"50 bis 60 Prozent des Abfalls in Indonesien könnten kompostiert werden", sagt Budi Isro'l, der einen Recyclingbetrieb leitet.

Foto: Urs Wälterlin

Maja hasst Wegwerfwindeln. Zwischen Bergen von Plastikbeuteln, Blechdosen, Ananasschalen und Hühnerknochen sortiert sie von Hand, was für andere wertlos ist. Tonnen von Abfall. Nur von gebrauchten Windeln wird ihr übel. Alle paar Stunden lädt ein Laster eine Ladung im Hof der "Materialwiederverwertungsstelle" der Gemeinde Bayen-Kalasan in der indonesischen Stadt Yogyakarta ab. Die Plastiktüten werden mit Haken zerrissen, Frauen durchwühlen den Inhalt. Sie haben den Eifer von Schatzsucherinnen.

Trotz der Ansammlung von Müll und der tropischen Hitze riecht es kaum in der Halle. "Wir sind sehr sauber", sagt Direktor Budi Isro'l stolz. Sein Projekt wurde von der deutschen Hilfsorganisation Borda ins Leben gerufen. Jede Angestellte verdient etwa 120 Euro pro Monat. Budi und seine fünf Mitarbeiterinnen haben dadurch nicht nur ein Einkommen gefunden. Die Müllsortierer stehen an der Front einer Bewegung, die für die Wegwerfgesellschaft Indonesiens revolutionär ist: Abfallverwertung als Geschäft. Ob Plastik oder Blech: Alle Stoffe werden an Verarbeiter verkauft, organischer Abfall wird in Kompost umgewandelt. Doch nur 1,9 Prozent des Mülls in Indonesien werden wiederverwertet. Der Rest landet auf der Deponie oder im Wasser.

Größtes Problem: Plastik

30 Meter hinter dem Müllzentrum, auf der Brücke über einem Bach, kommt Brechreiz auf. Wasser ist vor lauter Plastiktüten kaum zu sehen. Sie sind gefüllt mit stinkenden Haushaltsabfällen. "50 bis 60 Prozent des Abfalls in Indonesien sind organisch", sagt Budi Isro'l: "Er könnte also kompostiert werden." Doch das größte Problem sei Plastik. Es dauert Hunderte von Jahren, bis ein Sackerl abgebaut ist. "Den Leuten ist das egal. Die fahren auf die Brücke und werfen ihre Abfallsäcke in den Bach" , sagt der Manager.

Indonesien ist symptomatisch für ein Problem, mit dem fast alle wirtschaftlich aufstrebenden Länder zu kämpfen haben: Parallel zu Wohlstand und Konsum wachsen die Abfallberge. Im vergangenen Jahr produzierte jeder der 250 Millionen Einwohner Indonesiens pro Tag 700 Gramm Müll. Das seien pro Tag 175.000 Tonnen, und pro Jahr bis zu 64 Millionen Tonnen, rechnet das zuständige Ministerium vor.

Eine schleichende Katastrophe: Allein in der Hauptstadt Jakarta werden pro Tag bis zu 10.000 Tonnen Müll auf eine der größten Abfallhalden der Welt geworfen. Bantar Gebang ist eine Ansammlung von Müll, auf dem bitterarme Menschen nach Verwertbarem suchen. Kinder waten knietief in einer toxischen Suppe aus Haushaltsgiften, Kot und verrottenden Lebensmitteln. Weitere Tonnen landen jeden Tag im Ciliwung-Fluss. Indonesien gilt nach China als größter Verursacher des Plastikmülls, der in den Meeren treibt.

Ausnahmezustand

Umweltorganisationen und Wissenschafter warnen immer lauter vor einem "Abfallarmageddon", das Entwicklungsländern drohe. Giftstoffe im Abfall, Emissionen und Verletzungen kosten jährlich Tausenden von Menschen die Gesundheit oder das Leben. Die Ausgaben für Gesundheitsversorgung eskalieren. Auch die Wirtschaft zahlt einen immer höheren Zoll: Die Verseuchung des Wassers und des Bodens durch giftiges Sickerwasser aus Mülldeponien reduziert die landwirtschaftliche Leistung. Nutzflächen werden unbrauchbar, Ernten ungenießbar. Plastik, der im Meer von Fischen und anderen Tieren gefressen wird, gelangt in die Nahrungskette, die Fischer können kontaminierte Produkte nicht mehr verkaufen.

"Müll ist überall", klagte der Direktor des indonesischen Umweltamts, R Sudirman, während einer Konferenz. Er forderte seine Regierung auf, einen "nationalen Ausnahmezustand" wegen der Abfallsituation auszurufen.

Verantwortliche sehen sich aber vor einem fundamentalen Problem. Wie in anderen Ländern blockieren in Indonesien kulturelle Gepflogenheiten und Gewohnheiten das Bewusstsein für Gefahren und Lösungen. Laut Lisa Christensen, Gründerin der Umweltorganisation EcoVision Asia in Hongkong, hätten die Menschen über Jahrtausende natürliche und somit kompostier- und abbaubare Produkte als Verpackungsmaterial verwendet – etwa Bananenblätter. "Jetzt haben sie Plastik, und sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen", schreibt sie. Deshalb würden viele Indonesier weiterhin ihren Müll in den Fluss werfen, verbrennen oder im Sand vergraben.

Laut Weltbank werden in Asien pro Jahr 440 Millionen Tonnen Müll produziert, das sind 36,7 Prozent des weltweiten Abfalls. Der überwältigende Teil wandert auf die offene Deponie. Fast immer ist das Problem Müll lokalen oder regionalen Behörden überlassen, die nicht selten ihre Pflichten vernachlässigen. Oft fehlt es an Gesetzen und Vorschriften, die eine Wiederverwertung fördern oder gar vorschreiben würden. So gibt es auch nur wenige privatwirtschaftliche Anstrengungen, die vielen Wertstoffe zu sammeln, die sich im Müll verbergen.

So bleibt es oft karitativen Organisationen überlassen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Der wirtschaftliche Effekt der Unterstützung ist zwar lokal, aber nachhaltig. "Der Verkauf von Wertstoffen ist für unsere Mitarbeiter zu einer wichtigen Einkommensquelle geworden", sagt Mila Noviana Dhari von Borda. Die Bremer unterstützen in Indonesien 16 Anlagen.

Finanzielle Anreize fehlen

Mit großer Sorge verfolgen Beobachter, dass in modernen Ländern und Städten Asiens der Trend zur Wiederverwertung seit einigen Jahren wieder rückgängig ist. Die Bewohner von Singapur haben im vergangenen Jahr 19 Prozent weniger in die Recyclingtonne geworfen, und auch in Hongkong lässt die Disziplin nach, Flaschen in den Sammelcontainer zu werfen. Es fehle an wirtschaftlichen Anreizen, glauben Experten. Das hat die Regierung von Hongkong erkannt. Im vergangenen Jahr steckte sie rund 121,5 Millionen Euro in einen "Recyclingfonds", um die Wiederverwertungsindustrie anzukurbeln. (Urs Wälterlin aus Yogyakarta, 15.12.2016)