Das Marchfeld-Center am Rand von Groß-Enzersdorf wurde 2010 eröffnet. Den Ortskern zu beleben, ist schwierig.

Viele Bürger sind nicht glücklich, dass sich Einkaufszentren und andere vermeintliche Erlebniswelten wie Donutteig um ihre Gemeinden legen.

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nonconform-Architekt Roland Gruber kämpft gegen Leerstände und für eine Renaissance der Dorfkerne. Sein Bild für eine lebendiges Ortsbild: der gute, alte Marmeladekrapfen.

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Wien – Groß-Enzersdorf an einem Samstag im Jänner. Trotz Kälte und 15 Reihen Parkplätzen ist kaum einer vor dem Einkaufszentrum noch frei. Oft heißt es über Österreichs Gemeinden, es würde einfach eine Shopping-Schachtel auf die Wiese gestellt werden. Aber in Groß-Enzersdorf dürften es zwei Schachteln gewesen sein. L-förmig blinkt die Front verglaster Geschäftslokale deutscher Handelsketten, das sogenannte Marchfeld-Center.

500 Meter weiter steht Marktleiter Bernd Hofbauer dick eingepackt auf dem Hauptplatz von Groß-Enzersdorf hinter der Budel. Die Besucherfrequenz am Wochenmarkt ist eine andere, im Frühjahr sei sie aber deutlich besser. "Als das Marchfeld-Center aufgemacht hat, waren die Einbußen an unserem Frischemarkt schon extrem. Es geht aufwärts, aber wir sind nicht auf dem alten Niveau", sagt Hofbauer.

In Österreich hat ein Phänomen Raum gegriffen, das die Städte und Dörfer über Jahrzehnte prägen wird. Vor den Türen der Gemeinden werden Einkaufszentren und Wohnsiedlungen angelegt, die alten Ortszentren darben. Im schlimmsten Fall gibt es Leerstände. Architekten und Raumplaner sprechen vom Donut-Effekt.

Auch ohne Center kein Greißler mehr

"Der Ortskern ist lange übersehen worden", sagt auch der Groß-Enzersdorfer Bäcker Othmar Müller, der mit einem Stand auf dem Wochenmarkt vertreten ist. Bürgermeister Hubert Tomsic (SPÖ) bestreitet jedoch einen Donut-Effekt in Groß-Enzersdorf. "Seit es das Marchfeld-Center gibt, haben wir mehr Geschäftslokale als früher in der Stadt", sagt Tomsic zum STANDARD. Die Greißler und andere kleine Geschäfte seien schon gestorben, lange bevor das Marchfeld-Center im Jahr 2010 eröffnet hat.

Tomsic gibt aber zu, dass es schwierig sei, den Ortskern zu beleben. Für eine heimische Optikerkette habe die Gemeinde kürzlich kein Geschäftslokal gefunden, das groß genug war. Auch einem interessierten Kinderarzt habe man bisher keine geeignete Ordination im Stadtzentrum anbieten können. Man sei immer auch auf die Eigentümer angewiesen.

Vom Donut zum Krapfen

Einer, der in Österreich immer wieder mit großen Vorschlägen in kleine Orte fährt, ist der Architekt Roland Gruber vom Büro nonconform. Viele Orte, um die sich Einkaufszentren und Baumärkte wie Donut-Teig blähen, würden dies bedauern. "Wir müssen dem Donut-Effekt etwas entgegensetzen und die Orte wieder zu Marillenmarmeladekrapfen machen. Das Süßeste, die Fülle des Lebens, muss in die Mitte zurück."

Wenn es darum geht, einen Ortskern zu beleben, geschähen die ersten Initiativen nicht unbedingt an den Immobilien selbst, sondern man müsse zuerst Aktivitäten ins Zentrum bringen, etwa Festivals oder Veranstaltungen, damit die Leute wieder das Gefühl bekämen, dass sich auch etwas abspielt. Und es müsse von den handelnden Personen der Gemeinde die Bereitschaft geben, wie in einem Testlabor vieles auszuprobieren und auch Phasen des Scheiterns zuzulassen. Ein paar Beispiele:

• Fließ Vor ein paar Jahren hatte die 3000-Einwohner-Gemeinde im Tiroler Bezirk Landeck weder Postamt noch Lebensmittelgeschäft mehr. Bürgermeister Hans-Peter Bock (SPÖ) erwarb strategisch Immobilien, zusätzlich zur leerstehenden alten Volks- schule organisierte er der Gemeinde einen alten Bauernhof. Heute gruppieren sich im erneuerten Dorfzentrum drei Gebäude um zwei Plätze. Im neuen Gemeindezentrum sind die Auskunftspersonen zugleich Postpartner. Im Ortskern sind nun auch ein Nahversorger, ein Arzt mit Hausapotheke, ein Jugendzentrum und ein Frisör, dazu Wohnangebote für Senioren und Junge.

