Demonstration vor dem Gebäude der "New York Times" im Februar 2017, als US-Präsident Trump die Zeitung, CNN und andere Medien von Briefings im Weißen Haus ausschloss.

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Jim Rutenberg, Medienkolumnist der "New York Times".

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Jim Rutenberg, Medien-Kolumnist der "New York Times", war Ende April einer der Redner auf dem diesjährigen Milton Wolf Seminar in Wien. Auf dem Seminar ging es um Diplomatie und Medien, Ausgangspunkt war der Rückblick auf 70 Jahre Marshall-Plan. Rutenberg sprach über die Veränderungen auf dem Medienmarkt und in seiner Zeitung.

STANDARD: Präsident Trump bezeichnet die "New York Times" als Versager, die Journalisten nennt er Feinde des Volkes. Wie ist das für Sie?

Rutenberg: Auf seltsame Weise ist es fast gut. Die Leute haben uns jahrelang gesagt: Ach, ihr seid bedeutungslos geworden – was ich natürlich nicht so sah. Aber Trump hat uns wieder mitten ins Geschehen gebracht, weil er die Aufmerksamkeit auf höchster Ebene auf uns lenkt – auch wenn er unsere Berichterstattung zurückweist. Das hat bis jetzt nicht funktioniert. Seine eisernen Befürworter werden nicht ihre Meinung über die "New York Times" ändern, aber andere sind neugieriger geworden.

STANDARD: Wie hat die Wahl von Trump die Zeitung bzw. Ihre Berichterstattung verändert?

Rutenberg: Ich denke und wünsche mir, dass die Art, wie er die "Times" beleidigt und lächerlich macht, unsere Berichterstattung nicht verändert und das auch nicht darf. Unser Job ist es, fair und genau zu berichten. Allerdings hat sein loser Umgang mit der Wahrheit uns sehr viel mehr zu tun gegeben. Wir müssen ständig Lügen berichtigen und sie als solche bezeichnen. Ich hab das noch nie so oft machen müssen.

STANDARD: Wie geht es der "Times" geschäftlich unter der neuen Präsidentschaft?

Rutenberg: Das ist das Lustige an seinen Tweets: Sie haben unserem Geschäft geholfen, vielleicht unermesslich. Wir werden es genauer wissen, wenn die Geschäftszahlen herauskommen (Mehr dazu inzwischen hier), aber wir können davon ausgehen, dass der Abonnentenzuwachs sich da niederschlagen wird. Er war jedenfalls signifikant.

STANDARD: Die "Times" hat, wie man weiß, durch die Digitalisierung und den damit zusammenhängenden Verlust an Inseraten gelitten, sie ist weniger profitabel als früher. Wird sich das nun ändern?

Rutenberg: Wir haben noch nicht Parität zwischen dem Zuwachs an Digital-Abonnenten und der Abnahme an Printwerbeerträgen erreicht. Es ist wie ein Rennen zwischen den beiden, und der Ausgang ist noch nicht sicher.

STANDARD: Was hat in einer Zeit, wo jeder senden und schreiben und Medien machen kann, soviel er will, der Medienjournalismus für eine Bedeutung?

Rutenberg: Ich denke, er ist bedeutender denn je. Ich schreibe seit fast 20 Jahren in der "Times" über Medien und Politik. Früher war das so eine Sache nebenbei, nach der Art: da können Sie was Kleines über dieses oder jenes Medium schreiben, und das wurde dann oft als Nabelschau der Branche beiseite getan. Heute sind Medien zu einem zentralen Anliegen geworden, zentral auch für unseren Präsidenten. Und je dichter alles mit Facebook, Twitter usw. wird, desto mehr wollen unsere Leser einen Wegweiser haben. Das ist mein Job als Kolumnist und Reporter. Das Interesse an Medien war noch nie so groß. Entsprechende Artikel sind oft unter den Top Ten der meist gelesenen Texte online.

STANDARD: Was ja auch bei der "Times" wichtig ist.

Rutenberg: Ja. Jetzt kennen wir die Zahlen. Das soll natürlich nicht der einzige Grund sein, über etwas zu schreiben. Manche unserer wichtigsten Geschichten sind nicht populär, aber wir bringen sie trotzdem.

STANDARD: Weil Sie das "Paper of record" sind?

Rutenberg: Naja, das hat sich geändert. Das war unser Anspruch: dass wir die Mitschriften der Kongressdebatten drucken. Das ist heute nicht mehr nötig, weil es das sowieso online gibt und weil wir weniger Ressourcen haben. Wir wählen also aus, setzen Prioritäten. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich täglich mit Nachrichten zu versorgen, dass wir durch den Fokus auf das Wesentliche etwas Größeres und Besseres bieten wollen.

STANDARD: Bereitet sich die Times nach Facebook, Twitter etc. auf eine nächste digitale Entwicklung vor, die für ihr Geschäft wichtig werden kann?

Rutenberg: Wir haben gerade mit Journalismus auf (dem Instant-Messaging-Dienst) Snapchat begonnen. Aber Facebook ist und bleibt auf absehbare Zeit am wichtigsten – und das ist eine für uns eher ungemütliche Situation. Denn bisher war es so, dass wir dem Leser die Nachrichten gebracht, vor die Haustür gelegt haben. Jetzt ist Facebook für die Lieferung zuständig geworden, dadurch verlieren wir Kontrolle. Facebook ist das Monster in unserer Branche und schuld daran, dass unsere Anzeigenerträge so zurückgehen.

