Bild nicht mehr verfügbar.

Taraji P. Hanson (rechts) verkörpert im Film "Hidden Figures" die Nasa-Mathematikerin Katherine Johnson, die unabdingbare Berechnungen für die Raumfahrt vollbrachte.

Foto: Picturedesk / Everett Collection / 20th Century Fox Film Corp.

Katherine Johnson (geb. 1918) begann 1953 für die Nasa zu arbeiten. Hier ist sie an ihrem Schreibtisch – ausgestattet mit einem Globus – zu sehen.

Foto: Nasa

Bild nicht mehr verfügbar.

Margot Lee Shetterly, die Autorin des Buchs "Hidden Figures" bei der Präsentation des gleichnamigen Films im Dezember 2016.

Foto: Picturedesk / Zuma / Bill Ingalls

Margot Lee Shetterly, "Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen". € 14,- / 400 Seiten. Harper Collins, New York City 2017

Foto: Harper Collins

Wien – Man schrieb das Jahr 1962, und dem sperrigen neuen Computer traute im Nasa-Forschungszentrum keiner so richtig. Schon gar nicht John Glenn, der damals nicht nur der erste Amerikaner in der Erdumlaufbahn werden wollte, sondern auch der erste Amerikaner, der aus dem Orbit heil zurückkehrt. Also forderte der Astronaut: "Lasst das Mädchen alles nochmal durchrechnen!" Das Mädchen war Katherine Johnson. Glenn war nicht der Einzige, der Johnsons mathematische Fähigkeiten höher schätzte als die all ihrer weißen, männlichen Kollegen.

Das ist eine Schlüsselszene in "Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen", dem gerade in den Kinos laufenden Raumfahrtepos, das zur Abwechslung nicht den Astronauten ein Denkmal setzt, sondern schwarzen Mathematikerinnen im Dienst der Nasa. In den USA hat im Jänner kein anderer Film an den Kinokassen so viel eingespielt.

Weibliche Computer

Im Zuge der Rassentrennung waren in den USA zwar mehr als hundert Hochschulen gegründet worden, die Amerikanern afrikanischer Herkunft offenstanden, doch lange blieb vielen Absolventen kaum eine andere Alternative, als Lehrer zu werden. Auch Johnson, damals noch unter ihrem früheren Namen Gogle, unterrichtete Mathematik, bevor sie während des Zweiten Weltkriegs im Aeronautikzentrum in Hampton, Virginia, als "Computer" anfing.

Das Rechnen nach Vorgaben der ausschließlich männlichen Ingenieure war in der Vorcomputerzeit ein Frauenjob. Die als Computresses bezeichneten Mathematikerinnen führten die zeitaufwendigen und komplizierten Berechnungen schlicht mit Papier und Bleistift und höchstens mit einfachen Rechenmaschinen durch. Anerkennung und Zugang zu den wichtigen Sitzungen mussten sich hochbegabte Mathematikerinnen wie Johnson, Dorothy Vaughan oder Mary Jackson mit Leistung und Beharrlichkeit erarbeiten.

"Wäre ich ein Mann, ..."

Das Drehbuch bringt es so auf den Punkt: Als Jackson von ihrem Teamleiter gefragt wird, ob sie, wenn sie ein Mann wäre, Ingenieur werden wollte, antwortet sie messerscharf: "Nein. Wäre ich ein Mann, wäre ich schon lange Ingenieur."

Die reale Jackson wurde von ihrem Teamleiter nach Kräften gefördert. Durch seine Fürsprache konnte sie in Hampton dank einer Ausnahmegenehmigung gegen die immer noch geltenden Jim-Crow-Gesetze Lehrveranstaltungen für Ingenieure besuchen. 1958 schien sie als Koautorin eines Forschungsberichts auf. Für das damals bereits vierzig Jahre alte Forschungszentrum war es die zweite Publikation einer Frau und die erste eines nichtweißen Autors.

Im gleichen Jahr wurde das führende Forschungszentrum der Luftfahrttechnik auf Raumfahrt umgepolt und der gerade gegründeten Nasa zugeschlagen.