"Bei früheren Architekturwettbewerben habe ich oft gehört: Das ist intransparent, da entscheiden nur der Bürgermeister und zwei, drei andere", sagt Bock gegenüber dem Standard. Darum habe er einen Wettbewerb in zwei Stufen lanciert. Eine Jury wählte fünf Entwürfe aus, dann kam nonconform 2012 für ein paar Tage nach Fließ und moderierte einen Marathondialog zwischen Bürgern, Architekten und Politik. Erst danach trat noch einmal eine Jury zusammen und kürte den – um Bürgerideen bereicherten – Entwurf der Architekten Rainer Köberl und Daniela Kröss zum Sieger. 2016 gewann Fließ den Europäischen Dorferneuerungspreis.

• Blaibach Fast schon märchenhaft klingt die Geschichte des Dorfes im Bayerischen Wald. Der Ortskern war vor fünf Jahren noch vernachlässigt, die Lage schien aussichtslos. Initiiert vom Opernsänger Thomas E. Bauer, wurde ein Konzerthaus gebaut. Der Münchner Architekt Peter Haimerl entwarf den monolithisch-minimalistischen Bau. Die 200 Plätze sind heute immer ausverkauft, der ganze Ort profitiert. Bayerische Medien schreiben vom "Wunder von Blaibach".

• Haag Etwas älter ist die Erfolgsgeschichte von Haag. Ende der Neunzigerjahre lag das Zentrum darnieder, der Leerstand gedieh. "Sie haben dort mit einem Leuchtturmprojekt begonnen, in dessen Windschatten viel Positives entstand", erinnert sich Gruber, der die Mostviertler Kleinstadt jahrelang begleitete.

Im Jahr 2000 wurden die Haager durch eine temporäre rote Tribüne auf dem Hauptplatz wachgerüttelt. Seit damals findet auch der Theatersommer Haag statt. Parallel sei der Hauptplatz zur Aktivitätszone gemacht, der Boden neu gepflastert worden. Die alten Lampen kamen weg, die Häuserfronten wurden auf Anregung von nonconform durch indirekte Beleuchtung neu inszeniert.

Gruber sagt, eine echte Dorferneuerung benötige sieben bis zehn Jahre, so eine Dauer müssten Planer und engagierte Bürger durchhalten. Und eigentlich brauche ein Ort danach auch einen Generationenwechsel betreffs der Kümmerer. "Man muss dann den nächsten Schritt setzen und immer am Ball bleiben", sagt Gruber. Er versuche Gemeinden jedenfalls davon zu überzeugen, nicht den kleinsten Kompromiss, sondern die spannendste Lösung zu suchen.

Uneinigkeit in Sachen Fußgängerzone

Was das Beste für ihren Ort wäre, darüber sind sich die Geschäftstreibenden in Groß-Enzersdorf nicht einig. "Eine Fußgängerzone würde ich mir wünschen, mehr Laufkundschaft", sagt ein Einzelhändler am Hauptplatz, der nicht genannt werden will. Ein paar Meter weiter kann der Bäcker Othmar Müller darüber nur den Kopf schütteln. "Wenn zu wenig Frequenz da ist, bringt eine Fußgängerzone auch nichts."

Den Donut-Charakter seiner Stadt findet Müller übrigens gar nicht so tragisch. Denn im Marchfeld-Center, wo Merkur und Tchibo das Bild prägen, trotzt Müller den Handelsriesen: Der Einzelkämpfer hat, neben seinen MüllerGartner-Filialen im Zentrum Groß-Enzersdorfs und in Wien, einfach einen dritten Standort im Marchfeld-Center eröffnet. (Lukas Kapeller, 25.2.2017)