Bier am Bau oder Schnaps in der Schublade: Der Alkoholkonsum hat in der Arbeitswelt in den vergangenen Jahrzehnten zwar enorm an Bedeutung verloren. Dennoch bleibt die Alkoholsucht ein Thema, mit dem sich viele Betriebe in groß angelegten Projekten beschäftigen.

Foto: Armin Karner/Otto Beigelbeck

Noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Alkoholkonsum während der Arbeit eine Selbstverständlichkeit – etwa in der Landwirtschaft oder bei manueller, schwerer Arbeit. Erst 1961 wurde eine Blutalkoholgrenze von 0,8 Promille für Lkw-Lenker eingeführt.

Foto: APA/dpa-Zentralbild/unbekannt

Jeder Achte trinkt zu viel Alkohol – und das mitunter bei der Arbeit. Genauer gesagt sind es 13 Prozent der berufstätigen Männer und sieben Prozent der berufstätigen Frauen, die einen problematischen Alkoholkonsum aufweisen. Das ist das Ergebnis des Fehlzeitenreports, der vor kurzem vom Wirtschaftsforschungsinstitut herausgegeben wurde. Das heißt konkret bei Männern drei große Biere oder eine Flasche Wein pro Tag, bei Frauen einen Liter Bier oder eine halbe Flasche Wein. Die Auswirkungen auf Betriebe sind menschlich wie betriebswirtschaftlich verheerend. Das Institut für Höhere Studien (IHS) rechnet vor, dass alkoholkranke Personen Österreich jährlich 737,9 Millionen Euro kosten. Darin enthalten sind direkte medizinische Kosten, die nichtmedizinischen Kosten wie Sozialleistungen und Produktivitätsausfälle.

Die Mineralwasserkiste am Bau

Grund zur Panik sei das allerdings nicht, sagt der Co-Autor der Studie, Alfred Uhl vom Kompetenzzentrum Sucht bei der Gesundheit Österreich. Er plädiert dafür, "unaufgeregt, aber sachlich konsequent für verantwortungsbewussten Alkoholkonsum einzutreten". Der Suchtpsychologe spricht von einem Kulturwandel und deutlichen Verbesserungen, was Alkoholsucht in Österreich angeht. "Wer vor 40 Jahren an eine Baustelle im Hochsommer dachte, sah vor seinem geistigen Auge verschwitzte Bauarbeiter und eine Bierkiste. Dass sich seither einiges verändert hat, ist vielen Menschen nicht bewusst. Schon lange haben Bierkisten den Platz mit Mineralwasserkisten getauscht."

Uhl führt dieses Beispiel gern an, wenn er jemandem die Veränderung vor Augen führen will. "Seit 1975 ist der Konsum von Alkohol um 24 Prozent zurückgegangen, obwohl es zeitgleich einen enormen Preisrückgang gab und Alkohol einfacher erhältlich wurde." Zurückgegangen ist auch der Anteil der Erwachsenen mit problematischem Alkoholkonsum – von 18 Prozent der Bevölkerung 1994 auf 14 Prozent 2015.

Jene, die trinken, weil sie damit psychische Probleme lindern oder verdrängen wollen, betrifft ein solcher Kulturwandel aber nicht. In der Suchttherapie werden sie als sekundäre Alkoholiker bezeichnet. Neun von zehn Frauen, die ein Alkoholproblem haben, fallen in Österreich in diese Gruppe. Bei den Männern sind es etwas mehr als die Hälfte. Anders beim primären Alkoholismus: Hier trinkt man aus unterschiedlichen situativen Gründen eine beträchtliche Menge über viele Jahre. Ein gesellschaftlicher Wandel im Umgang mit Alkohol kann sich hier durchaus bemerkbar machen.

Schwer, an Zahlen zu kommen

In der Arbeitswelt hat sich binnen relativ kurzer Zeit sehr viel verändert: Noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Alkoholkonsum während der Arbeit eine Selbstverständlichkeit – etwa in der Landwirtschaft oder bei manueller, schwerer Arbeit. Erst 1961 wurde eine Blutalkoholgrenze von 0,8 Promille für Lkw-Lenker eingeführt.

Und die hunderten Millionen, die die Alkoholsucht laut IHS noch immer kostet? Alle Zahlen in diesem Zusammenhang seien mit Vorsicht zu genießen, sagt Uhl. Speziell beim Thema Alkoholkonsum sei es schwierig, an Daten zu kommen. Unfallbedingte Sachschäden werden von Unternehmen nur ungern als alkoholbedingt dargestellt, weil Versicherungen diese Schäden bereits seit einigen Jahren nicht mehr decken. Bleibt natürlich noch zu fragen: Wer gibt ehrlich den eigenen problematischen Umgang mit Alkohol zu Protokoll?

