Eine Freiluftbühne im Gebirge bauten die zwei Designer von Arge 2 für ihren Sessel "Lino C" aus Massivholz und Linoleum.

Foto: Gregor Sailer, Arge 2

Der eine, Georg Kaserer, stammt aus Innsbruck.

Foto: Gregor Sailer, Arge 2

Der andere, Michael Spindler, kommt aus Augsburg.

Foto: Gregor Sailer, Arge 2

Ganz schön stapelbar ist der Sesselentwurf "Forum 2".

Foto: Gregor Sailer, Arge 2

Der "ST 10" wird in Sandwichbauweise gefertigt.

Foto: Gregor Sailer, Arge 2

Das Studio von Arge 2 liegt in einem Hinterhof der Münchner Bothmerstraße, Neuhausen. Gepflegte Altbauten, kein Namensschild außen. Kalkül oder Lässigkeit? Wohl Letzteres. Im Atelier sitzen sich Michael Spindler und Georg Kaserer an einem langen Arbeitstisch gegenüber. Man nimmt Platz – auf "Lino C", einem jüngeren Entwurf aus dem OEuvre der Designer. Auftraggeber ist Hussl aus Terfens im Inntal. Seit 1976 interpretiert das österreichische Unternehmen die Tiroler Stube neu, bestückt Objektbereiche mit Tischen und Stühlen in klaren Linien, die meisten entworfen vom Design-Duo in München.

Das Thema Sessel scheint nie fertig erzählt, stets kommen neue Kapitel dazu, manchmal laute, manchmal nachhaltige, andere wiederum sind leise. Bei Hussl baut das eine Modell auf dem vorigen auf. Man übernimmt, entwickelt, variiert. So wie bei "Lino C". Salopp gefragt: Was kann dieser Stuhl, was andere nicht können? Was rechtfertigt ein weiteres Modell auf dem Markt? "Linoleum gibt es in dieser Anwendung noch nicht. Und Holz mit Linoleum ist was ganz Eigenständiges und hat klare Vorteile", sagt Michael Spindler.

Das Gestell ist aus Massivholz, die Schale aus Linoleum, ein Leinölgemisch mit Jute und Korkmehl, allseits bekannt als Bodenbelag. Doch viel zu schade, um es mit Füßen zu treten: Flexibel und elastisch schmiegt es sich u-förmig und schützend um den Rücken. Gemütlich sitzt man darin, wie in einem Nest, mit angenehmer Lehnenhöhe. "Linoleum ist natürlich, robust, nachgiebig und hat gedeckte, matte Farbtöne. Das Modell setzt Elastizität versus Stabilität, diese Faktoren mussten wir annähern, abwägen und ausloten", so die Designer.

Ein schneller Wurf ist der Stuhl nicht. Kaserer holt eine Kiste, randvoll mit Papiermodellen. Zwei Jahre Entwicklung stecken in "Lino C". In allen Phasen arbeitet das Team gemeinsam, mit wechselnden Partien, es wurde diskutiert, probiert, neu entworfen. "Es liegt uns einfach, lange am Detail zu tüfteln", sagt Michael Spindler. Er stammt aus Augsburg, studierte in Chicago und an der FHG Pforzheim Design, begann dann im Münchner Designbüro "Industrielle Produkte". Partner Georg Kaserer kommt aus Innsbruck, studierte Industriedesign an der HFG Linz und sammelte im Mailänder Designstudio von Antonio Citterio erste Erfahrungen. 1994 gründeten Spindler und Kaserer Arge 2 mit Kunden aus dem Möbel- und dem Sportbereich, entwarfen Produktgrafiken für die Fischer Sports GmbH oder Bosch Siemens Hausgeräte (BSH).

Die gleiche Sprache

Mit Auftraggeber Peter Hussl arbeiten die beiden seit 1995, mehr als 20 Jahre also. Ungewöhnlich? "Nein, das ist typisch für uns!", sagt Michael Spindler. "Wenn man die gleiche Sprache spricht, die gleichen Ziele hat, ist das die beste Voraussetzung für Kontinuität." Was sich wiederum auf die Qualität des Ergebnisses auswirkt. Zum Beispiel auf "Forum 2", einen senkrecht stapelbaren Holzstuhl. Die Sitzschale des Vierbeiners besitzt eine quergerichtete Aussparung in der Beuge – der Griffschlitz ist Kunstgriff zugleich, macht die Schale elastischer und gibt formal eine eigene Note. Oder "ST3N Gritsch", der mit Wiener Geflecht und einer modernen Silhouette daherkommt. Beim Modell "ST10", einem kantig-markanten Holzstuhl in Sandwichtechnologie, setzten die Designer dagegen auf den Material- und Wissenstransfer aus dem Sportbereich: Arge 2 gestaltet seit 2003 die Produktgrafik der Langlaufski-Kollektion von Fischer. "Langlaufen ist so schön unaufgeregt", sagt Spindler, der seine Skimodelle gern auf Querfeldeintouren im Münchner Süden testet. Sein aktueller Race-Schuh ähnelt einer Stoffgamasche mit Exoskelett, geschlossen von einem Klettband. Nichts, was man da noch weglassen könnte.

"Wir sind prozessorientiert, setzen uns mit der Materie auseinander und gehen gern mal einen Schritt zurück. Wir sehen uns nicht als Autorendesigner", sagt Georg Kaserer. In Zeiten von Stararchitekten und Stardesignern eine eher unprätentiöse Haltung also, die sich auch im Interieur des Adlers Hotel in Innsbruck niederschlägt. Ganz ohne Gimmicks spricht das 2013 eröffnete Hotel eine urbane Designsprache, verbindet heimische Materialien mit reduzierten Linien zu einem heimeligen Habitat. Erdige Brauntöne aus Tiroler Loden und Holz spannen sich über die Wände und kontrastieren zu hellen steinernen Böden und Bädern, der Essbereich überrascht mit Pistaziengrün, metallene Korblampen und Fleckerlteppiche verweisen auf regionale Bräuche. "Hier ging es darum, mit wenigen Mitteln viel zu erreichen", umschreibt Kaserer das Projekt. Trainiert hat Michael Spindler diese Arbeitsweise zuvor schon in der Münchner Pommesboutique in der Amalienstraße, wo hölzerne Anklänge aus der Bauernstube eine originelle Verbindung mit grasgüner Wandfarbe und industriellem Mobiliar eingehen.

"Eine Designaufgabe ist wie ein Rätsel", sagt Kaserer und: "Es geht darum, das Wesen der Produkte herauszuarbeiten – ein Skischuh funktioniert nun mal anders als ein Stuhl." Im Gespräch fallen Begriffe wie Nutzbarkeit, Serienprodukt, Authentizität, Langlebigkeit und Beständigkeit. "Immer schön reduziert aufs Minimum", sagt Spindler. Selbiges gilt für den eleganten Stahlrohrfreischwinger "Ayo" mit seiner filigranen Netzbespannung, entworfen für Wiesner und Hager, keines dieser Büroungetüme, die wie eine klobige Sitzmaschine wirken. Der Blick auf die Arbeit des Duos macht nachdenklich. Der Designer als Alleinunterhalter, als Gschichtenerzähler, neudeutsch Storyteller, hat er ausgedient mitsamt seinem "Narrativ"? Wir sehen: Es geht auch ohne permanente Selbstinszenierung. Bisher bewegte sich das Duo unter dem Öffentlichkeitsradar. Vielleicht macht auch das ihre Arbeit so gut. (Franziska Horn, RONDO, 3.6.2017)