Schwarze Spitzenforscherin

Neben Johnson, Jackson und Dorothy Vaughan, die als erste schwarze Wissenschafterin eine Führungsposition bekam, hat Margot Lee Shetterly, auf deren gleichnamigem Buch "Hidden Figures" basiert, fünfzig weitere afroamerikanische Mathematikerinnen, Ingenieurinnen und Informatikerinnen identifiziert, die zwischen den Vierziger- und Achtzigerjahren am Forschungszentrum in Hampton tätig waren.

Auf die Geschichte, die nun auch in deutscher Übersetzung erschienen ist, stieß sie, weil ihr Vater dort als Ingenieur begann. Als Kind hielt es Shetterly für das Normalste der Welt, dass Schwarze Ingenieure, Mathematiker und Naturwissenschafter waren.

Natürlich nimmt sich der Film Freiheiten: Die drei Frauen werden im Film zu engen Freundinnen. Ihr Kampf um Anerkennung und Fortschritte beim Niederbrechen der Rassentrennung, die sich in Wirklichkeit über mehr als ein Jahrzehnt streuten, werden in die Handlungsdauer gepresst. Johnson, "das Mädchen", hat nicht Tage, um die Berechnungen des IBM 7090 zu prüfen, sondern muss es binnen Stunden schaffen.

Rechtskonservative Kritik

Nichts davon war allerdings gemeint, als Rechtskonservative "Hidden Figures" Geschichtsklitterung vorwarfen: Es werde gerade so getan, als ob die Mondmission nur dank einer schwarzen Frau geglückt wäre. Warum tauchte Katherine Johnson dann in keinem der zahlreichen Bücher über die Nasa auf? Warum wurde sie nicht einmal von Glenn in seinen Memoiren erwähnt? Darum geht es freilich gerade: Johnsons Beitrag wurde lange unter den Tisch gekehrt. Dazu gehörten Berechnungen der Mondumlaufbahn oder auch eine Anleitung für die Astronauten, wie sie im Fall eines Ausfalls der Elektronik zurück zur Erde navigieren konnten.

Die Nasa führte ihre afroamerikanischen Mitarbeiter zwar nicht in der Auslage, verglichen mit anderen Forschungsorganisationen förderte sie sie aber durchaus, schreibt Shetterly. Die Bürgerrechtler der Sechzigerjahre wünschten sich allerdings vor allem Sichtbarkeit. Zwar war bereits ab 1961 mit Ed Dwight ein schwarzer Offizier und Luftfahrtingenieur als Astronaut trainiert worden, doch erst 1983 schickte die Nasa erstmals einen Afroamerikaner ins All. Damit waren ihr einmal mehr die Sowjets zuvorgekommen, die drei Jahre vorher einen dunkelhäutigen Kubaner auf eine Sojus-Mission mitgenommen hatten.

Mangelnde Sichtbarkeit

Über das Ende der sozialpolitischen Expansion der Sechzigerjahre verbittert, wandte sich die schwarze Community auch gegen das immens teure weiße Spielzeug der Raumfahrt. Marvin Gayes "Inner City Blues" beginnt mit der Forderung, die Prioritäten zu verschieben: "Rockets, moon shots. Spend it on the have-nots!"; Gil Heron-Scott rappte, er könne sich nicht einmal einen Arzt leisten, "while Whitey's on the moon".

Der Mangel an sichtbaren afroamerikanischen Wissenschaftern und damit Rollenvorbildern zieht sich bis heute. Wer auf einer amerikanischen Straße nach dem Namen einer schwarzen Wissenschafterin fragt, wird am ehesten, wie schon seit einem halben Jahrhundert, Lieutenant Uhura hören – Kryptologin, Linguistin und Besatzungsmitglied von "Raumschiff Enterprise". Dank Hollywood hat Uhura nun in Katherine Johnson eine Mitanwärterin aus der Wirklichkeit. (Stefan Löffler, 9.2.2017)