meine Bücher – sie sind meine Kinder." (Brigitte Theißl, 30.11.2016)