"Wenn ich groß bin, möchte ich wie André Heller sein, nur schlimmer": Die österreichischen Autorinnen Stefanie Sargnagel, Maria Hofer und Lydia Haider (v. li.) in Marokko, wo die Idee aufkam, André Hellers Paradiesgarten zu besuchen.

Foto: privat

Sargnagel: "Nachdem wir unser letztes Hasch verwertet hatten, machte der Garten plötzlich Sinn."

Haider: "Ich hab in Hellers Anime-Garten den Heiligen Geist gefunden."

Hofer: "Ohne Internet bin ich leistungsfähiger, schöner und produktiver."

Sargnagel: "Ich liebe die Marokkaner, sie sind so authentisch marokkanisch."

4. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Die haselnussbraunen Augen des Taxifahrers erinnern mich an Haselnüsse.

Maria Hofer: Ich hab bei der Taxifahrt viel geschlafen, als ich einmal aufgewacht bin, hab ich einen Hund gesehen, der einen anderen gegessen hat. Sein ökologischer Fingerabdruck ist sehr klein.

Lydia Haider: Ein Abendspaziergang bringt uns in finstere Seitengassen, es schwatzt von Fischgedärm unter den Schuhen, und wir überlegen, welche dieser Gestalten es wohl auf Entführung anlegt: Das ist eine gute Mischung aus sanftem Unbehagen und drängender Neugier, so eine Reise.

5. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Lydia ist die einzige Vegetarierin der Gruppe, aber im Unterschied zu den anderen VegetarierInnen, die ich kenne, ist sie es nicht, weil sie Tiere liebt, sondern weil sie Tiere zutiefst hasst. Heute hat sie eine Babykatze zur Seite getreten mit der Behauptung, sie habe Tollwut, danach biss sie selbstzufrieden in eine vegetarische Crêpe.

Maria Hofer: Falsche Gefühle: Beim Eingang in unseren Palast sich denken: endlich WiFi. (Anm.: Wir haben aber kein WiFi im Haus.) Ohne Internet bin ich aber viel leistungsfähiger, schöner und produktiver, es ist wie eine innere Reinigung.

Lydia Haider: Ich sitze mit vielen Gespritzten, Tschik und lauter Voodoo-Jürgens-Musik auf der Dachterrasse des Hauses, stiere auf die Stadt und das Meer ringsum beim Schreiben meiner Wien-Orgie, während die Muezzins aus allen Richtungen plärren und mich aus dem Fünfzehnten zurück nach Marokko holen.

6. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Ich liebe die Marokkaner, sie sind so authentisch marokkanisch. Heute bin ich auf einem Kamel geritten, als wäre ich eine von ihnen. Lydia schreibt sehr fleißig an ihrem Buch, dabei kippt sie locker 3-4 Flaschen Wein weg. Maria stolziert ohne Busenhalter vor den frommen Muslimen. Heute haben wir es endlich geschafft, etwas zu kiffen zu besorgen. Es war nicht sehr einfach. In der ganzen Aktion spielte ein Pferd namens Mafoud eine zentrale Rolle.

Maria Hofer: Unsere Anwältin (Anm.: eine Mitreisende) wär fast ins Gefängnis gekommen. Sie hat dann aber geschickt verhandelt. – Jetzt haben wir ein Pferd und Haschisch, das niemand rauchen will.

Lydia Haider: Leider bin ich die Einzige, die arbeitet und dazu fleißig sauft. Steffi ist abstinent, Maria gemäßigt unterwegs, die anderen kiffen ab und zu und kudern dann herum und denken nur ans nächste Restaurant mit WiFi. Ich frage mich, ob ich zu jung oder zu alt bin für diese Gruppe. Ich bräuchte einen Qualtinger neben mir, der mir in jedem Beisl ohne Fragen ein Achtel Schnaps bestellt und mit mir irgendeinen Schas singt.

7. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Nach meiner persönlichen jahrelangen Kiffabstinenz haben wir gestern Abend gemeinsam Haschisch geraucht. Da wir kein Internet haben (deshalb schleichen wir manchmal nachts durch die dunklen Gassen vor Restaurants, die wir untertags besucht haben, und stehen zu fünft mit den Handys auf Hinterhöfen), spielen wir abends Spiele. Gestern hat es nicht mehr so gut funktioniert. Als Lydia beim Pantomimespielen eine Ratte dargestellt hat, mussten wir eine Stunde lang lachen. Danach haben wir "Ich packe in meinen Koffer" gespielt. Aber jeder von uns packte in den Koffer "ein Gramm Hasch". So unterhaltsam! Nur Lydia lachte als Einzige nicht. Ich glaube, heute hat sie sieben Flaschen Wein getrunken. Maria hat mit dem Surflehrer geschmust.

Maria Hofer: Hinter dem Wunsch, was Authentisches zu erleben, steht meist der Drang, was handwerklich qualitativ Wertvolles zu einem Schleuderpreis kaufen zu können für die Lieben daheim.

Lydia Haider: Ich darf nichts Böses über die Hysteria schreiben.

8. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Dieser Urlaub ist toll. Als Frauen in den besten Jahren sind wir aber etwas enttäuscht über den Umgang mit uns. Minirock, Rausgehen ohne BH, roter Lippenstift ringen den Bewohnern Essaouiras nur hin und wieder ein desinteressiertes "Bon jour" ab, und wenn wir uns spätnachts willig zu ihnen an den Strand setzen, wollen sie eingraucht Uno spielen. Der Kölner Hauptbahnhof hat echt zu viel versprochen.

Maria Hofer: Steffi hat gesagt, ich darf nicht sagen: Glaubst, sind das Prostituierte, weil sie meint, "Prostituierte" ist ein internationales Wort. Ich soll besser "Hur" oder "Professionelle" verwenden.

