Seit Mittwoch im Amt und schon mit Protesten konfrontiert: Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) hofft auf konstruktive Gespräche mit der Ärztekammer.

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"Bei Kindern haben wir verschiedene Ansatzpunkte, eine generelle Impfpflicht schließe ich aber aus", sagt die neue Gesundheitsministerin.

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Rendi-Wagner ist auch Frauenministerin. "Dass die Quote funktioniert, sieht man etwa in den Aufsichtsräten bei staatsnahen Betrieben", sagt sie.

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STANDARD: Neuen Ministern wird eigentlich eine 100-Tage-Frist eingestanden. Sie haben einen wenig sanften Start: Am Mittwoch plant die Wiener Ärztekammer einen Aktionstag, die niederösterreichische Standesvertretung organisiert ein Volksbegehren gegen das Primärversorgungsgesetz. Können Sie die Ärzte noch überzeugen?

Rendi-Wagner: Die Ärztekammer ist eine Interessenvertretung. Es ist legitim, ihre Anliegen lautstark kundzutun – doch das darf nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. Ich habe bereits mit Kammerpräsident Artur Wechselberger telefoniert. Ich denke, wir liegen bei unseren Ansichten nicht weit auseinander.

STANDARD: Die Wortwahl der Kammer ist alarmistisch: kaputtsparen, das System an die Wand fahren, Zweiklassenmedizin. Bleibt das bei Patienten hängen?

Rendi-Wagner: Als Standesvertretung gehört eine gewisse Wortwahl zur Artikulation der eigenen Wünsche dazu. Wir werden dennoch konstruktive Gespräche führen.

STANDARD: Angesichts der langen Wartezeiten auf Magnetresonanzuntersuchungen oder Facharzttermine haben dennoch viele den Eindruck, dass das Gesundheitssystem eben nicht funktioniert.

Rendi-Wagner: Man muss diese zwei Dinge trennen. Bei den Wartezeiten bin ich der Meinung, jeder Patient, der eine dringende MRT-Untersuchung benötigt, muss sie auch bekommen – unabhängig ob Privatmittel eingebracht werden können oder nicht. Das ist mein vorrangiges Ziel. In den nächsten Wochen müssen wir abwarten, was bei den Verhandlungen der Vertragspartner Sozialversicherung und Wirtschaftskammer herauskommt, sonst werde ich einen Gesetzesvorschlag vorlegen.

STANDARD: Haben Sie eigentlich eine private Zusatzversicherung?

Rendi-Wagner: Ja, über das Außenministerium wurde für den Auslandsaufenthalt meines Mannes eine Gruppenversicherung abgeschlossen. Wir waren vier Jahre in Israel, dort war das notwendig. Ein ähnliches Versicherungsverhältnis läuft weiter.

STANDARD: Existiert derzeit das solidarische Gesundheitssystem nur noch auf dem Papier?

Rendi-Wagner: Österreich hat im europäischen Vergleich ein hervorragendes Gesundheitssystem, eine sehr gute Krankenversorgung, hochqualifizierte Ärzte und ebensolches Gesundheitspersonal – darauf bauen wir auf. Unser Ziel muss die zeitgemäße Weiterentwicklung des bestehenden Systems sein.

STANDARD: Doch aktuell haben wenige Ärzte Interesse daran, sich überhaupt für einen Kassenvertrag zu bewerben. Die Planstellen werden trotz Bedarfs nicht erhöht, bei der Primärversorgung kommen Ärzte und Vertragspartner auch nicht zusammen. Wo hakt es?

Rendi-Wagner: Die Kollegen haben heute andere Anforderungen an den Beruf als vor 20 oder 30 Jahren, etwa bei Arbeitszeiten – Stichwort Work-Life-Balance. Sie wollen in Teams arbeiten, auch multiprofessionelles Arbeiten ist mehr gefragt.

STANDARD: Das ist aber auch der Hauptkritikpunkt der Kammer: die Vorrangstellung des Arztes.

Rendi-Wagner: Ich rede von meinen Kollegen, mit denen ich täglich spreche. Diese haben andere Vorstellungen. Natürlich orientieren wir uns an den Patienten und auch an den Bedürfnissen aller Gesundheitsberufe.

STANDARD: Das heißt, Sie setzen auch auf Zeit, bis eine andere Generation das Sagen hat.

Rendi-Wagner: Diese Generation gibt es schon. Deshalb müssen wir auch auf sie eingehen und vorausschauend denken. Wir müssen so planen, dass Kollegen nicht mehr als Wahlärzte praktizieren, sondern als Vertragsärzte arbeiten wollen.

STANDARD: Als Gesundheitsministerin wachen Sie über ein System, in dem Sie weniger zu sagen haben als die Länder und die Sozialversicherung. Stört Sie das?

Rendi-Wagner: Es braucht viele Partner. Durch das Konzept der Bundeszielsteuerung haben wir einen Arbeitsrahmen, der eine gemeinsame Planung und Finanzierung zum Ziel hat.

STANDARD: Würden Sie sich eine Verschiebung der Machtverhältnisse wünschen?

Rendi-Wagner: Das derzeitige System der Zusammenarbeit der Partner ist auf einem sehr guten Weg. Das ist auch ein Paradigmenwechsel, der hier vollzogen wurde. Das braucht Zeit.

