Mit starken Flaggschiffen und günstigen Mittelklassesmartphones hat sich der chinesische Elektronikhersteller Xiaomi in den vergangenen Jahren in vielen asiatischen Ländern einen Namen gemacht. Auch unter Freunden von Importgeräten genießen die Android-Handys einen guten Ruf.

Gegen Jahresende 2016 ergänzte der Konzern sein Portfolio um eine etwas ausgefallenere Kreation. Das Xiaomi Mi Mix, so der volle Name, fällt nicht nur mit einer ungewöhnlichen großen Bildschirmdiagonale von 6,4 Zoll auf, sondern vor allem mit seinem Design. Das Segment oberhalb des Displays, welches normalerweise Frontkamera, Näherungssensor und Ohrhörer beherbergt, wurde eingespart und die Ränder entlang des Bildschirms auf ein Minimalmaß verschlankt.

Das Smartphone wirkt damit wie ein tragbares "Fenster", durch und in das man hineinblickt. Das macht das Gerät zu einem Hingucker, erzwingt aber auch die Notwendigkeit, manche Dinge technisch anders zu implementieren. Der WebStandard hat sich das Elektronik-Designstück in einem Praxistest näher angesehen. Zur Verfügung gestellt wurde das für rund 700 Euro per Import erhältliche Gerät vom Händler Trading Shenzhen.

Foto: derStandard.at/Pichler

Eine Anmerkung vorweg: Erfunden hat Xiaomi diese Form des randlosen Designs nicht. Als Inspiration dürfen wohl die Aquos Crystal-Smartphones von Sharp gelten, die zuletzt 2015 neu aufgelegt wurden. In China dreht man die Ambitionen jedoch eine Stufe höher.

Design

Das Mi Mix präsentiert sich in einem verglasten Keramikgehäuse, das hochwertig verarbeitet ist. Auf der Unterseite befinden sich Lautsprecher und USB-C-Anschluss, linksseitig der zwei Karten im Nano-Format fassende SIM-Tray, rechts die Einschalttaste und Lautstärkewippe. Erstere ist bei einhändiger Verwendung gerade noch zu erreichen, zweitere nur mit Verrenkungen.

Die Rückseite zieren die Hauptkamera und ein Fingerabdruckscanner, der wiederum gut zu erwischen ist und flott sowie präzise werkt. Am oberen Rand findet sich ein 3,5mm-Klinkenstecker. Die Frontkamera sitzt unter dem Bildschirm, da das Handy keine "Oberlippe" hat.

Foto: derStandard.at/Pichler
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Display und Ergonomie

Das Display mit seinen gerundeten Ecken liefert eine für Smartphones ungewöhnliche Auflösung von 2.040 x 1.080 Pixel, was dem Format 1,90:1 bzw. annäherungsweise 17:9 entspricht – entsprechend werden Videos in 16:9 im Vollbild von schwarzen Streifen flankiert. Mit 362 PPI ist die Pixeldichte mehr als ausreichend. Die Darstellungsqualität lässt wenig Spielraum für Beschwerden. Farben erscheinen satt, die Kontraste gut und auch die maximale Helligkeit kann sich sehen lassen. Unter direktem Sonnenlicht spiegelt es mitunter etwas zu stark, dazu ist die automatische Helligkeitsregulierung manchmal träge.

Trotz schmaler Ränder ist das Mi Mix ergonomisch ein Problemkind. Mit 158,8 x 81,9 x 7,9 Millimetern Größe bei 209 Gramm Gewicht übertrifft es immer noch gängige 5,5-Zoll-Handies deutlich. In Kombination mit dem wirklich rutschigen Gehäuse – das Handy ist ähnlich bewegungsfreudig wie das OnePlus X – zwingt dies zu vorsichtiger Handhabe. Oder der Verwendung der beigelegten Rückabdeckung.