Lydia Haider: Maria und Steffi stecken mein Feuerzeug immer ein. Ich überlege, sie beim nächsten Mal in die Hand zu beißen und dann das Blut lächelnd von meinen Lippen zu lecken.

9. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Essaouira hat neben seiner Kolonialvergangenheit auch eine starke Hippieprägung. In den 60ern belagerten sie die Strände Essaouiras oben ohne und feierten Drogenpartys. Die Berber gelten aber als recht tolerant. Angeblich ignorieren sie einfach alles, was ihnen nicht passt. Ein Buch, das ich hier lese (Essaouira, endlich von Doris Byer), beschreibt auch, dass hier angeblich einige europäische Pädophile ihr Unwesen trieben. Das Haus, in dem sich das laut ihrer Recherche abspielte, klingt in der Beschreibung verdächtig nach dem Haus, das wir hier gemietet haben. Darüber unterhielten wir uns heute auf der Dachterrasse, während der Muezzin sang.

Maria Hofer: Andy hat erzählt, es gibt Leute, die kommen nur, wenn ihnen ein Goldfisch in die Mumu gackst. Ich war die Einzige, die es ihm nicht geglaubt hat, weil ich zu reif für so Blödsinn bin.

Lydia Haider: Ich hasse ja Tiere, von Grund auf, aber Möwen sind wirklich das Letzte vom Allerletzten in dieser unserer Schöpfung: O Herr, vernichte die Möwen und all ihre Ahnen und Nachkommen, damit es die Menschheit erlöse, und nimm auch gleich die Strände, das Meer und alle Arschwarzen mit.

10. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Immer wieder mieten wir uns prollige Quads und zischen eingraucht mit lauten Motorengeräuschen zu sechst über den idyllischen Strand. Das ist Freiheit. Das Bmukk hat mir dafür einen Reisekostenzuschuss gewährt. (Für die Literatur.) Wenn das die FPÖ wüsste.

Maria Hofer: Steffi mobbt mich, weil mir der Surflehrer ein Bussi gegeben hat.

Lydia Haider: Ausflug nach Sidi Kaukee, einem genialen Strand: Alle liegen chillig herum, Maria und Andy machen einen Surfkurs, Steffi baut etwas im Sand, mir bleibt beim Sprung ins kalte Meer kurz die Luft weg.

11. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Heute hat Lydia dreizehn Flaschen Wein getrunken. Maria hat mit dem Muezzin geschmust.

Maria Hofer: Wir haben eine sehr authentische Maturareise!

Lydia Haider: Ildefonso-Sprüche sind unverzichtbar für mich. Heute steht drin: "Viel wirst du geben, wenn du auch gar nichts anderes gibst als dein Beispiel." Ich schreibe am Roman weiter und schenk mit dazu meinen Pflichtgespritzten ein, während mir die Ildefonsoschoko beim Grinsen rausrinnt.

12. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Heute wurde die Idee geboren, André Hellers Paradiesgarten zu besuchen. Um seinen Wohnsitz in Marrakesch hat er sich einen großen Garten gebaut. Da wir aber nicht bereit sind, Eintritt zu zahlen, haben wir heute per Mail um Pressekarten angefragt: "Sehr geehrter Herr Heller, lieber André."

Maria Hofer: Jemand zuhause ist gestorben. Ich versuche damit umzugehen.

Lydia Haider: Ich freue mich über meine zerstörte Sprache, wie immer im Kater. Sie ist ein Mistkübel und hat Mundkarl. (Ich war mit Lilly und zwei marokkanischen Surfertypen in einer Bar, und wir haben teuren Wein gesoffen und uns über die Schlechtigkeit des Menschen ausgetauscht. Ja, auch in Marokko ist der Mensch schlecht.)

13. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Anfangs fand ich den Animagarten kitschig. Aber nachdem wir unser letztes Hasch verwertet hatten, machte der Garten plötzlich Sinn. In der Mülltonne entdeckten wir noch sechs andere abgebrannte Joints. André Heller war tatsächlich anwesend und wurde während unserer Anwesenheit von einem Kamerateam begleitet. Wir machten uns einen Spaß daraus, ihn zu verfolgen. Ich muss sagen, stoned in Nordafrika im André-Heller-Garten zu sitzen, mit einem Fruchtcocktail aus dem André-Heller-Café, dort am kleinen Teich, umgeben von André Hellers Fantasie (quasi mitten in seinem Gehirn), während wir vom Handy Heller-Lieder spielten und mitsangen (Die Kinder sind immer aus Wien), und dabei im Hintergrund immer wieder André Heller in weißen Gewändern zwischen exotischen Büschen auftauchen zu sehen war mit Abstand das Seltsamste, was ich je in meinem Leben gemacht habe.

Maria Hofer: André Heller hat mir zum Trost persönlich einen Toast Hawaii gemacht. Danke nochmal, Andi!

Lydia Haider: Ich hab in Hellers Anime-Garten den Heiligen Geist gefunden. Ich weiß nur nicht, was ich jetzt damit anfangen soll. Vielleicht werde ich gescheiter. (Anm.: Der Garten heißt eigentlich Anima-Garten, und es ist dort nur die Seele zu finden.)

14. Jänner 2017

Stefanie Sargnagel: Ich habe heute Geburtstag. Beim Kerzenausblasen habe ich mir das gewünscht: Wenn ich groß bin, möchte ich wie André Heller sein, nur schlimmer.

Maria Hofer: Ich habe mein Handy im Taxi zum Flughafen liegenlassen und es tatsächlich in letzter Minute wiederbekommen. Das war nicht sehr authentisch.

Lydia Haider: Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus. So Sätze sind der Fluch der Bildung. (Album, 25.2.2017)