Rhabarber ist ein verkanntes Gemüse. Farbe, frühes Austreiben und leicht beeriger Geschmack haben ihm den Ruf als erstes "Obst" der Saison eingebrockt und ihn zu einem Dasein in und auf Süßspeisen verdammt – das geht so weit, dass er in alten englischen Botanikbüchern teilweise statt als "rhubarb" schlicht als "cake plant" firmiert. Nicht dass er seine Rolle im Dessert schlecht spielen würde – er kann aber noch so viel mehr, als niedergezuckert auf Kuchen zu liegen oder sich in Kompotten aufzulösen.

Er balanciert geschickt erfrischend herbe Säure mit einer Idee von Süße aus, ohne sich allzu sehr anzubiedern, was ihn zum perfekten Begleiter von fettem Fleisch macht. Roh bietet er frühlingshafte Knackigkeit, zärtlich erhitzt schmilzt er dahin und verwandelt sich in kürzester Zeit in ein wollüstig weiches Schmorgemüse. Als wäre das nicht schon genug Individualismus, gehört er zu den ganz wenigen Pflanzen, die wegen ihrer Stängel gegessen werden.*

Foto: Tobias Müller

Ich verdanke ihm zwei meiner besten Essen in den vergangenen Wochen: Einmal hat er mich als perfekte Beilage zu einer Scheibe Enten-Foie-gras im Leontine entzückt, das zweite Mal als Schmorgemüse, gemeinsam mit einem zunächst unerwarteten Verbündeten, dem Spinat. Trotz meiner Foie-gras-Liebe muss ich sagen: Die Spinat-Rhabarber-Mischung war noch besser. Ich verdanke die Idee einem Hinweis bei Harold McGee, der schreibt, dass Spinat-Rhabarber-Eintopf ein verbreitetes Gericht im Iran und Afghanistan sei. Nach etwas Online-Recherche mit überraschend wenigen Ergebnissen habe ich mich dann an einen Versuch gemacht – es war ein selten guter Erfolg.

Es ist ein besonders befriedigendes Gericht, weil es so viele Zutaten vereint, die gerade Hochsaison haben: Blattgemüse, Rhabarber und jede Menge frische Kräuter. Spinat und Rhabarber vereinen sich zu einer Summe, die weit mehr ist als ihre Teile: Der Rhabarber zähmt die herb-pelzige Note, die ausgewachsener Spinat entwickeln kann, und hübscht ihn enorm auf mit seiner fruchtigen Säure. Eine Handvoll Gewürze und jede Menge frische Frühlingskräuter sorgen für eine geschmackliche Komplexität, die man dem grünen Brei nicht zutrauen würde. Wir haben es einmal bloß so, einmal mit Safranreis gegessen und sind aus dem Staunen nicht herausgekommen. Ich bin sicher, es macht sich auch ganz hervorragend als Bühne für geschmorten Lammbauch.

Rhabarber-Spinat-Gemüse mit vielen Kräutern

Ich muss es nochmals wiederholen: Probieren Sie das! Es ist wirklich gut. Die Zubereitung dauert höchstens eine Stunde, und wie alle Eintöpfe kann es leicht vorbereitet und später aufgewärmt werden. Ich habe meine Version sehr uniranisch mit Schweinsfuß-Fond verfeinert. Gemüse- oder Lammsuppe tut's aber bestimmt auch. Angaben für zwei Esser als üppige Hauptspeise oder für vier als Beilage, etwa zu geschmortem Lammbauch.

Ein halbes Kilo Spinat dämpfen und gut abtropfen bzw. ausdrücken, sodass so viel Wasser wie möglich hinausgeht. Zwei Teile Petersil, einen Teil Koriander, einen Teil Dill und einen halben Teil Minze fein hacken und mischen – Sie sollten für zwei Personen zwei Hände voll gehackter Kräuter rechnen. Seien Sie nicht zu streng mit sich, wenn Ihnen ein Kraut fehlt – bloß Dill sollte schon eher dabei sein. Alles für später zur Seite stellen.

Foto: Tobias Müller

Ordentlich Butter in einer Pfanne aufschäumen lassen und zwei kräftige Prisen gemahlenen Kreuzkümmel, ein daumengroßes Stück fein gehackten Ingwer und nach Belieben frische Chilis darin braten, bis es ordentlich duftet. Zwei mittelgroße Zwiebeln in Streifen schneiden, dazugeben und mitbraten, bis sie zusammengefallen und weich sind, etwa zehn bis 15 Minuten. Eine Knoblauchzehe hacken oder in dünne Scheiben schneiden und ebenfalls ein, zwei Minuten mitbraten. Ihre Küche sollte nun erfüllt sein von einem sehr speziellen Duft aus Gewürzen und heißer Butter, der mich immer unweigerlich an Nordindien erinnert.

