Blick über den südlichen Teil der Neues-Reich-Stadt auf Sai.

Foto: Julia Budka

Rekonstruktion mit Grundriss der ausgegrabenen Strukturen.

Grafik: Ingrid Adenstedt, http://acrossborders.oeaw.ac.at

Das Pyramidion des Hornacht im Schacht von Grab 26.

Foto: Julia Budka

Ausgrabungen sind immer Teamwork, unsere Arbeiten wären ohne die lokalen sudanesischen Arbeiter nicht durchführbar. Im Bild das Across-Borders-Team 2016.

Foto: Julia Budka

Die Autorin beim Freilegen eines Keramikgefäßes.

Foto: Natalie Bozet

Bei der Keramikanalyse.

Foto: Martin Fera

Lehmziegelmauern lassen sich mittels einer von Martin Fera optimierten Structure-from-Motion-Dokumentationstechnik sehr gut erfassen.

Foto: Julia Budka

Mobilität von Beamten ist nicht erst eine neuzeitliche Erfindung, sondern war bereits in der Antike gang und gäbe, besonders im Fall urbaner Neugründungen. So auch im antiken Ägypten: In neu errichteten Stadtanlagen im teilweise annektierten südlichen Nachbarland Nubien, dem heutigen Sudan, wurden ägyptische Beamte mit den Amtsgeschäften beauftragt. Durch textliche Zeugnisse können wir für das Neue Reich (circa 1539–1077 vor Christus) diese ägyptischen Beamten und ihre administrativen Tätigkeiten und Aufgaben gut nachweisen – doch beim Alltag dieser Personen sind noch viele Fragen offen. Wie sah es mit den Lebensumständen und der Wohnqualität in ägyptischen Siedlungen fern der Heimat aus? Was lässt sich zum Verhältnis der Ägypter und der einheimischen nubischen Bevölkerung sagen? Wie war der Wohnkomfort, die Ernährung und Infrastruktur im direkten Vergleich mit Städten im ägyptischen Kernland?

Diesen und weiteren Fragen rund um Alltagsleben und Siedlungsgeschichte widmet sich seit 2012 mein Projekt Across Borders, gefördert durch den FWF-Start-Preis und einen ERC Starting Grant. Im Mittelpunkt von Across Borders stehen zwei zeitgleiche Siedlungen der 18. Dynastie des Neuen Reiches: Elephantine an der Südgrenze Ägyptens und die Insel Sai im Nordsudan. Detailstudien zu Architektur, Funden aller Art, Landschaft und Umwelt erlauben einen Vergleich dieser Stadtanlagen. Diese Gegenüberstellung ist deshalb so interessant, da wir durch Textquellen wissen, dass teilweise dieselben Personen an beiden Fundplätzen gewohnt haben.

Siedlungsgeschichte Obernubiens

Die Insel Sai gegenüber der modernen Stadt Abri nördlich des dritten Nilkatarakts nimmt eine herausragende Stellung innerhalb der Siedlungsgeschichte Obernubiens im Zeitraum des Neuen Reiches ein. Ähnlich bedeutend wie Amara West, doch ist der Fundplatz deutlich früher gegründet worden. Die ägyptische Stadt an der Nordostseite der Insel ist in Zusammenhang mit militärischen Unternehmungen der Könige der frühen 18. Dynastie gegen das Königreich von Kerma zu sehen.

Das südliche Stadtgebiet, von einer ottomanischen Festung überbaut und deshalb sehr gut erhalten, wurde bereits in den 1970er-Jahren von einer französischen Mission ausgegraben. Mithilfe eines Laserscans konnte Across Borders 2014 eine Neuaufnahme der Strukturen durchführen. Basierend auf diesen Daten hat Ingrid Adenstedt eine neue 3-D-Rekonstruktion des Areals vorgelegt, die einen Vergleich mit anderen Stadtanlagen in Nubien und Ägypten gestattet.

