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Bakterien sind lebensnotwendig für den Menschen. Die Forschung an ihnen ist genauso wichtig.

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Michael Wagner ist einer der am häufigsten zitierten Mikrobiologen weltweit.

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Die meisten Menschen sehen in Bakterien nur Krankheitserreger, die bekämpft werden müssen. Tatsächlich aber gäbe es ohne Bakterien kein Leben auf der Erde, da diese die lebenswichtigen Stoffkreisläufe unseres Planeten in Bewegung halten und unzählige Dienste für Pflanzen, Tiere und den Menschen leisten. So helfen uns Bakterien bei der Lebensmittelherstellung, reinigen Abwässer in Kläranlagen und entfernen Ölverschmutzungen in den Meeren. Überall, wo auf der Erde Leben möglich ist, wohnen diese mikroskopisch kleinen Lebewesen in unglaublicher Vielfalt und Zahl, und es ist nicht übertrieben, sie als eigentliche Herrscher unseres Planeten zu bezeichnen, den sie im Gegensatz zu uns schon seit Milliarden Jahren bewohnen.

Durch technologische Fortschritte können Wissenschafter heute Bakteriengemeinschaften im Detail untersuchen. Eine der aufregendsten Entdeckungen der vergangenen Jahre war die Erkenntnis, dass der menschliche Körper Heimat hunderter verschiedener Bakterienarten ist und dass Veränderungen der Zusammensetzung dieser Bakterienwohngemeinschaften, die wir Mikrobiom nennen, mit unzähligen Krankheiten zusammenhängen.

Das Mikrobiom des Menschen

Jeder Mensch hat eine einzigartige bakterielle Wohngemeinschaft, deren Zusammensetzung zum Teil genetisch bestimmt, aber auch durch unsere Ernährung und unser Verhalten beeinflusst wird. Die meisten Bakterien finden sich im menschlichen Darm, in dem mehr als ein Kilogramm dieser Organismen vorkommen. Viele Forscher sehen im Darmmikrobiom ein bislang übersehenes Organ.

Schon die Art der Geburt hat einen großen Einfluss auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms – mit Kaiserschnitt geborene Kinder unterscheiden sich hierin deutlich von Kindern, die durch den Geburtskanal geboren wurden. Diese Unterschiede werden als eine mögliche Ursache für Krankheiten wie Allergien, Asthma und entzündliche Darmerkrankungen diskutiert, die bei durch Kaiserschnitt geborenen Kindern gehäuft auftreten. In diesem Zusammenhang ist der gegenwärtige Trend zur Kaiserschnittgeburt auch ohne medizinische Indikation bedenklich. Im weiteren Leben beeinflussen wir unser Darmmikrobiom durch unsere Ernährung, das Zusammenleben mit Haustieren, Hygienemaßnahmen und viele weitere Faktoren. Besonders beim Einsatz von Breitbandantibiotika kann es zu einem regelrechten Kahlschlag im Darmmikrobiom kommen, der in manchen Fällen zum Überwachsen der Darmflora mit Clostridium difficile – einem gefährlichen Krankheitserreger – führt.

Stuhltransplantation als Hoffnungsträger

Der Erreger Clostridium difficile kann interessanterweise sehr erfolgreich durch Transplantation von Stuhl eines gesunden Spenders in den Darm des Patienten wieder zurückgedrängt werden. Dieses zugegebenermaßen etwas unappetitlich anmutende Verfahren wird heute bereits in der Klinik angewandt. Dieser Therapieansatz ist besonders spannend, da auch eine Vielzahl weiterer Krankheiten wie Typ-1-Diabetes, Fettsucht, entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, Enddarmkrebs, aber auch psychische Erkrankungen wie Depressionen und Autismus mit Veränderungen der Darmflora einhergehen. Selbst die Wirksamkeit mancher Medikamente wird durch die Zusammensetzung der Darmflora beeinflusst.

Es sind noch große Forschungsanstrengungen notwendig, um herauszufinden, welche Krankheiten tatsächlich durch Veränderungen des Mikrobioms verursacht werden und wie am besten gezielt ein aus dem Gleichgewicht geratenes Darmmikrobiom positiv beeinflusst werden kann. Es wird bald eine Selbstverständlichkeit sein, das Darmmikrobiom von Patienten routinemäßig zu analysieren. Basierend auf solchen Daten können dann auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Maßnahmen zur Wiederherstellung einer "gesunden Darmflora" getroffen werden. Hierfür wird aller Voraussicht nach die Stuhltransplantation durch die Einnahme von geeigneten Bakterienstämmen ersetzt werden. International investiert man bereits enorme Summen in die Mikrobiomforschung, und ich hoffe, dass auch in Österreich die notwendigen Strukturen und Fördermittel bereitgestellt werden, um in diesem Zukunftsfeld dauerhaft Spitzenforschung betreiben zu können.

Das postantibiotische Zeitalter droht

Auch wenn die meisten Bakterien "Freunde des Menschen" sind, so existieren doch eine Reihe von gefährlichen bakteriellen Krankheitserregern, die zum Beispiel für verheerende Plagen wie Pest, Cholera und Tuberkulose verantwortlich sind. Nach der Entdeckung unterschiedlicher Antibiotika zwischen 1928 und 1970 schienen bakterielle Krankheitserreger mehr oder weniger besiegt zu sein, und die Zahl der an Bakterieninfektionen verstorbenen Menschen ging dramatisch zurück. Das Gefühl der Sicherheit war jedoch trügerisch, da nicht genügend beachtet wurde, dass Bakterien gegen alle Antibiotika im Lauf der Zeit resistent werden.

Durch den leichtfertigen Einsatz dieser Wunderwaffen der Medizin in der Tiermast, das häufige und medizinisch unsinnige Verschreiben von Antibiotika zur Therapie viraler Erkältungskrankheiten, die zu kurze Einnahmedauer dieser Medikamente durch viele Patienten und mangelnde Anstrengungen zur Erforschung neuer Antibiotika treten jetzt gehäuft Erreger auf, gegen die kaum oder gar keine bekannten Antibiotika mehr wirken. Es droht ein postantibiotisches Zeitalter, in dem unsere Lebenserwartung dramatisch sinken und wir wieder an längst besiegt geglaubten Krankheiten sterben würden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Was können wir tun?

Durch deutliche Reduktion des Fleischkonsums, Einkauf von Bio-Fleisch – bei dessen Erzeugung die Gabe von Antibiotika stark eingeschränkt ist – und ein nicht zu frühes Abbrechen der Einnahme von Antibiotika bei der Behandlung kann jeder etwas dazu beitragen, dass die Ausbreitung der Antibiotikaresistenzen unter den Mikroorganismen verlangsamt wird. Parallel dazu muss die Forschung mit Hochdruck an neuen Antibiotika forschen. Die unzähligen noch nicht charakterisierten Bakterien, die in der Umwelt vorkommen, sind hierfür eine vielversprechende Quelle. Da die Entwicklung neuer Antibiotika für die Pharmaindustrie nicht lukrativ ist, ist hier auch der Staat gefragt. Finanziert werden könnte die Antibiotikaforschung beispielsweise mit einer Antibiotikasteuer, die zudem die oft unnötige Verwendung dieser Medikamente reduzieren würde. (Michael Wagner, 14.3.2017)


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