Diese macht das Phablet zwar griffig und vermeidet sichtbare Fingerabdrücke, pfuscht aber in die Ästhetik. Das auf Android 6 basierende MIUI 8-System (eine Aktualisierung auf Android 7 ist geplant) bietet zwar einen Einhandmodus, mit dem man aufgrund der Breite des Mi Mix aber auch nicht viel gewinnt.

Foto: derStandard.at/Pichler
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Starke Hardware

Unter der Haube klotzt Xiaomi. Als Prozessor kommt der Snapdragon 821 zum Einsatz, der in den meisten Weihnachts-Flaggschiffen zu finden war. In puncto Arbeitsspeicher und internem Speicher stehen die Varianten 4/128 GB und 6/256 GB zur Auswahl. Getestet wurde ersteres Modell.

Auch der Rest entspricht dem State of the Art. Das Handy unterstützt LTE, allerdings ohne Band 20, das teilweise von A1 und T-Mobile verwendet wird. Dazu gibt es 802.11ac-WLAN, Bluetooth 4.2 und NFC. Die rückseitige Kamera operiert mit 16 MP, Phase Detection Autofokus und Dual-LED-Blitz, die Frontkamera bietet fünf Megapixel an Auflösung auf. Der Akku fasst 4.400 mAh und ist fix verbaut.

Performancetechnisch gibt es am Mi Mix keinen Grund zur Klage. Mit rund 160.000 Punkten schlägt es sich im Allroundtest mit Antutu ungefähr so gut wie das OnePlus 3T, das allerdings jüngst beim Schummeln erwischt wurde. Beim 3D-Grafiktest mit dem 3DMark (Sling Shot Extreme) misst man sich mit 2.200 Zählern circa mit dem Huawei Mate 9. Im Browsertest Vellamo (Chrome) gelingt mit einem Score von 5.500 ebenfalls ein Spitzenwert.

Foto: derStandard.at/Pichler
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Performance und System

Die Werte in den synthetischen Tests übersetzen sich auch gut in die alltägliche Nutzung. Das Handy reagiert flott auf alle Eingaben, Apps sind schnell installiert und gestartet. Und auch mit aufwendigeren Games kann man das Telefon quälen, ohne dass es ins Stocken gerät.

Die MIUI-Systemoberfläche ist allerdings gewöhnungsbedürftig, weil im Vergleich zu "purem" Android stark verändert. So fehlt ein Appdrawer, um das Programmchaos auf den Homescreens adäquat zu bändigen und die Einstellungsmenüs hat Xiaomi nach eigenem Dünken sortiert – nicht immer übermäßig intuitiv.

Immerhin: Das Aussehen lässt sich mit Themes anpassen und es gibt Sonderfunktionen wie den "Quickball", mit dem sich ein zweiter Zugang zu den Navigationstasten legen lässt. Die Google Play-Services sind auf dem derzeit nur in China offiziell erhältlichen Gerät normal nicht vorhanden, wurden aber vom Händler vorinstalliert. Der Zugang zum Play Store und anderen Google-Diensten klappt bis auf einzelne Probleme reibungslos. Während etwa der Chrome-Browser den eingerichteten Google-Account erkennt, kann Google Fotos selbigen nicht verwenden.

Foto: derStandard.at/Pichler
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Designpracht ohne Mehrwert

Zweifelsohne fällt das Mi Mix mit seinem Design auf. Gerade beim Benutzen der Kamera führt die Ästhetik zu einem "Wow"-Erlebnis. Auch Augmented-Reality-Games wie "Pokémon Go" wirken eine Spur immersiver. Ein Effekt, der sich aber auf Dauer abnutzen dürfte.

Dann bleibt nur die herausstechende Ästhetik übrig, denn ein praktischer Mehrwert ist nicht erkennbar. Wie schon erwähnt ist das Mi Mix aufgrund seiner Displaydiagonale und des Seitenverhältnisses immer noch ein schickes, aber eben auch ziemlich unhandliches Gerät.

Miese Gesprächsqualität

Zwei weitere Probleme ergeben sich als Folge dieser Designentscheidung. Weil es keinen Ohrhörer gibt, hat Xiaomi ein System zur Schallübertragung per Vibration durch den Bildschirm implementiert. Und dessen Output kann mit der traditionellen Lösung nicht mithalten.

