Wien – Brunhilde Pomsel war 103 Jahre alt, als sie für den Film "Ein deutsches Leben" ein Interview gab. Sie behauptete, sich an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erinnern zu können, doch ihre eigentliche Bedeutung als historische Zeugin rührt aus der Zeit, in der sie im Büro von Joseph Goebbels arbeitete, einem "der allerobersten Chefs" des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland.

Großaufnahme einer Frau, die nahe an der Macht saß: Brunhilde Pomsel in "Ein deutsches Leben".
Foto: Polyfilm

Mit Goebbels ging Pomsel schließlich auch in den Führerbunker. Ihr Bericht bekommt damit filmhistorisch eine doppelte Referenz: Oliver Hirschbiegels Film "Der Untergang" beruht bekanntlich auf Erinnerungen von Hitlers Privatsekretärin Traudl Junge, mit der es auch einen Interviewfilm gibt ("Im toten Winkel").

"Ein deutsches Leben" spielt aber mit seinem Titel auch auf einen Klassiker des neuen deutschen Films an, auf Theodor Kotullas "Aus einem deutschen Leben", einen Versuch über den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. Im Vergleich zu Höß war Pomsel nicht einmal eine Mitläuferin, sie hat immer nur aufgeschrieben, aber nie etwas unterschrieben, wofür sie persönlich hätte einstehen müssen. Nach dem Krieg wurde sie trotzdem für fünf Jahre in der sowjetischen Zone interniert.

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Was kann man von einem Film mit einer sehr betagten Protagonistin erwarten? Das Erste, was die vier (!) Filmemacher Christian Krönes, Florian Weigensamer, Roland Schrotthofer und Olaf S. Müller hervorheben, ist eben dieses Alter. In Schwarz-Weiß-Bildern und mit aggressivem Licht lassen sie Pomsel wie ein Fossil wirken, ein Schuppentier mit Drachenhaut, das zugleich eine elegante Dame mit Brille ist. Sie ist geistig absolut präsent, alles andere wäre aber auch ein Skandal gewesen. Denn Pomsel ist nun einmal keine Zeugin ersten Ranges, die man um jeden Preis der Welt vor die Kamera holen musste.

Im Gegenteil, man beginnt sich bald zu fragen, worum es eigentlich geht. Was wollten die Filmemacher von Pomsel wissen, was sollen wir durch sie erfahren? Es zeigt sich, dass der Diskurs über die Kollektivschuld und den Anteil, den eine Sekretärin selbst im Machtzentrum daran hatte, für Pomsel zu hoch ist. Da man die Fragen der Gestalter nicht hört, ist unklar, ob sie von selbst darauf gekommen wäre.

Schicksal auf dem Gehaltszettel

Ihre Reflexionen sind aber banal ("Gott gibt es nicht, aber den Teufel gibt es"; "Ich war immer ein bisschen äußerlich"), fast so wie eine pflichtschuldige Wortspende. Der interessanteste Moment ist der, in dem sie von ihrem Gehaltssprung erzählt, als sie in den 1930er-Jahren zum Rundfunk kam, also erstmals in den Bereich der Propaganda. Die Ministeriumszulage auf der Gehaltsabrechnung war hoch, aber "das war nun einmal mein Schicksal". Unpassender (und damit zutreffender) ist dieses große Wort selten gebraucht worden.

Einen Film über Verantwortung kann man mit Pomsel nicht machen, und wenn, dann hätte man die Erzählung nicht 1950 beenden dürfen, sondern man hätte fragen müssen, wie man mit diesen Erinnerungen (vielen banalen, aber auch mit solchen an die Sportpalastrede, in der Goebbels zum "totalen Krieg" aufgerufen hatte) noch mehr als 60 Jahre lebt.

Es scheint, als hätten die Filmemacher selbst das Gefühl gehabt, dass das Gesprächsmaterial sowohl in moralischer als auch in zeithistorischer Hinsicht von beschränkter Relevanz bleibt. "Ein deutsches Leben" ergänzt die Interviewpassagen mit Archivmaterial, das stellenweise sehr interessant ist, dann aber seltsam disparat wirkt: Pomsels eher ratlose Überlegungen über Möglichkeiten des Widerstands werden mit einem Ermutigungsfilm der polnischen Heimatarmee montiert. So hinterlässt "Ein deutsches Leben" insgesamt einen zwiespältigen Eindruck: Dem mutmaßlich großen Thema war hier niemand so richtig gewachsen. (Bert Rebhandl, 4.4.2017)