Ich gebe mir Mühe, stets eine Zunge im Eiskasten zu haben. Ob sie von Kalb, Rind oder Schwein stammt, ist mir dabei relativ egal, ich nehme, was im Angebot ist. Selbst Fischzungen können ganz köstlich (wenn auch nicht sehr füllend) sein. Bloß Entenzungen, in China sehr beliebt, haben mich bisher aufgrund des lästigen Knochens in ihrer Mitte nicht so recht überzeugt.

Foto: Tobias Müller

Das tollste an der Zunge ist vielleicht, dass sie so wunderbar unkompliziert ist und gut vorbereitet werden kann. Im Gegensatz zu heiklen Stücken wie dem Filet oder der Leber wird selbst der ungeschickteste Koch es kaum schaffen, sie kaputtzukochen. Selbst wenn sie zwei Stunden am Herd vergessen wird, ist meist immer noch alles gut. Erst lange, niedrige Hitze gibt ihr eine wunderbar zarte Konsistenz und einen üppigen Schmelz, an den kaum ein anderes Fleischteil in ihrer niedrigen Preisklasse heranreicht; und sie hat einen so feinen, ausgeprägten Eigengeschmack, dass sie sowohl für sich, nur mit Salz bestreut, als auch mit kräftigen Aromen gepaart bezaubern kann.

Foto: Tobias Müller

Legen Sie eine x-beliebige Zunge einfach in einen Topf, packen einige x-beliebige Wurzelabschnitte – Sellerieschale, Karottenteile, was auch immer gerade zur Hand ist – und Gewürze wie Lorbeerblatt, Thymian und Pfeffer dazu, bedecken alles mit Wasser, bringen es zum Sieden, und denken je nach Zungengröße ein paar Stunden nicht mehr daran – fertig ist die Köstlichkeit. Im Sud erkaltet, hält die Zunge sich problemlos mehrere Tage und kann jederzeit bei Bedarf in wenigen Minuten in ein Essen verwandelt werden. Das Kochwasser – die Zungensuppe – wiederum ist ein perfekter Fond für Risotto oder jegliches grünes Gemüse.

Foto: Tobias Müller

Zunge hat für einen Muskel einen erfreulich hohen Fettanteil. Mein Lieblingsstück ist der dicke Teil ganz hinten, der unten im Schlund sitzt, und der besonders weich, fast cremig, wird und einen nochmals intensiveren Geschmack hat als der Rest. Zur Spitze hin wird das Fleisch dann immer magerer und knackiger. Die Zunge ist von einer Haut überzogen, die beim Kochen hart wird und entfernt werden muss. Dieses Schälen ist der einzige Wermutstropfen des Zungenkochs und mitunter ähnlich frustrierend wie jenes eines hartgekochten Eis. Ich habe bisher kein System hinter dem Phänomen entdeckt, warum sich manche Zungen ganz leicht, andere nur äußerst ungern schälen lassen. Wenn wer mehr weiß: Ich freue mich sehr über Hinweise.

Perfekt im Frühling

Generell koche ich Schweinszunge je nach Größe ungefähr drei Stunden, Kalbs- beziehungsweise Rindszunge vier bis sechs Stunden und Schafs- und Ziegenzungen eine bis zwei Stunden. Ich schäle sie, wenn sie etwas ausgekühlt, aber noch merkbar warm sind. Falls ich sie nicht sofort verwende, lagere ich die geschälte Zunge im abgeseihten Kochsud im Kühlschrank.

Die Möglichkeiten des Zungengenusses sind mannigfaltig und nur von der Phantasie des Zungenkochs begrenzt. Sie eignet sich hervorragend lauwarm für Salate oder kalt als Sandwich-Auflage, als Star auf einem Haufen buttrigen Erdäpfelpürees oder als würzige Tacofüllung. Der Frühling ist übrigens eine besonders gute Jahreszeit, um Zunge zu genießen: Sie harmoniert gut mit scharfen und bitteren Aromen, und ihre samtige Konsistenz verlangt nach einem knackigen Kontrapunkt. Frühlingsfreuden wie zarte Löwenzahn- und Blutampferblätter oder wilde Hopfensprossen sind allesamt hervorragende Zungenbegleiter. Hier zwei Anregungen.

Lauwarmer Zungensalat mit Käse und Senfdressing

Die gekochte Zunge in dünne Scheiben schneiden. Falls sie kalt ist, im Kochsud erwärmen. Aus drei Teilen Olivenöl, einem Teil Rotweinessig, ordentlich Pfeffer und ein wenig Dijonsenf eine Marinade rühren. Eine Handvoll geschälter Walnüsse im Rohr oder der Pfanne rösten, bis sie duften, und in grobe Stücke hacken.

Die Zunge abtropfen, auf einem Teller verteilen und ordentlich salzen. Mit den gehackten Nüssen bestreuen und harten Schafs- oder Ziegenkäse darüber reiben. Einige Blutampferblätter (oder auch Sauerklee, junger Löwenzahn oder Ähnliches) darauf legen und alles mit dem Dressing beträufeln.

Foto: Tobias Müller

Zungensandwich mit viel Gemüse und weichem Ei

Ich bin generell ein Proponent des offenen Sandwiches, also ohne obere, abdeckende Brotscheibe, zumindest wenn es um selbstgemachte Sandwiches geht. Das macht zwar das Essen etwas schwieriger, mit Deckel ist aber das Verhältnis zwischen Belag und Brot zu schnell aus dem Gleichgewicht.

Die Zunge in ungefähr fünf Millimeter dicke Scheiben schneiden. Ein Ei kernweich kochen. Sauerteigbrot toasten und mit Dijonsenf bestreuen. Die Zungenstücke darauf verteilen. Mit dünn gehobelten Radieschen und deren frischen Blättern und vergorenen (oder auch frischen) roten Rüben und dem weichgekochten Ei belegen. Nach Geschmack frischen Dill darauf verteilen und so gut es geht essen.

Foto: Tobias Müller

Linsensalat mit Schafskäse, Zunge und wildem Kerbel

Wilder Kerbel gehört zu den besten Dingen, die der Frühling hervorbringt. Wenn Sie ihn am Wegrand sehen, greifen Sie ordentlich zu!

Die Linsen in Gemüsesuppe weich kochen und abseihen. Noch warm mit gewürfelter Zunge, Feta-artigem Schafskäse, Radieschen, Fenchel oder was sonst gerade zur Hand ist und viel frischem Kerbel mischen. Mit ordentlich Olivenöl und nicht zu wenig Essig abschmecken. (Tobias Müller, 19.3.2017)

Weiterlesen
Cime di Rapa: Unscheinbar gut

Supersauer: Rote-Rüben-Suppe aus dem Gärtopf

Nudeln mit Frühlingszwiebelöl