Gemüse besteht aus vielen Teilen. Manche davon landen im Müll, obwohl sie köstlich schmecken.

Foto: Sylvan Müller, AT-Verlag

Die beiden Schweizer Esther Kern und Pascal Haag präsentieren in ihrem Buch "Leaf to Root" Rezepte vom Blatt bis zur Wurzel.

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Von den Karotten lässt sich aus das Grün verwerten.

Foto: imago/Martin Wagner

"Leaf to Root", 300 Seiten, 51,30 Euro, AT-Verlag.

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STANDARD: Wie kamen Sie darauf, mit Gemüseteilen zu arbeiten, die man sonst wegwirft?

Esther Kern: Ich war überrascht, als ich vor ein paar Jahren gesehen habe, dass ein paar Spitzenköche mit besonderen Gemüseteilen arbeiten. Und plötzlich habe ich gemerkt, dass es viele Köche gibt, die sich mit dem Thema befassen. Heinz Reitbauer (Spitzenkoch, Restaurant Steirereck Wien, Anm.) hat zum Beispiel Artischockenstängel vom Feld geholt, sie geschält und ähnlich wie Spargel zubereitet. Ich habe hinterfragt, warum wir bei vielen Dingen wie der Karotte die Hälfte wegwerfen. Das Kraut der Karotte ist genauso wertvoll.

STANDARD: Aber wahrscheinlich lässt sich nicht alles verwerten?

Pascal Haag: Man muss schon ein bisschen herumexperimentieren. Was passiert zum Beispiel, wenn man Karottengrün frittiert, es kocht oder im Ofen zubereitet? Erst wenn man weiß, wie man gewisse Dinge zubereiten kann, kreiert man ein Gericht daraus.

STANDARD: Wie sind die Reaktionen auf Gerichte, die aus Wurzeln, Schalen oder Blättern gekocht wurden?

Kern: Sehr unterschiedlich. Manche lehnen es kategorisch ab, weil sie es nicht kennen und bei manchen Sachen immer noch glauben, dass sie giftig sind. Andere wiederum waren total überrascht, weil sie sich selbst noch nie Gedanken darüber gemacht haben, es aber dann total logisch für sie klang.

STANDARD: Das Ganze erinnert ein wenig an die Waste-Cooking-Bewegung.

Haag: Wir wollen bewusst kein Waste-Cooking machen. Einige Dinge, die wir ausprobiert haben, funktionierten nicht. Das muss man akzeptieren. Die Rezepte, die wir kreiert haben, erweitern den geschmacklichen Horizont.

Kern: Im Mittelpunkt steht der Geschmack und nicht die totale Verwertung. Es geht um die Wertschätzung für das Gemüse. Man sieht plötzlich, dass Gemüse mehr ist als in Wasser gezogene Biomasse und dass es auch eine gute Hauptspeise sein kann. Außerdem tut man sich so vielleicht leichter, nicht jeden Tag Fleisch zu essen.

STANDARD: Ist es nicht schwierig, an gewisse Gemüseteile zu kommen?

Kern: Manches findet man auf dem Markt. Aber es empfiehlt sich, zum Bauern zu gehen und explizit danach zu fragen. Wir haben in der Schweiz einige Bauern, die schon umgestellt haben. Die verkaufen nicht nur den Spinat, sondern auch die Spinatwurzel. Es ist eine Win-win-Situation, weil es für den Bauern auch eine neue Einnahmequelle ist.

STANDARD: Es gibt aber auch Dinge wie Tomatengrün, die man nicht essen soll.

Kern: Wir haben kein eigenes Rezept mit Tomatengrün. Doch wir sind im Zuge der Recherche draufgekommen, dass es sehr wohl Köche gibt, die es einsetzen, zum Beispiel um ein Gericht zu aromatisieren. Es geht immer um die Menge und auch um die Sorte. Ich habe sogar ein Rezept für ein Pesto gefunden, in dem Tomatengrün enthalten war.

STANDARD: Was hat sich im Rahmen Ihrer Recherche als besonders dankbares Gemüse erwiesen?

Haag: Es gab viele Dinge, die mich überrascht haben. Blumenkohlblätter zum Beispiel schmecken erstaunlich gut. Ich verwende sie für ein Curry. Den Stiel des Brokkoli kann man schälen und wie Spargel verwenden. Auch der Krautstrunk schmeckt toll.

STANDARD: Wie bereitet man denn einen Krautstrunk zu? Schmeckt der nicht sehr holzig?

Haag: Nein, überhaupt nicht. Wenn man den Krautkopf viertelt, nimmt man den Strunk heraus. Den kann man kochen und zum Beispiel in einer Rotweinsauce schmoren. Er schmeckt ein bisschen wie Ossobuco.

Kern: Das Tolle beim Strunk ist, dass er eine völlig neue Textur hat, die man so nicht kennt. Er ist kompakt und fleischig, schmeckt aber trotzdem nach Kraut. Wenn man den Strunk kocht, muss man sich natürlich überlegen, was man mit dem ganzen restlichen Kraut macht, oder man serviert ihn nur als Amuse-Gueule.

STANDARD: Muss man alles kochen, oder kann man manche Dinge auch roh essen?

Haag: Manche Dinge kann man auch roh essen wie zum Beispiel Radieschenblätter. Eigentlich schneidet man Radieschen in einen Salat und schmeißt die Blätter weg. Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Die Blätter schmecken besser als jeder Rucola.

STANDARD: Man sagt ja, dass in der Schale viele Vitamine enthalten seien. Aber schmeckt sie auch?

Haag: In der Schale sind nicht nur Vitamine, sondern dort ist vor allem Aroma. Gurkenschalen im Cocktail kennen wir ja. Man kann zum Beispiel auch die Schalen der Pastinaken zu Chips verarbeiten.

STANDARD: Sie haben mit Ihrem Buch den Begriff "Leaf to Root" kreiert. Neu ist das Phänomen wahrscheinlich nicht?

Kern: Historisch gesehen ist es nicht neu. Salat war früher ein ganz normales Gemüse. Man hat nicht nur die frischen Blätter gegessen, sondern auch den Stängel oder die Wurzel. Kohlrabiblätter hat man früher auch mitgekocht, und man findet noch Rezepte damit in alten Kochbüchern. Es war ganz normal, Dinge zu verkochen, die man hatte. Erst als die ersten Kochbücher kamen, hat man sich mehr auf die Edelteile des Gemüses konzentriert.(Alex Stranig, RONDO, 4.4.2017)

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