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Der nordirische Physiker John Stewart Bell (1928–1990) mit dem griechischen Buchstaben Psi, mit dem Physiker Quantenzustände beschreiben – aufgenommen 1987.

Foto: Picturedesk / Science Photo Library / Peter Menzel

Wien – Die befreundeten Physiker Albert Einstein und Niels Bohr waren sich ihr Leben lang inhaltlich uneins. Vordergründig ging es dabei um die Frage, ob die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommende Quantentheorie eine vollständige Theorie sei oder nicht. Bohr verteidigte die Vollständigkeit der Theorie, Einstein argumentierte dagegen. Im Hintergrund prallten bei dieser Diskussion zwei Weltanschauungen aufeinander. Denn die Quantentheorie gibt nur Wahrscheinlichkeiten für Ereignisse an – letztlich entscheidet aber der Zufall, wie sich zum Beispiel ein Elektron im Experiment verhält.

Die Existenz des Zufalls in einer physikalischen Theorie wollte Einstein nicht hinnehmen. In einem Brief aus dem Jahr 1924 polemisierte er: "Die Idee, dass ein Elektron, das von einem Lichtstrahl ausgestoßen wird, sich den Augenblick und die Richtung seines Fluges nach eigenem freien Willen wählen kann, ist für mich nicht zu ertragen." Und fügte hinzu: "Wenn es dahin kommt, dann wäre ich lieber ein Schuster oder gar Angestellter in einem Spielkasino als ein Physiker."

Der Zufall regiert

Die Kontroverse von Einstein und Bohr erreichte Mitte der 1930er-Jahre ihren Höhepunkt – doch dann wurde es still um die Debatte, die vom Großteil der Physiker als nutzlose philosophische Spekulation abgetan wurde.

Erst nachdem Einstein und Bohr bereits tot waren, schlug der nordirische Physiker John Bell Mitte der 1960er-Jahre einen Versuchsaufbau vor, um die philosophische Debatte experimentell zu entscheiden. Dieser beruht auf verschränkten Teilchen, deren Zustand nur gemeinsam beschrieben werden kann. Daraus folgt, dass eine Messung eines Teilchens auch den verschränkten Partner augenblicklich beeinflusst – selbst wenn die Teilchen weite Distanzen voneinander entfernt sind. Einstein kritisierte dieses Konzept als "spukhafte Fernwirkung".

Das als Bell-Test bekannte Experiment ging zugunsten Bohrs aus. Die spukhafte Fernwirkung existiert also doch. Und der Zufall bleibt ein fundamentales Element der Theorie.

In vielen verschiedenen Varianten ist der Bell-Test in den vergangenen Jahrzehnten von Physikern weltweit durchgeführt worden – aber die Diskussionen sind damit nicht beendet. Denn in den Experimenten wurden immer wieder Schlupflöcher gefunden.

Freier Wille als Datenquelle

Eines dieser Schlupflöcher betrifft die Daten, mit denen das Experiment gespeist wird – gewöhnlich maschinell generierte Zufallsreihen aus Nullen und Einsen. Hier setzt das großangelegte Experiment "Big Bell Test" an, das am 30. November in elf Städten weltweit stattfindet. Jeder kann sich daran beteiligen, indem er Zahlenreihen von Nullen und Einsen in das Experiment einspeist. Am Institute of Photonic Sciences in Barcelona, von dem auch der Vorschlag zum Big Bell Test stammt, wurde dazu eigens ein Computerspiel programmiert. Diese Bits werden auf verschiedene Quantenexperimente weltweit verteilt, die Bell-Tests mithilfe von verschränkten Elektronen, Lichtteilen oder Atomen durchführen. In Wien wird man verschränkte Paare von Lichtteilen erzeugen.

Die Physiker hoffen weltweit auf 30.000 Teilnehmer. Dabei gilt: je mehr Teilnehmer, desto genauer das Ergebnis. "Der freie Wille des Menschen dient dabei als Zufallsgenerator", sagt Thomas Scheidl. Der Quantenphysiker am Wiener Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Akademie der Wissenschaften leitet den österreichischen Beitrag des Experiments. Doch auch in dieser Anordnung bleiben Schlupflöcher, räumt Scheidl ein. Denn vielleicht besitzen Menschen gar keinen freien Willen, sondern sind vollkommen determinierte Wesen, könnte man einwenden.

Selbst wenn mit dem Big Bell Test wohl noch nicht das letzte Wort über die spukhafte Fernwirkung gesprochen sein wird, bietet er so vielen Menschen wie noch nie die Möglichkeit, sich an einem Quantenexperiment zu beteiligen. (Tanja Traxler, 30.11.2016)