Und dann war er endlich da, der neue Fernseher. Damals, in den 80ern, noch kein flunderflacher LCD-Schirm, sondern ein schwerer Fat-Screen. Freudespendender als das TV-Gerät war allerdings der große Karton, in dem es geliefert wurde. Aus diesem ließ sich mit Vaters Hilfe ein wunderbares Häuschen zaubern. Mit Fenstern zum Aufklappen und einer kleinen Tür zum Reinkrabbeln. Eine Räuberhöhle für den Rückzug.

Dem Kartonhäuschen folgte irgendwann ein Baumhaus, schließlich die kleine Kajüte des Segelbootes und dann, nach dem Erreichen der theoretischen Reife, die kleine Studentenbude mit WC auf dem Gang. Schließlich spross jene Sehnsucht, die man sich mit vielen Zeitgenossen teilte: eine Altbauwohnung mit hohen Wänden, weiten Fluchten, Flügeltüren und natürlich Parkettboden. Unbedingt Parkettboden, damit man auch die Schritte beim Durchwandeln des Refugiums in den Ohren hatte.

Zu sehr wird die Qualität des Wohnens von der Anzahl der Quadratmeter abhängig gemacht. Wohldurchdacht, kann man es sich auch auf kleineren Flächen gut (ein)richten.
Foto: Lukas Friesenbichler

Downsizing

Die Altbauwohnung ist im urbanen Raum noch immer, wofür viele junge, flügge gewordene Menschen schwärmen. Doch der Traum vom großzügigen Wohnen in putziger Bobo-Lage mit Aussicht auf den Biomarkt ist im Begriff, sich zu wandeln. Designer, Architekten und Bauträger setzen sich immer intensiver mit dem Wohnen auf kleinerem Raum auseinander. Gründe dafür gibt's genug. Manche liegen auf der Hand, andere etwas versteckter.

Quadratmeter stehen noch immer für Prestige und sozialen Status. Nach wie vor lautet die Frage im Zusammenhang mit einer neuen Behausung: "Wie groß ist sie?" Dabei kann doch die Zahl der Quadratmeter allein keine Auskunft über die Qualität eines Lebensraumes geben.

Was lifestylig "Downsizing" genannt wird, also die Reduzierung von Wohnraum, muss nicht (mehr) als Verschlechterung gesehen werden. Neben steigenden Mieten, Energiekosten und wachsendem Wohnraumbedarf verspüren immer mehr Menschen Lust, sich auf das Wesentliche zu beschränken und kompakter zu wohnen. Kompakt klingt auch besser als klein. Eine gut durchdachte Einrichtung, ein vernünftiger Umgang mit Fläche sowie ein gewisses Maß an Understatement, Talent zum Wohnen und vielleicht auch die Konsultation eines Interieur-Beraters tragen weit mehr zu Wohnqualität und Großzügigkeit bei als bloße Quadratmeter. Es muss ja nicht nur ein Fernsehkarton sein.

Natürlich zählen auch andere gesellschaftliche Gründe, die bei immer mehr Zeitgenossen den Ausschlag geben, sich mit dem Gedanken an eine kleinere Wohnung anzufreunden. Galt über viele Jahrzehnte die Kleinfamilie als Idealmodell, schaut die Gesellschaftsstruktur inzwischen anders aus. Kinder kommen (wenn überhaupt) später, umgezogen wird öfter, das wachsende Bewusstsein für einen schonenderen Umgang mit Ressourcen sowie Einpersonenhaushalte und Scheidungszahlen tragen das Übrige zum Gesellschaftswandel bei. An dieser Stelle sei es gestattet, Friedrich Schiller zu zitieren. Der meinte: "Platz ist in der kleinsten Hütte, für ein glücklich liebend Paar." Haut das mit der Liebe nicht hin, nützt einem auch das protzigste Loft auf Dauer nicht viel. Also.

Schlechtes Image

Uwe Linke, Fachmann in Sachen Wohnpsychologie, der sich durch zahlreiche Publikationen und Fernsehauftritte einen Namen machte, sagt: "In einer Minibude zu wohnen hat ein schlechtes Image, doch das wird und muss sich besonders in den Städten ändern. Gerade in einer kleinen Behausung kann es sehr gemütlich sein." Und was gilt es dabei zu beachten? "Die meisten Menschen müssen erst einmal vieles verschenken, aussortieren oder wegwerfen, denn wir benötigen den meisten Raum für unsere vielen Sachen."