Überraschende Ergebnisse

Seit 2013 untersucht Across Borders außerdem weitere Gebiete der Stadt, die bislang noch nicht ausgegraben waren. Die neuen Ergebnisse ermöglichen nun eine genaue Rekonstruktion der Stadtentwicklung – vor allem lieferten die Grabungen in den Arealen SAV1 Ost und SAV1 West Unmengen an Keramik und anderen Funden. Detailstudien zu den Steingeräten, Figurinen und Keramik erlauben zwar nur eine teilweise funktionale Deutung der Bauten, liefern aber verlässliche Datierungshinweise und Daten zur Präsenz nubischer Bevölkerung und einer wie es scheint sehr speziellen Eigendynamik jenseits von starren Kategorien "ägyptisch" und "nubisch".

Eines der überraschenden Ergebnisse der Keramikanalyse war beispielsweise, dass zur Zeit der Gründung von Sai in der 18. Dynastie nicht nur, wie bereits bekannt, Vorratsgefäße, sondern auch Tafelgeschirr, Gebrauchskeramik und vor allem Kochtöpfe aus Ägypten importiert wurden! Erst im Laufe der Zeit etablierte sich eine lokale Keramikproduktion – anfangs ging man offenbar auf Nummer sicher und schickte die gesamte Ausstattung aus der Heimat mit.

Antike Wohnverhältnisse

Siedlungsarchäologie bietet, in Kombination mit Landschaftsarchäologie, reiches Potenzial zur Rekonstruktion antiker Wohnverhältnisse. Doch um die damalige Bevölkerung konkret fassen zu können, sind Daten aus Gräbern und menschliches Knochenmaterial unerlässlich. Auf Sai gibt es glücklicherweise mehrere Friedhöfe aus dem Neuen Reich – der größte und wichtigste ist unter dem Kürzel SAC5 erfasst und liegt circa 800 Meter südlich der Stadt. 25 Gräber ägyptischen Bautyps mit kleinen Kapellen und Pyramiden wurden dort bereits von französischen Kollegen erforscht. Da noch weitere Anlagen zu erwarten waren, hat Across Borders 2014 mit neuen Grabungen begonnen und tatsächlich eine bislang unbekannte Anlage, Grab 26, entdeckt.

Dieses Grab, das aktuell noch untersucht wird, hat bereits Reste von mindestens 15 Individuen hervorgebracht, die für Untersuchungen zur Frage der Herkunft der Bewohner von Sai von hoher Bedeutung sind. Außerdem gelang ein spektakulärer Fund: Das Pyramidion (Abschlussstein der Lehmziegelpyramide des Oberbaus) eines der höchsten Beamten Nubiens unter Ramses II., Hornacht, fand sich im Schacht von Grab 26 und belegt eine Person, die wir auch aus der Stadt durch Inschriftblöcke kennen – ein archäologischer Neufund, der die Fragestellungen des Projekts optimal erfüllt und von historischer Relevanz ist.

Finale Grabungskampagne

Seit Ende Dezember findet auf Sai die fünfte und finale Grabungskampagne von Across Borders statt. Wir arbeiten aktuell sowohl in Grab 26 als auch in SAV1 West – weitere Grabungen in SAV1 Ost werden im Februar folgen. Parallel zur Grabung werden bis Mitte März sämtliche Kategorien an Funden, insbesondere die Keramik, dokumentiert und analysiert. Es gilt, letzte Fragen zur Datierung, aber auch zur Charakteristik der Architektur und materiellen Kultur im direkten Vergleich zu Elephantine zu klären, um den lebendigen Mikrokosmos auf Sai im 2. Jahrtausend vor Christus so weit wie möglich zu rekonstruieren. Einblicke in Ergebnisse der laufenden Grabungen gibt es in einem weiteren Beitrag im Archäologieblog Ende Februar. (Julia Budka, 12.1.2017)