Fährt man mit dem Taxi vom Flughafen Charles de Gaulle zur Fondation Cartier im 14. Bezirk von Paris, bereut man es bald, nicht den Zug genommen zu haben. Zäh, stockend und irgendwie ewig schiebt sich eine Blechlawine vierspurig durch die staubgraue Vorstadt. Schließlich doch am Boulevard Raspail 261 angekommen, ist schnell wieder alles gut in Sachen Auto, denn hier zeigen 100 Fotografen 500 Fotos aus über 100 Jahren in der großartigen Schau "Autophoto".

Unter dem Dach des Gebäudes von Jean Nouvel wird schnell klar, dass ein Auto 1000 Dinge mehr bedeutet, denn bloßes Fortbewegungsmittel zu sein. Die Schau mit Fotografien von Kapazundern wie Robert Doisneau, Elliott Erwitt, Dennis Stock und Juergen Teller wird zu einer Arche Noah, gefüllt mit Autos: das Auto als Objekt der Obsorge, als Signal von Reichtum und Prestige, als Bringer von Leid in Form von Unfällen, als Sehnsuchtsobjekt, Rennbolide, Filmstatist, Hochzeitskutsche, als Fluchtvehikel aus der DDR oder als Subjekt einer mächtigen Industrie, etwa im Fall der Bilder von Fertigungsstraßen im Detroit der 1950er-Jahre. Andere Aufnahmen zeigen das Auto in seiner Rolle als Umweltverschmutzer, sei es auf Bildern von ganzen Bergkämmen aus alten Autoreifen oder in Form von Autofriedhöfen, von Moosteppichen überwuchert – beides faszinierend.

Als Motiv vertreten ist freilich auch die Straße: Egal ob Wüsten-Highway, Supermarktparkplatz, Betonbrückenmonster in Süditalien, Drive Inn oder Rennstrecke. Ohne Auto keine Straße, ohne Straße kein Auto.

Die Ausdrucksmöglichkeiten des Protagonisten Automobil kommen schier unendlich daher, und bei manchen Fotos scheint es, als würde die Windschutzscheibe selbst als Linse dienen, wodurch sich zwei Welten ineinander spiegeln. Liegt die Natur der Fotografie im Festhalten eines Augenblicks, wurde das Auto erfunden, um sich zu bewegen, Moment für Moment, Meter für Meter. Die Fahrt zurück zum Flughafen ist eine andere.

Fondation Cartier pour l'art contemporain: "Autophoto. De 1900 à nos jours", 261 Boulevard Raspail, 75014 Paris. Bis 24. 9.

Die Reise erfolgte auf Einladung von Cartier.

www.fondationcartier.com

(Maik Hausenblas, RONDO, 15.5.2017)


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Eine Jause, bevor der Zündschlüssel gedreht wird, hielt William Eggleston im Rahmen seiner "Los Alamos Series" (1965- 1968) fest.

Foto: Courtesy David Zwirner / New York / London, Eggleston Artistic Trust

Von Kay Michalak und Sven Völker stammt die Arbeit "Auto Reverse #11, Volvo 940, Model 1993, 256.271 km, 2011-2015".

Foto: Kay Michalak, Sven Völker

Haifischflossen anno 1958: Das Foto aus dem Besitz des Filmproduzenten Luciano Rigolini ist in der Schau "Autophoto" in der Pariser Fondation Cartier zu sehen.

Foto: Luciano Rigolini (Tribute to Giorgio de Chirico

So grau wie spooky-schön ist die Aufnahme von Ray K. Metzker, die ihm 1964 in Washington, D.C., gelang.

Foto: Estate Ray K. Metzker, Les Douches la Galerie / Paris / Laurence Miller Gallery New York

Aus der Vogelperspektive fotografierte Alejandro Cartagena diesen Truck aus der Serie "Carpoolers".

Foto: Alejandro Cartagena, Courtesy Patricia Conde Galeria, Mexico City

Kaputte bzw. fehlende Rückspiegel haben es Ronni Campana in seiner Serie "Badly Repaired Cars" (2016) angetan.

Foto: Ronni Campana, Collection of the artist