Den Rhabarber (ca .250 g) in etwa ein Zentimeter lange Stücke schneiden und zur Zwiebel-Gewürz-Mischung geben. So viel Suppe oder Wasser dazugießen, dass er gerade nicht bedeckt ist. Fünf Minuten köcheln, bis der Rhabarber weich ist. Den gedämpften Spinat hacken, ebenfalls in die Pfanne geben, gut durchmischen und so lange weiterköcheln, bis genug Flüssigkeit verdampft ist und sich die Aromen kennengelernt haben. Von der Hitze nehmen, die gehackten Kräuter untermischen und als Teil eines iranischen Festmahls oder als Hauptspeise mit Safranreis servieren.

Foto: Tobias Müller

Foie gras mit Rhabarber

Das ganze Gericht ist in 15 Minuten leicht machbar und trotz der teuren Zutat deppensicher. Das Einzige, das ein wenig Fingerspitzengefühl erfordert, ist das Braten der Foie: Nicht brennheiß sollte die Pfanne sein, aber auch nicht lauwarm. Generell gilt aber: Wer ein Spiegelei braten kann, der schafft es auch, Foie gras zu bräunen. Den Rhabarber habe ich zu Testzwecken einmal gedämpft und einmal in seiner Sauce pochiert. Gedämpft bleibt die Farbe hübscher erhalten, geschmort schmeckt er besser. Ich bevorzuge eindeutig Letzteres.

Einen ordentlichen Schuss Portwein (oder Ähnliches), ein wenig Zucker, etwaige Rhabarber-Abschnitte und einige Zweige frischen Thymian in einem kleinen Kochtopf zum Kochen bringen. Den Rhabarber in die gewünschte Länge schneiden (bei mir: Kleiner-Finger-dick und -lang) und in der Sauce pochieren, bis er weich, aber nicht breiig ist – zwei, drei Minuten sollten völlig reichen, im Zweifel mit einem spitzen Messer testen. Von der Hitze nehmen und in der Sauce ziehen lassen.

Foto: Tobias Müller

Währenddessen eine Pfanne temperieren – mittelhohe Hitze ist ideal – und das Backrohr auf 70 Grad vorheizen. Sie soll so heiß sein, dass die Foie schnell bräunt, aber auch nicht verbrennt, bevor sie innen warm ist. Die Foie in Scheiben schneiden, nicht zu dick, aber auch nicht zu dünn, ein bissl dünner als ein ordentliches Steak, mindestens Daumenstärke, täte ich sagen (außer Sie sind Steinmetz oder Fleischhauer, dann tut's die Hälfte auch).

Foto: Tobias Müller

Auf beiden Seiten ordentlich salzen und in der Pfanne 30 Sekunden pro Seite braten, sodass sie schön karamellisiert.

Auf Teller legen und im Rohr drei, vier Minuten ziehen lassen, um innen durchzuwärmen. Mit Brioche und dem pochierten Rhabarber und ein wenig von der Sauce servieren. Ich habe es mir außerdem nicht nehmen lassen, noch eine Rosmarin-Blüte draufzulegen. (Tobias Müller, 1.5.2017)

Foto: Tobias Müller

*Das war allerdings nicht immer so. Für die längste Zeit seiner Geschichte waren Menschen vor allem an der Rhabarber-Wurzel interessiert. Bereits im "Shennong Bencaojin", einem chinesischen Heilkräuterbuch, das um 2700 vor Christus entstanden sein soll, wird Rhabarber-Wurzel erwähnt, die kommenden 4.500 Jahre wurde sie zur Entgiftung des Körpers und als Abführmittel eingesetzt. Gleich mehrere chinesische Kaiser soll sie über die Jahrhunderte von schweren Krankheiten geheilt haben. Im Mittelalter soll ein Pfund Rhabarber in Europa dreimal so viel gekostet haben wie ein Pfund Opium, und noch im 15. Jahrhundert schwärmte ein spanischer Reisender: "Die besten aller Waren kommen aus China, vor allem Seide, Satin, Rubine, Diamanten, Perlen und Rhabarber."

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