Gesprächspartner hören sich blechern und undeutlich an. In einem Zimmer mit geringem Umgebungslärm ist das Gegenüber noch ausreichend verständlich. Telefoniert man auf der Straße, gestalten sich Konversationen trotz hoher Lautstärke als eine Herausforderung. Auch die eigene Stimme kommt nur mit merklichen Verzerrungen an. Klangwiedergabe über die normalen Lautsprecher ist auf Smartphone-Durchschnittsniveau – es scheppert bei hoher Lautstärke und ausgeprägten Bässen und Höhen.

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Durchschnittliche Kamera

Aus der Reihe fällt zudem die Platzierung der Frontkamera auf der "Unterlippe" des Handys. An diese gewöhnt man sich allerdings recht schnell. Die Kamera-App erinnert zudem daran, das Gerät beim Aufnehmen von Selfies umzudrehen. Qualitativ liefert die der vorderseitige Bildsensor Fotos von unspektakulärer Qualität. Die Farbdarstellung ist akzeptabel, die Detailtreue jedoch nicht sehr hoch ausgeprägt.

Die Hauptkamera liefert mehr Details und etwas stärkere Farben und löst flott aus. Aber auch hier wird schnell klar, dass Xiaomi den Fokus beim Mi Mix nicht auf die Kamera gelegt hat – oder aufgrund der Bauweise vielleicht auch gar nicht legen konnte.

Unter Tageslicht knipst man mit dem Smartphone herzeigbare Fotos für Social-Media-Belange, sobald der Abend anbricht oder man sich ins Kunstlicht begibt, ist sehr schnell ein leichtes Verwaschen und stärker werdendes Bildrauschen zu bemerken. Positiv fällt die Brennweite auf, die es ermöglicht, Motive auch aus knapper Distanz mit schön anzusehender, künstlicher Tiefenunschärfe abzulichten.

Foto: derStandard.at/Pichler

Starker Akku

Einen guten Eindruck hinterlässt der Akku. Nach zwei Stunden Einsatz mit Fotografie, Messaging und dem überaus energiehungrigen "Pokémon Go" ist der Ladestand von 100 auf 87 Prozent gesunken. Dieser Eindruck, sowie ein Durchlauf mit einem Akkubenchmark, erlauben die Einschätzung, dass man mit dem Mi Mix problemlos und mit guten Reserven durch den Tag kommt.

Fazit

Das Mi Mix ist, kurz gesagt, ein Designobjekt mit Smartphone-Funktionen. Ziemlich offensichtlich hat Xiaomi hier das Ziel verfolgt, sich durch die ausgefallene und ansehnliche Ästhetik Aufmerksamkeit zu sichern. Das gut verarbeitete Gehäuse mit den schmalen Rändern fällt auf und sorgt zumindest anfänglich auch für das Gefühl, durch ein "Fenster" zu sehen.

Allerdings bleiben zu viele Mankos, um für ein Gerät dieser Preisklasse eine ernsthafte Kaufempfehlung abzugeben. Ohne zusätzlicher Rückseitenabdeckung droht dem Handy permanent der Absturz. Seine schiere Größe macht es unhandlich zu benutzen. Die Kamera liefert nur Durchschnittskost, die Soundqualität bei Telefongesprächen ist schlecht. Dem Design fehlt ein praktischer Mehrwert.

Lobend sollte man erwähnen, dass das Handy gute Performance abliefert, einen flotten Fingerabdruckscanner hat und der Akku viel Ausdauer beweist. Das kann das Mi Mix als Gesamtpaket allerdings nicht mehr herausreißen. (Georg Pichler, 12.02.2017)

Testfotos

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Tageslicht
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Tageslicht
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Tageslicht
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Tageslicht, Nahaufnahme
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Gemischte Lichtsituation
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Kunstlicht
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Abendaufnahme
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Frontkamera
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