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Gedenken an die Opfer des Attentats in der U-Bahn zwischen den Stationen Sennaja-Platz und Technologisches Institut (Bild) im Zentrum von St. Petersburg.

Foto: REUTERS/Grigory Dukor

Bestätigt wurde es zwar erst am Dienstag, doch alle Spuren, schrieben russische Medien, deuteten schon Stunden nach dem Anschlag darauf hin, dass der Täter von St. Petersburg aus Kirgisistan stammte. Auch die Suche nach möglichen Hintermännern bezog sich auf Gruppen aus Zentralasien. Dass die russischen Behörden in diese Richtung ermitteln, galt nicht mehr als große Überraschung. Denn die zentralasiatischen Staaten sind in den vergangenen Jahren zu Sorgenkindern der Antiterrorkämpfer geworden – auch wenn ihre Bewohner mehrheitlich als Anhänger eines moderaten Islam gelten.

Rund 4.000 Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und im Irak sollen nach Schätzungen des Thinktanks International Crisis Group (ICG) mit Stand Ende 2015 aus der Region stammen. Auch in Attentate im Ausland waren Menschen aus den zentralasiatischen Staaten schon verwickelt: Die Angreifer beim blutigen Anschlag auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen vom Juni 2016 mit 45 Toten stammten aus Usbekistan und Kirgisistan. Auch jener Attentäter, der in der Silvesternacht zum Jahreswechsel 2017 mindestens 39 Menschen in einem Istanbuler Nachtklub erschoss, kam ursprünglich aus Usbekistan, einer seiner Komplizen aus Kirgisistan.

Vor allem das fruchtbare und dichtbesiedelte Ferghanatal, das sich Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan teilen, gilt als Krisenherd – das betrifft soziale Unruhen, aber auch Radikalisierung.

Staatliche Unterdrückung

Gründe für die Anfälligkeit gibt es viele. Fast immer haben sie aber mit der komplizierten Geschichte der Region zu tun, deren Teilung in einzelne Staaten relativ neu ist: Im Perserreich gehörte das Tal der Provinz Transoxanien an, später wurde es zum eigenständigen Khanat Kokand. Auch unter russischer Herrschaft blieb es zunächst ungeteilt. Erst die Sowjetunion ließ die Grenzen neu ziehen – und formte damit die heutigen ethnischen Gruppen, die sich zuvor nur vage unterschieden hatten. Außerdem ließ Moskau islamische Traditionen unterdrücken.

Beides hat Folgen bis heute: Vor allem im Ferghanatal ist die Bevölkerung noch immer gemischt, alle drei Staaten haben große Minderheiten aus den jeweils zwei anderen. Das heizt soziale Spannungen an. Außerdem gediehen schon in der späten Sowjetunion Untergrundmoscheen. Sie entzogen sich staatlicher Kontrolle und wandten sich nach der Unabhängigkeit 1991 konservativen Strömungen zu. Oft flossen Spendengelder aus dem Nahen Osten.

Die Islamisten trafen dabei auf eine Bevölkerung, die nach dem Ende der Sowjetunion auf der Suche nach neuer Identität war – und vielfach kaum Erinnerungen an jene früherer Generationen hatte. Seither ist die Bevölkerung deutlich konservativer geworden. Gewaltbereitschaft ist noch ein Minderheitenprogramm – aber eines, das Zulauf hat. Schon 2001 gingen erste Kämpfer nach Afghanistan, später zum IS. Dabei ist auch der Sold ein Faktor. Er ist viel höher als ein normales Einkommen.

Teilweise hilflos wirkende Maßnahmen

Besonders wegen der wirtschaftlichen Stagnation gilt die Sorge schon länger den IS-Rückkehrern: Die Regierungen flüchten in teilweise hilflos wirkende Maßnahmen. Das autokratische Tadschikistan befahl vor einem Jahr 1.700 Frauen, ihre Gesichtsschleier abzunehmen, und rund 13.000 Männern, sich ihre langen Bärte abrasieren zu lassen. Das vergleichsweise demokratische Kirgisistan versuchte es lange mit Duldung und hat erst seit den Anschlägen von 2015 die islamistischen Gruppen stärker im Blick.

Auch Russland ist auf die Bedrohung aufmerksam geworden. Moskau strebt mit dem Argument des Antiterrorkampfes eine engere Militärkooperation mit mehreren Staaten in der Region an – was westliche Staaten bisher als Vorwand für geopolitische Ausdehnung kritisierten. 2016 hat Russland eine Basis in Tadschikistan ausgebaut und Soldaten an die Grenze zu Afghanistan geschickt.

Allerdings sollen sich viele auch in Russland radikalisiert haben: Dort boten ihnen Männer aus dem Kaukasus einen Ausweg aus der Ablehnung durch Teile der russischen Bevölkerung an. Sie entpuppten sich später als Anwerber radikaler Gruppen. Auch der Angreifer vom Dienstag soll in Russland gelebt und einen russischen Pass gehabt haben. (Manuel Escher, 4.4.2017)