Bärtierchen sind wahre Überlebenskünstler – die Mechanismen dahinter könnten eines Tages auch dem Menschen nützlich werden.

Foto: Universität Stuttgart

Stuttgart – Tardigraden, besser bekannt als Bärtierchen, zählen zu den erstaunlichsten Lebewesen unseres Planeten. Nicht, weil sie aussehen wie winzige Bären, sondern aufgrund ihrer schier unglaublichen Fähigkeit, selbst den unwirtlichsten Lebensbedingungen zu trotzen.

Bärtierchen überleben tiefste Temperaturen ebenso unbeeindruckt wie enorme Hitze und Trockenheit. Ob in der dunklen Tiefsee oder in den Höhen des Himalaya, in vereisten arktischen Tümpeln oder in tropischen Regenpfützen – die achtbeinigen Lebewesen, die zu den sogenannten Häutungstieren zählen, kommen nahezu überall vor. Selbst die Strahlung im Vakuum des Weltalls scheint den Bärtierchen nichts anzuhaben, wie Experimente zeigten.

Wie genau sie mit den lebensfeindlichen Bedingungen des Weltalls klar kommen, untersucht aktuell ein internationales Forscherteam der Universitäten Stuttgart, Kristianstad und Stockholm sowie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Rahmen des Weltraumprojekt Tardis (Tardigrades in Space Project). Erste Ergebnisse zeigen: Die Reparaturmechanismen in den Zellen der Tierchen arbeiten so effektiv, dass sich auch die Nachkommen von "Weltraumbären" normal entwickeln.

Warten auf bessere Zeiten

Tardigraden überdauern unwirtliche Bedingungen meist in einem Ruhestadium, in dem sie den Stoffwechsel einstellen und keine Zeichen des Lebens mehr nachweisbar sind. Sobald die Umweltbedingungen besser werden, kehren die Tiere binnen einer halben Stunde zum aktiven Leben zurück. Um die Mechanismen dahinter zu untersuchen, schossen Forscher um Ralph Schill (Uni Stuttgart) im September 2007 Bärtierchen von Baikonur (Kasachstan) aus mit einer Rakete für zehn Tage in den Weltraum.

In 270 Kilometern Höhe wurden die Tierchen direkt dem Vakuum und je nach Experiment verschieden starker Strahlung ausgesetzt. Das Vakuum steckten die Tardigraden damals ohne bedeutsame Verluste weg. Die lebensfeindliche Gesamtstrahlung im Weltraum, die sich aus dem kompletten UV-Spektrum, ionisierender Strahlung und kosmischer Strahlung zusammensetzt, überlebten immerhin zwei Prozent. Und wenn die Bärtierchen im Vakuum nur der UV-A und UV-B Strahlung ausgesetzt waren, überlebte weit über die Hälfte aller Tierchen unbeschadet.

Keine Veränderungen

Zurück auf der Erde und mit Wasser versorgt, gingen die meisten sofort der Nahrungsaufnahme nach und legten Eier. Um diese Nachkommen geht es nun in einer aktuellen Studie im "Zoological Journal of the Linnean Society". Wie die Forscher berichten, konnten auch mehrere Generationen später weder offensichtliche Schädigungen noch verändertes Verhalten oder zeitliche Veränderungen in der Entwicklung festgestellt werden. Die Bärtierchen scheinen in der Lage zu sein, der sogenannten "make or break"-Regel zu folgen.

Diese besagt, dass die zellulären Schäden durch den Weltraumausflug entweder auf effiziente Weise repariert wurden und sich dann alle Nachkommen normal entwickeln können. Oder die Schäden sind tödlich, so dass erst gar keine Fortpflanzung mehr stattfinden kann. Schädigende Mutationen werden nicht weitervererbt. Die Wissenschafter wollen diese Reparaturmechanismen nun weiter erforschen um sie eines Tages, so die Hoffnung, auf biomedizinische Fragestellungen übertragen zu können.

"Von den im Lauf der Jahrmillionen optimal an ihren Lebensraum angepassten Bärtierchen und ihren Fähigkeiten können wir viel über die Natur des Lebens lernen", sagt Ralph Schill. "Wir erwarten auch in Zukunft spannende Erkenntnisse darüber, wie die Tiere ihre Zellen und Zellbestandteile schützen und auch reparieren." (red, 25. 12. 2016)