STANDARD: Nun sieht man aber bei Ihrer Forderung nach einer Masernimpfpflicht für Gesundheitsberufe, dass es dazu neun Landesgesetze braucht, weil Spitäler eben Ländersache sind.

Rendi-Wagner: Das ist auch ein Thema bei der Landesgesundheitsreferentenkonferenz am Donnerstag. Wir haben in den ersten zwei Monaten 2017 doppelt so viele Masernfälle registriert wie im Vorjahr. Das ist eine ernste Entwicklung. Über 15 Prozent der Fälle sind im Bereich des Gesundheitspersonals und in Spitälern aufgetreten. Hier wollen wir als Erstes draufschauen, um die Impflücken beim Gesundheitspersonal zu schließen.

STANDARD: Mit einer Impfpflicht oder einem Impfnachweis für Spitalsmitarbeiter?

Rendi-Wagner: Es ist für mich sekundär, wie wir es benennen. Wir haben die Verpflichtung, die Durchimpfungsrate beim Gesundheitspersonal zu erhöhen, damit Patienten nicht Gefahr laufen, sich im Spital durch ungeimpftes Personal anzustecken.

STANDARD: Warum dann nicht gleich im Kindesalter ansetzen?

Rendi-Wagner: Die erste Priorität haben jetzt die Gesundheitsberufe. Bei Kindern haben wir verschiedene Ansatzpunkte, eine generelle Impfpflicht schließe ich aber aus.

STANDARD: Wie wollen Sie dann die Impfmoral bei Masern erhöhen?

Rendi-Wagner: Aufklärung ist eine wichtige Maßnahme, das möchten wir beibehalten. Die Kampagne, die seit 2014 läuft, ist erfolgreich. – das sehen wir am Impfstoffverbrauch. Helfen würde ein elektronischer Impfpass. Wir haben die technische Umsetzung bereits prüfen lassen, die Ergebnisse schaue ich mir jetzt an.

STANDARD: Können Sie sich eine indirekte Impfpflicht vorstellen: etwa Impfnachweise für öffentliche Kindergärten oder Schulen?

Rendi-Wagner: Ein verpflichtender Impfnachweis wäre eine Möglichkeit. Es müssen aber verschiedene Maßnahmen kombiniert werden.

STANDARD: Zur Diskussion steht auch ein verpflichtendes Impfgespräch im Rahmen des Mutter-Kind-Passes.

Rendi-Wagner: Der Mutter-Kind-Pass wird gerade überarbeitet. Ein verpflichtendes Impfgespräch wäre sehr sinnvoll, dafür werde ich mich einsetzen.

STANDARD: Thema bei der Landesgesundheitsreferententagung diese Woche ist auch ein Rauchverbot für unter 18-Jährige. Sind Sie dafür?

Rendi-Wagner: In Österreich ist das Einstiegsalter beim Rauchen von Jugendlichen sehr niedrig. Das ist keine angenehme Situation, ich unterstütze das Verbot. Wir müssen hier wie auch derzeit auf ein Bewusstmachen setzen. Überhaupt sind bei Gesundheitsförderung und Prävention Ergebnisse nur mittel- oder langfristig messbar. Wir sehen erst in zehn, zwanzig Jahren, ob Kinder seltener übergewichtig sind oder das Suchtverhalten zurückgeht. Das ist politisch unattraktiv, trotzdem sehr wichtig.

STANDARD: Frauenpolitik stand bisher nicht auf Ihrer Agenda. Ihre verstorbene Vorgängerin Sabine Oberhauser hat gesagt: Nichts ist in der Politik so hart wie Frauenpolitik. Sehen Sie das genauso?

Rendi-Wagner: Allein kann man als Frauenministerin wenig umsetzen. Frauenpolitik ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Enge Kooperationen innerhalb der Regierung und mit Frauenorganisationen sind wichtig.

STANDARD: Welche Themen wollen Sie angehen?

Rendi-Wagner: Das Schließen der Lohnschere, etwa durch Lohntransparenz in Betrieben, die Einführung eines Mindestlohns von 1500 Euro, weil wir wissen, dass 200.000 Frauen unter der Einkommensgrenze leben. Bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie müssen wir Maßnahmen vorbereiten, wie das zweite Gratiskindergartenjahr, den weiteren Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen oder Ganztagsschulen.

STANDARD: Wenn man einen Blick auf die Regierungsbank wirft, sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Von 16 Regierungsmitgliedern sind nur vier weiblich.

Rendi-Wagner: Ich bin eine große Befürworterin der Quote. In einem ersten Schritt müsste man es schaffen, dass mehr Frauen im Nationalrat vertreten sind. Dass die Quote funktioniert, sieht man etwa in den Aufsichtsräten bei staatsnahen Betrieben. Dass Frauen auch in der Politik unterrepräsentiert sind, muss behoben werden. Frauenpolitik ist Gesellschaftspolitik. Wir müssen es schaffen, dass mehr Frauen in politischen Funktionen tätig sind.

STANDARD: Ärgert Sie, dass bei Ihrer Bestellung Ihre Mutterrolle sofort erwähnt wurde und Sie ständig nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefragt werden?

Rendi-Wagner: Männliche Kollegen sollten das auch gefragt werden. Aber ich fände es nur dann ein Ärgernis, wenn ich nicht Frauenministerin wäre, so ist es eine logische und legitime Frage. (Marie-Theres Egyed, 12.3.2017)