Sich von Dingen zu trennen, ohne in Askese zu enden, ist das eine, Platz zu schaffen, wo wenig ist, die andere Kunst. Dabei kommt uns zugute, dass vieles, was wir im Alltag gebrauchen, inzwischen gehörig geschrumpft ist: Abgespeckt hat nicht nur der eingangs erwähnte Fatscreen-Fernseher, auch das Arbeitszimmer kann heutzutage theoretisch ein Laptop auf dem Küchentisch sein. Eine Bibliothek passt in ein Tablet – und glaubt man so mancher Interieur-Website, taucht auch das gute alte Klappbett in neuen Versionen wieder öfters auf.

Optimale Nutzung

Logisch gilt es, in kleineren Behausungen jeden Quadratmeter optimal zu nutzen. Dabei kommt der Raumhöhe ein entscheidender Faktor zu, man denke an Einbauschränke oder gut integrierte Hochbetten, die Schlaf-, Stau- und Wohnraum schaffen. Surft man zum Thema durchs Internet, stößt man auf erstaunlich viele charmante Raumlösungen, die einem kleinen Appartement nicht selten eine viel geschmackvollere und persönlichere Handschrift verleihen als so mancher Riesenwohnung.

Auch der Stapel an Coffee-Table-Books, die sich kleinen Häuschen und "hideouts" widmen, gedeiht prächtig. Gerade dieser Tage erschien im Verlag Gestalten wieder ein Titel mit dem Namen "Raumwunder". Blättert man durch diese Bände, wird schnell klar, dass in weniger geräumigen Behausungen der Charme oft im Detail steckt, geschaffen durch Nischen, Simse, Farben, Materialien, Textilien oder Böden. Ganz zu schweigen davon, was heutzutage alles mit Licht gezaubert werden kann.

Sei die Frage gestellt, wie viele Quadratmeter man überhaupt zum Wohnen braucht. Eva Bauer vom Österreichischen Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen: "Das ist eine relative Angelegenheit. Die durchschnittliche Wohnung in Wien maß um 1910 noch 27 Quadratmeter. Da wohnten unter Umständen fünf Menschen und der sogenannte Bettgeher darin. Dies wurde aber berechtigt als Wohnungsnot empfunden. Heute beträgt der Durchschnitt der Wohnfläche pro Wohnung in Wien 73 Quadratmeter.

Trend zu kleineren Wohnungen

Pro Nase sprechen wir von 36 Quadratmetern, wobei wir bei diesem Punkt natürlich die Haushaltsgrößen berücksichtigen müssen. Wohnt nur eine Person in einem Haushalt, geht's im Schnitt um 61 Quadratmeter. Das ist laut Untersuchungen eine zufriedenstellende Wohnfläche", sagt die Leiterin des Wohnwirtschaftlichen Referates und weist darauf hin, dass es die klassischen Singlewohnungen früher gar nicht gab. "Das hat mit der Selbstständigkeit und Berufstätigkeit der Frauen zu tun. Früher war es für junge Menschen gar nicht möglich, allein einen Haushalt zu gründen."

Den Trend zu kleineren Wohnungen sieht die Fachfrau durch die Tatsache bestätigt, dass die Nachfrage an kurzfristigeren Wohnverhältnissen kleinere Wohnflächen mit Gemeinschaftsflächen generiert. Das eingangs erwähnte und jahrzehntelang weitverbreitete Bedürfnis nach der großen Altbauwohnung mit Flügeltüren sieht Eva Bauer allerdings immer noch als vorhanden an. Doch: "Dieser Typus ist mittlerweile für viele einfach zu teuer, deshalb schauen sich vor allem Jüngere im Bereich des geförderten Wohnbaus um kleinere Wohnungen um. Wenn der Quadratmeter 15 Euro kostet, kann man sich vielleicht nicht mehr 70 Quadratmeter, sondern halt nur mehr 50 leisten."

Auch gibt Eva Bauer etwas zu bedenken, das Oliver Elser, der Kurator des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, auf Nachfrage folgendermaßen formuliert: "Die neuen Kleinwohnungen sind der feuchte Traum der Immobilieninvestoren: Die individuell gefühlte Miete ist noch moderat, man darf sie bloß nicht auf den Quadratmeter umrechnen, denn dann wird klar, dass man im Albtraum des Luxussegments gelandet ist."

