Sarah Glidden (36) zeichnet seit zehn Jahren Comics mit journalistischem Inhalt.

Foto: Sarah Shannon

Ein Museum im Irak dokumentiert die Gräuel des Hussein-Regimes.

Foto: Reprodukt / Sarah Glidden

Sarah Glidden
Im Schatten des Krieges

Reprodukt-Verlag 2016
298 Seiten, 29 Euro

Foto: Reprodukt

Wien – Wer sich Journalismus von höchster Aktualität erwartet, wird enttäuscht sein. Denn der Comicband Im Schatten des Krieges – Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei (Reprodukt) wurde von der Geschichte längst überrollt. 2010, wenige Monate bevor im Nahen Osten die Aufstände des Arabischen Frühlings ihren Lauf nahmen, reiste die US-Comickünstlerin Sarah Glidden mit zwei befreundeten jungen Journalisten durch die Krisengebiete.

Das Ziel: den amerikanischen Lesern eine Alternative zum vom US-Militär bezahlten Embedded Journalism zu bieten, dorthin zu gehen, wo die etablierte Berichterstattung blinde Flecken aufweist. Schon damals waren das vielfach Fragen von Flucht und Vertreibung, aber auch fehlende Aufklärung über historische Vorbedingungen der lokalen Konflikte.

"Als der Krieg in Syrien losging, haben viele die Situation im Irak schon vergessen gehabt", sagt Sarah Glidden, "aber es wäre wichtig für Amerikaner, sich den Irakkrieg genau anzusehen und sich die Konsequenzen vor Augen zu führen. Was dort passiert ist, hat Syrien direkt beeinflusst, das muss man immer mitbedenken." 1980 in Boston geboren, hat Glidden den Irakkrieg als prägendes Ereignis ihrer Jugend erlebt. Ab 2006 fing sie an, neben ihrem Malereistudium Comics zu zeichnen, bald auch journalistisch – eine Form, die der bekannte Comicreporter Joe Sacco groß gemacht hat.

Blick hinter die Kulissen

Glidden beschloss aber nicht nur, selbst Comicreportagen herzustellen, sondern auch anderen beim Recherchieren über die Schulter zu schauen, journalistische Arbeit zu dokumentieren. Sechs Jahre hat Glidden an ihrem Comic gearbeitet. Dass sich das Rad der Geschichte währenddessen rasant weitergedreht hat, sei belastend gewesen, "vor allem weil viele Menschen, auf die wir während unserer Reise getroffen sind, durch die Ereignisse bedroht wurden. Man kann sich vorstellen, wie schwierig es ist, Begegnungen mit Menschen zu zeichnen und nicht zu wissen, ob sie noch leben. Es gab Zeiten, in denen ich dachte: Was für einen Sinn hat es, an diesem Comic zu arbeiten, während da draußen schreckliche Dinge geschehen."

Dennoch könnten Comics eine persönlichere, emotionalere Verbindung zu den Themen herstellen, meint Glidden. "Ich nehme mich als Charakter häufig mit hinein in die Reportagen. Das ist eine Journalismustradition, die in den USA auf die 1960er-Jahre zurückgeht. Es ist ehrlich, weil es dem Leser ganz offen zeigt, dass ein journalistischer Artikel nichts Gottgegebenes ist, sondern immer auch subjektiv."

Kampf gegen Vertrauensverlust

Ist diese Erkenntnis nicht Wasser auf die Mühlen jener, die von "Lügenpresse" und "Fake-News" sprechen? "Man muss differenzieren", meint Glidden. "Ja, es gibt eine Vertrauenskrise. Aber das hat einerseits mit Leuten wie Donald Trump zu tun, die Misstrauen schüren und selbst Fake-News produzieren und verbreiten." Andererseits habe es auch damit zu tun, dass es der Medienbranche nach wie vor an Diversität fehle – "die meisten Journalisten in den USA kommen aus den gebildeten Schichten der Küstengebiete. Man muss aber aufpassen, sich nicht zu sehr von den weniger gebildeten Leuten zu entfernen. Man darf den Blick für ihre Probleme nicht verlieren."

Doch auch handwerklich würden in Zeiten des Onlinejournalismus viele Fehler gemacht, kritisiert Glidden: "Im Moment sprechen wir teilweise sogar zu viel über Trump." Wichtiges werde derzeit ignoriert, weil man an jedem Tweet hänge, den er von sich gibt. "Weil sich heute der gesamte Journalismus klickgetrieben ins Internet verlagert hat, stehen Printjournalisten mächtig unter Druck. Leute priorisieren Artikel über Trump, weil sie wissen, dass das Leser bringt." Künstler und Journalisten sollten sich nicht von den Emotionen, die Trump in die politische Kultur hineingebracht hat, anstecken lassen, meint Glidden. "Es ist jetzt besonders wichtig, seriös, ruhig, organisiert und bestens informiert zu bleiben."

Lob des Grabens

In diesem Sinn erscheint der Comic Im Schatten des Krieges auch als Lob der Langsamkeit. Als Plädoyer für das Hinuntergraben zu den Wurzeln globaler Konfliktlagen. Dass Glidden dem Sichtbarmachen journalistischer Arbeitsweisen mitunter auch zu viel Platz einräumt und hart an der Grenze zum narzisstischen Um-sich-selbst-Kreisen agiert, sollte man – wenn schon medienkritisch – ebenso im Auge behalten. Der Erfolg weiterer Arbeiten (in Planung sind Comics zur Flüchtlingskrise und zum Klimawandel) wird nicht zuletzt auch davon abhängen, wie sehr sie den Faktor Ich künftig in den Mittelpunkt stellen will. (Stefan Weiss, 8.3.2017)