STANDARD: Gibt es je Zusammenkünfte zwischen Facebook-Chef Mark Zuckerberg und den Sulzbergers (Herausgeberfamilie der "New York Times") auf Augenhöhe, wo sie darüber sprechen, dass es ein Interesse daran geben sollte, dass Qualitätsmedien nicht untergehen?

Rutenberg: Nun, Facebook sagt immer, dass ihnen das ein Anliegen ist und dass es der "New York Times" gut gehen soll. Aber Facebook hat Daten, die uns helfen könnten, zum Beispiel wer die "Times" auf seiner Plattform liest – und sie geben uns diese Daten nicht. Immerhin aber sind sie nach den Wahlen wegen des Gespenstes der Fake News und ihrer Rolle dabei erschrocken und auch wegen der Schwächung der "Times" und der "Washington Post" ...

STANDARD: Und das haben sie sich zu Herzen genommen?

Rutenberg: Ich weiß nicht, ob es Herz ist oder eine PR-Maßnahme, doch sie sind jetzt offensiver im Umgang mit diesen Problemen. Sie gehen zu den Zeitungen und bieten eine Zusammenarbeit an. Aber ich bin skeptisch, weil ihr Geschäftsmodell darauf basiert, dass Kunden möglichst lang bei ihnen bleiben, und nicht darauf, uns zu helfen. Es stellt sich andererseits die Frage, ob die, die dort werben, das wirklich im Umfeld von IS-Propaganda und Snuff-Filmen tun wollen. Tatsächlich, und das ist eine neue Entwicklung, werden die Werber jetzt langsam nervös.

STANDARD: Die "Times" hat seit kurzem eine Online-Seite, die Kommentare von politisch unterschiedlichsten Medien bringt. Ist das eine Folge der Kritik seit dem Aufstieg Trumps, dass die Qualitätsmedien an den Küsten nicht mitbekommen und nicht darüber berichtet haben, was sich im Rest des Landes abspielt?

Rutenberg: Ja, viele Leser haben gemeint, dass sie nicht gründlich genug darüber unterrichtet werden, wie die Stimmung im Land ist – obwohl wir meines Erachtens schon berichtet haben, nur wurde es nicht genug betont. Das ändert sich jetzt.

STANDARD: Sie recherchieren zur Zeit über die Murdochs, deren Medienimperium geschäftlich in Konkurrenz zur "Times" steht (in New York City gehören ihnen das "Wall Street Journal" und das Boulevardblatt "New York Post") und die als Rechtskonservative auch ideologisch ganz woanders zu orten sind als die liberalen Haupteigentümer der "Times", die Familie Ochs Sulzberger.

Rutenberg: Für uns ist das "Wall Street Journal" die einzige wirkliche Bedrohung. Rupert Murdoch hat beim Kauf 2007 gesagt, er wolle die "Times" schlagen. Das ist ihm trotz der Extraseiten über die Stadt und Ähnlichem nicht gelungen. Er hasst uns. Im übrigen hatten wir Sorge, dass interner Druck dort die Journalisten zwingen würde, etwas netter zu Trump zu sein, und einige Kollegen haben auch aufgrund solcher Entwicklungen die Zeitung verlassen. Doch das Journal ist immer noch sehr gut und berichtet immer wieder kritisch über Trump.

STANDARD: Wie steht Murdoch sonst da?

Rutenberg: Es ist zurzeit unter großem Druck wegen der Sexskandale bei Fox, wo der News-Chef Roger Ailes und nun auch Bill O’Reilly mit seiner höchst profitablen Talkshow gehen mussten. Jetzt sind noch Vorwürfe betreffend grassierenden Rassismus zur Sprache gekommen. Das schadet ihm in Großbritannien. Dort will er den Bezahlfernsehsender Sky News zur Gänze übernehmen. Er ist jetzt 86 und sieht diese Übernahme als Krönung seines Lebenswerks.

STANDARD: Wie sind die Chancen?

Rutenberg: Nun, er ist sehr gut mit der neuen Regierung. Er war für den Brexit. Er ist auch sehr gut mit den Trumps. Dessen Tochter war eine der fünf Treuhänder im Trust für Murdochs Kinder. Er wird diese engen Verbindungen sicher nutzen, um seine Interessen voranzutreiben.

STANDARD: Die "Washington Post" ist wieder zu einem Konkurrenten der "Times" herangewachsen. Was sagen Sie als Medienjournalist dazu?

Rutenberg: Sie haben eine erstaunliche Wiederauferstehung hinter sich. Sie hatten 2016 ein fantastisches Jahr. Jeden Tag bereiten sie uns Kopfzerbrechen, weil sie denselben Geschichten nachjagen. Jeff Bezos (der Amazon-Chef, der die "Post" 2013 gekauft hat) hat viel Geld hineingesteckt und Marty Baron, einen der großen Chefredakteure des Landes, an Bord geholt. Für uns ist das gut, weil wir uns jeden Tag mit ihnen matchen, und das macht uns alle besser. Aus demselben finde ich es auch gut, dass das "Wall Street Journal" seine Qualitäten behalten hat. (Michael Freund, 3.5.2017)