Lukas Friesenbichler fotografierte, Magdalena Rawicka arrangierte unsere kleine Puppenstube mit Möbeln und Figuren aus der "Spielzeugschachtel" in der Rauhensteingasse 5, 1010 Wien.
Foto: Lukas Friesenbichler

Zusammenrücken

In seiner Kolumne für die Zeitschrift "Architectural Digest" schreibt Elser: "Meine Familie und ich, wir sehen uns als Wohnavantgardisten. Seit neun Jahren leben wir in einer Drei-Zimmer-Altbauwohnung mit 79 Quadratmetern plus Balkon in Frankfurt-Bockenheim: zwei Erwachsene, zwei Kinder, beide mit eigenem Zimmer, vier Kaninchen im verwunschenen Hinterhof. Wir Eltern haben ein kombiniertes Wohn-, Schlaf-, wenn Besuch kommt, auch Esszimmer. In Tokio wäre das purer Luxus, in Paris recht geräumig, aber in Deutschland sind für vier-köpfige Familien 120 Quadratmeter normal. In Frankfurt unbezahlbar. 1960 lag die Wohnfläche bei 20 Quadratmetern pro Person, heute sind es mehr als 46. Würden mehr Familien so leben wie wir, entstünde ohne einen einzigen Neubau mehr Wohnraum ..."

Es ist also durchaus möglich, auch ohne Bagger, Kran und Betonmischmaschine mehr Wohnraum zu schaffen. Der Designer und Möbelverleger Nils Holger Moormann präsentierte vor kurzem mit seinem "Kammerspiel" eine Art Raum im Raum. Der Gestalter, der bekannt für seine aufs Wesentliche reduzierten und doch charmanten Objekte ist, realisierte einen Holzkubus, auf dem ein schickes Matratzenlager thront, das über Treppen erklommen wird. An den flexibel gestaltbaren Seiten finden sich Sitzbänke, ein Tisch und Bücherregale. Im Inneren des Quaders darf man sich von einem begehbaren Schrank und modularem Stauraum überraschen lassen. Moormanns Antwort auf die Frage, wie mit weniger Wohnfläche umgegangen werden soll, ist dabei keine Notlösung. Er schafft es tatsächlich, auf äußerst geschmackvolle Art effektiv in bestehende Grundrisse einzugreifen. Seine Leidenschaft fürs Campen dürfte dem Erfinder hierbei zugutegekommen sein.


Kammerspiel von Nils Holger Moormann.
Foto: julia rotter

Noch mehr aufs Geld und vor allem auf Platz schaut der aus Laos stammende Architekt Van Bo Le-Mentzel, der auf dem Berliner Bauhaus-Campus den Prototyp seines "Tiny 100"-Häuschens vorgestellt hat, eine Konstruktion auf Rädern, die Dusche, Schlafkoje und Arbeitsplatz auf 6,4 Quadratmetern vereint. So viel Wohnraum kostet in Berlin im Schnitt 100 Euro. Die Hütte klingt kleiner, als sie wirkt, denn Le-Mentzel nützt die Raumhöhe von 3,6 Metern erstaunlich effizient aus. Der Ort für das Projekt ist gut gewählt, dachte man doch in der Bauhaus-Bewegung schon vor gut 100 Jahren über soziale Fragen des Wohnbaus nach. Ebenfalls seit wenigen Tagen dort zu sehen sind zwei weitere Tiny-House-Projekte von New Work Studio und Workshop on Wheels.

Apropos nachdenken: Stararchitekt Rem Koolhaas sagte in einem Interview mit der "Zeit", dass er in Rotterdam auf 40 Quadratmetern wohne. Auf die Frage nach dem Grund, meinte Koolhaas: "Das bietet maximale Konzentration. Ich bin nicht der typische Sammler und besitze nicht viele Dinge. Also gibt es keinen Bedarf für mehr Raum." (Michael Hausenblas, RONDO, 14.4.2017)


Platz ist in der kleinsten Hütte, auch wenn man ihn manchmal in Form von Stauraum schaffen muss. Jede Menge schicke Beispiele, wie man es sich auf wenigen Quadratmetern gemütlich machen kann, zeigt das soeben im Verlag Gestalten erschienene Buch "Raumwunder".
Foto: Aus "Raumwunder", Verlag Gestalten: Lifestyle Kobou
Foto: Aus "Raumwunder", Verlag Gestalten: IR Architectura / Frederico Cairoli
Foto: Aus "Raumwunder", Verlag Gestalten: Menno Aden

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Nils Holger Moormann: Hüttengaudi auf 41 Quadratmetern

Winzig wohnen: 6,4 Quadratmeter um 100 Euro