Lehrlinge definieren sich über ihre Freizeitaktivitäten, zeigt eine Studie des Insituts für Jugendkulturforschung.

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Was Lehrlinge fürchten, was sie sich wünschen, was sie antreibt und für ihren Beruf begeistern kann: Darüber schreiben die Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier, Philipp Ikrath und Anna Speckmayr in einem neuen Leitfaden für Lehrlingsausbildner. Ihre Ausführungen – denen eine Befragung 500 österreichischer Lehrlinge zugrunde liegt – zeigen, worauf diese Gruppe Wert legt:

· Stabilität

Sehr wichtig für Lehrlinge sei Sicherheit. Ihr Ideal: eine stabile Biografie, die die Zukunft planbar und die Familiengründung möglich macht. Auch im Job wünschten sich diese Jugendlichen klare Strukturen und Ansagen, schreiben die Forscher. "Sie wollen weder sich selbst noch ihren Arbeitsplatz noch das, was sie durch ihre Arbeit hervorbringen' täglich 'neu erfinden'." Routinen würden sie der Selbstverwirklichung vorziehen. "Der Lehrling ist kein Spieler und kein Warrior. Er ist ein ganz normaler Mensch, der seine Durchschnittlichkeit zwar nicht anbetet, aber auch kein Problem damit hat." Was die vielzitierte Generation Y als Befreiung sieht, empfänden diese Jugendlichen als destabilisierend und entwurzelnd.

· Versorgtsein

Lehrlinge seien zumeist nicht intrinsisch-idealistisch, sondern extrinsisch-materiell motiviert. Als Grund nennen Heinzlmaier und seine Kollegen die Angst, den Arbeitsplatz und Lebensstandard zu verlieren. "Es geht bei den Lehrlingen heute wieder um die materiellen Basics, die am Fuße der Maslow'schen Bedürfnispyramide angesiedelt sind" : versorgt zu sein und Familie und Freunde um sich zu haben. Die Beziehung zum Arbeitgeber sei weniger emotional als durch Nützlichkeitserwägungen bestimmt.

· Spannende Freizeit

Im Gegensatz zu Schülern oder Studierenden, die ihre Persönlichkeit oftmals über ihre Bildungs- und Berufsleistungen definierten, täten dies Lehrlinge über ihre Hobbys. "Der Lehrling ist in erster Linie Bodybuilder, Metal-Head, Autoschrauber, Fashionblogger oder Fan einer bestimmten TV-Serie", schreiben die Forscher. 92 Prozent gaben in der Befragung an, dass es ihnen besonders wichtig ist, neben ihrem Beruf über ausreichend Freizeit zu verfügen. Da Lehrlinge primär zur Arbeit gingen, um sich interessante Freizeitaktivitäten leisten zu können und so zu Anerkennung zu kommen, nehme auch die Identifikation mit den Betrieben ab. "Bindung wird in erster Linie durch materielle und symbolische Vorteile herstellbar sein."

· Vereinbarkeit

Das Thema scheint längst auch im Lehrlingssegment angekommen zu sein. 87 Prozent der für die Studie befragten Lehrlinge wollen sich nicht zwischen Arbeit und Familie entscheiden, sondern beides miteinander verbinden. Vor allem weibliche Lehrlinge hätten sich laut Institut für Jugendkulturforschung bereits von traditionellen Rollenbildern verabschiedet und forderten genauso wie studierte Frauen Geschlechtergerechtigkeit. 74 Prozent der weiblichen Lehrlinge wollen sich die Karenzzeit teilen. Bei den männlichen sind es immerhin 62 Prozent.

· Abenteuer bis Respekt

Über diese Grundgemeinsamkeiten hinaus unterscheiden sich Lehrlinge wesentlich nach Branche, schreiben die Forscher. Handelslehrlingen gehe es beispielsweise besonders darum, Beruf und Privatleben in Einklang bringen zu können. Lehrlinge in der Tourismusbranche würden vor allem das Abenteuer suchen – Ausbildner müssten ihnen Abwechslung und Herausforderungen bieten. In der Industrie seien typischerweise Lehrlinge zu finden, die übersichtliche Strukturen schätzen, jene im Gewerbe und Handwerk wollen respektiert und wertgeschätzt werden. Jugendliche, die in der überbetrieblichen Lehrausbildung gelandet sind, fühlten sich oft minderwertig – und suchen nach einem Arbeitgeber mit hohem Statuswert.

· Gute Arbeitsbedingungen

Die befragten Lehrlinge meinen, dass die Arbeitsbedingungen in technischen Berufen und in Büro und Verwaltung am besten seien. Jene im Baugewerbe und Handwerk, in der Friseur- und Kosmetikindustrie und im Handel werden als problematisch gesehen. Der Traumarbeitgeber der Lehrlinge ist Red Bull. Fast zwei Drittel von ihnen fänden es attraktiv, dort ihre Ausbildung zu absolvieren. Es folgen ÖBB, Siemens und die Voestalpine. Bei McDonald's würde nur ein Viertel der Befragten arbeiten wollen.

· Harmonische Arbeitsatmosphäre

Die wichtigsten Erwartungen der Lehrlinge an den Lehrberuf sind laut der Studie eine angenehme und harmonische Atmosphäre am Arbeitsplatz. Dazu die Autoren: "Streit, Druck, schlechte Stimmung und Intrigen sind ein Horror für die jungen Menschen." Stattdessen wünschten sie sich ein offenes Gesprächsklima, Verständnis bei privaten Problemen und die Unterstützung der Kollegen. Der Wunsch nach "netten Kollegen" findet sich daher ganz oben auf der Liste der Erwartungen an einen Lehrberuf. Es folgen "flexible Arbeitszeiten", "ein Lehrherr, der mir was beibringen kann", "eine hohe Lehrlingsentschädigung" und "die Möglichkeit, nach einer Lehre übernommen zu werden". (Lisa Breit, 3.12.2016)