Bild nicht mehr verfügbar.

Donald Trump und andere Populisten stellen Beobachter vor die schwierige Aufgabe, zu entscheiden, was sie kritisieren – den Populismus selbst oder die extremen Standpunkte.

Foto: reuters/allegri

Wenige Begriffe haben in der politischen Debatte Konjunktur wie Populismus. Von Pegida über Putin bis Podemos – politische Phänomene aller Schattierungen bekommen das P-Wort umgehängt. Grund genug für eine Begriffsklärung.

Beginnen wir der Einfachheit halber damit, was Populismus nicht ist.

Populismus ist nicht, was (vermeintlich) populär, gleichzeitig aber (im Auge des Betrachters) unvernünftig ist. Den von der Regierung kürzlich beschlossenen Extrahunderter für Pensionisten etwa mag man als kurzsichtig, unverantwortlich oder einfach ungerecht kritisieren – populistisch ist die Maßnahme aber nicht.

Populismus ist auch nicht gleich Fremdenfeindlichkeit, auch wenn er dieser Tage oft in Kombination mit nativistischer Ideologie auftritt. Genauso wenig beschreibt Populismus per se ideologische Extreme, auch wenn es empirisch eine Korrelation damit gibt (mehr dazu unten).

In den Sozialwissenschaften hat sich in den vergangenen Jahren die Perspektive etabliert, dass Populismus ein Politikverständnis ist, in dem eine korrupte Elite und das "wahre Volk" einander verfeindet gegenüberstehen. Populistische Politiker verstehen sich als die einzig glaubwürdigen Vertreter des Volkes, das als homogene Einheit mit einheitlichen Interessen verstanden wird.

Populismus allein ist aber noch kein politisches Programm – er ist jedoch mit verschiedenen Trägerideologien kompatibel. Je nachdem variiert auch die Charakterisierung der "korrupten Elite" und des "wahren Volkes".

Von linker Seite wird populistische Rhetorik in der Regel benutzt, um gegen ökonomische Ungleichheiten zu argumentieren: da oben die Banken, Großkonzerne, Finanzjongleure und Steuerhinterzieher; da unten die einfachen arbeitenden Menschen.

Auf der rechten Seite bekommt Populismus eine stärker kulturelle Prägung. Dem ethnisch homogenen Volk steht eine feindliche kosmopolitische Elite gegenüber, die die Unterwanderung der natürlich gewachsenen Volksgemeinschaft und des Nationalstaats betreibt.

Die niederländischen Politologen Matthijs Rooduijn und Tjitske Akkerman zeigen in einer 2015 veröffentlichten Studie den Zusammenhang zwischen Ideologie und Populismus. Ihre Analyse umfasst 85 Wahlprogrammen von 31 Parteien in sechs westeuropäischen Ländern zwischen 1989 und 2008 (Österreich ist leider nicht darunter). Für jedes dieser Wahlprogramme wurde der Anteil der Absätze ermittelt, die sowohl Anti-Eliten-Rhetorik als auch positive Bezugnahmen auf "das Volk" (oder äquivalente Begriffe) enthielten. Dieser Anteil bildet den Populismus-Index.

Die Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen der Links-rechts-Position einer Partei (gemessen mit Daten des Chapel Hill Expert Survey) und dem Populismus-Index. Jeder Punkt stellt ein Wahlprogramm dar. Das empirische Muster ist sehr deutlich: Populismus tritt verstärkt an den Rändern des ideologischen Spektrums auf, wobei die Intensität rechts außen noch etwas höher ist als links außen.

Dieser starke empirische Zusammenhang ist aber auch der Grund, warum in der politischen Debatte oft unscharf argumentiert wird. Wenn in den Medien oder im politischen Mainstream vor Populisten gewarnt wird, geht es im Kern oft nicht um deren Populismus, sondern um deren ideologisch extreme Standpunkte. In solchen Fällen vernebelt der Populismusbegriff mehr, als er erhellt.

Wer also die wirtschaftspolitischen Ansichten von Alexis Tsipras oder die Zuwanderungspolitik Viktor Orbáns nicht gutheißt, tut besser daran, diese Kritik inhaltlich zu argumentieren, anstatt sich hinter dem Populismusvorwurf zu verschanzen. Der öffentlichen politischen Debatte wäre damit wohlgetan. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 13.12.2016)