Wie schwierig es ist, Alkoholsucht am Arbeitsplatz zu bemessen, zeigt das Beispiel des frühreren ORF-Journalisten Lorenz Gallmetzer. 30 Jahre lang hat er getrunken. Und dennoch habe er nahezu ebenso lang funktioniert. Genau das sei die Falle, schreibt Gallmetzer in seinem Buch Süchtig: "Das ist die Falle. Man kann sehr lang als Alkoholiker funktionstüchtig bleiben."

Wird Alkoholsucht am Arbeitsplatz tabuisiert? Uhl: "Vor 40 Jahren war der Umgang oft noch kritiklos, aber seither wurde Alkohol in verschiedenen Kontexten als problematisch thematisiert. Ich denke, dass es heute nur noch wenige Leute gibt, die potenzielle Probleme im Zusammenhang mit Alkohol völlig negieren."

Hinhören und Hinsehen wichtig

Am Anton-Proksch-Institut sieht man nach wie vor ein großes Tabu. Nicht nur die gesellschaftliche Kultur eines Landes, sondern auch die spezifische Unternehmenskultur spiele hierbei eine Rolle. Das Problem sei zwar deutlich mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt, allerdings sei man noch weit von dem Status weg, wo man sein sollte, sagt Michael Musalek, medizinischer Leiter des Instituts. Denn trotz Kulturwandels liegt Österreich, was den durchschnittlichen Alkoholkonsum pro Kopf und Jahr betrifft, im internationalen Spitzenfeld. Nur in Litauen, Weißrussland, Tschechien und Belgien wird mehr Alkohol getrunken.

Zur Frage, wie man reagieren soll, wenn ein Arbeitskollege oft nach Alkohol riecht oder sogar während der Arbeit ein Achterl Wein oder Glas Bier braucht, sind sich die Experten einig: Früh mit Betroffenen darüber sprechen, gemeinsam weitere Schritte planen und Führungskräfte einbeziehen. Dass diese entsprechend geschult sind, ist dabei Voraussetzung.

Vor allem größere Betriebe engagieren sich zunehmend, was Suchtprävention betrifft. Ein Beispiel dafür ist die Voest, wo Mitte der 1990er-Jahre ein großangelegtes Projekt gestartet wurde. Bis dahin herrschte in der Belegschaft die Ansicht vor, dass Bier, das man in der Kantine bekam, der beste Durstlöscher sei, und entsprechend wurden während der Dienste große Mengen konsumiert. Gemeinsam mit dem Anton-Proksch-Institut wurden Aktionen erarbeitet, um Mitarbeiter langsam, aber konsequent davon zu überzeugen, dass weitgehender Alkoholverzicht am Arbeitsplatz für alle Beteiligten von Vorteil ist. Mit Erfolg: Während der Tageskonsum pro Person und Tag 1997 noch bei mehr als einem halben Liter Normalbier lag, sank er auf 0,07 Liter Leichtbier im Jahr 2005 – ein Rückgang von 95 Prozent. Auch die Anzahl der Unfälle ging laut einer internen Evaluation zurück.

Stress, Probleme, Sucht

Völlig falsch, aber sehr verbreitet sei die lange Ignoranz gegenüber Anzeichen, gefolgt von einer Reaktion voller Härte, betroffene Mitarbeiter zu kündigen, sagen Experten. Dass eine solche Kultur auch negative Auswirkungen auf die Kollegen des Betroffenen habe, die dabei lernten, dass Fehler unverzeihbar seien, komme hinzu.

Um angemessen auf Sucht – ganz gleich welche – zu reagieren, sei die Auseinandersetzung mit den Ursachen unumgänglich. Und diese liegen, laut Gesundheit-Österreich-Mann Uhl, häufig in einer psychischen oder sozialen Grundproblematik. Sucht sei oft nicht die Ursache, sondern eine Folge solcher Probleme.

Vor diesem Hintergrund haben viele Länder reagiert und Schritte gesetzt, um Arbeitnehmer mit psychischen Problemen frühzeitig zu identifizieren und ihnen mit Maßnahmen zu begegnen. Was die Prävention und Behandlung von psychischen Gesundheitsproblemen in der Arbeitswelt angeht, herrsche in Österreich laut aktueller Untersuchungen der OECD aber Handlungsbedarf. Angesichts steigender psychischer Erkrankungen mit längeren Fehlzeiten appelliert auch die Gesundheitsagentur der EU regelmäßig an Firmen, mehr Ressourcen in die Prävention zu investieren. (lhag, 18.2.2017)