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Schon der antike Philosoph Aristoteles (hier seine Statue vor der Universität Freiburg) unterschied zwischen "oikonomia" (Geld als Mittel zum Gemeinwohl) und "chrematistike" (Geldmehrung als oberstes Ziel). In Österreich wird die Vermischung dieser Begriffe nicht einmal thematisiert.

Foto: AP / Winfried Rothermel

Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit stehen nicht nur als zentrale Koordinaten für ein Modell, das vom materiellen Wohlstand in den Überfluss, die Sinnlosigkeit, die Machtkonzentration, die exzessive Ungleichheit und den Klimawandel geführt hat. Sie sind vor allem zwei absolute Nichtziele. Sie zählten zu keiner Zeit in keiner Kultur zu den Grundwerten. Sie sind überhaupt keine Ziele, sondern im besten Fall Mittel, um (Staats-)Ziele zu erreichen oder (Grund-)Werte zu befördern. Als Staatsziele wären beide neu und im Geist vieler bisheriger Verfassungen sogar verfassungswidrig.

Schon Aristoteles hat zwischen "oikonomia", in der das Geld nur Mittel ist zum Zwecke des Gemeinwohls, und "chrematistike", in der die Geldmehrung oberstes Ziel ist, unterschieden.

Wer wirtschaftlichen Erfolg primär mit Rendite, Profit oder BIP misst, ist – nach Aristoteles – kein Ökonom, sondern Chrematist. Heute würden wir sagen: Kapitalist. Moderne Verfassungen haben sich durchwegs für die Ökonomie und gegen die Chrematistik entschieden: "Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl", steht in der bayrischen Verfassung. "Eigentum verpflichtet", besagt das deutsche Grundgesetz. "Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen." Nicht der Wettbewerbsfähigkeit oder dem BIP-Wachstum.

Der Vorzug eines alternativen Gemeinwohl-Produkts wäre, dass alles Positive, das mit dem BIP assoziiert wird – das dieses aber nicht verlässlich bringt -, direkt angestrebt und bewertet werden kann, anstatt den ineffektiven Umweg über die Mittelmessung zu nehmen.

Glücklicher und gesünder ...

Die Operationalisierung des Gemeinwohl-Begriffs macht weltweit Fortschritte. Die OECD entwickelte den "Better Life Index", 2015 haben die Vereinten Nationen die "Ziele für nachhaltige Entwicklung" beschlossen, die ein viel breiteres Zielbild für menschliche, soziale, kulturelle und ökologisch zukunftsfähige Entwicklung darstellen als das BIP. Seit Jahresbeginn dient in Schweden eine statistische Basis von fünfzehn Wohlfahrtsindikatoren als Grundlage für die Wirtschaftspolitik, darunter CO2-Ausstoß, Naturschutz und Vertrauen. Auch die Statistik Austria beantwortet seit 2013 anhand von 30 Indikatoren die Frage: "Wie geht's Österreich?" Im Zwergstaat Bhutan ist "Glück" Verfassungsziel. Das "Bruttonationalglück" misst 133 Facetten von Gemeinwohl – und dient als Basis für politische Entscheidungen.

Ein Beispiel: Der Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO hätte BIP und Handelsvolumen wachsen lassen, doch die Auswirkungen auf die Verteilung, den sozialen Zusammenhalt, die Umweltqualität, die kulturelle Vielfalt und die Demokratie wurden negativ prognostiziert: Der Ministerrat entschied mit großer Mehrheit gegen den WTO-Beitritt.

Die Zielerfüllung der Wirtschaft, das Gemeinwohl zu mehren, gelingt umso effektiver, wenn die Beiträge von Investitionen, Unternehmen und der Erfolg der Volkswirtschaft dahingehend bewertet werden: Gemeinwohl-Prüfung, Gemeinwohl-Bilanz und Gemeinwohl-Produkt. Ein verfassungsreifes Gemeinwohl-Produkt könnte demokratisch komponiert werden – direkt vom Souverän. Dann enthält es die Prioritäten und Werte der höchsten Instanz. Und wenn es wächst, haben wir Gewissheit: Entweder sind wir jetzt gescheiter oder gesünder oder glücklicher oder nachhaltiger geworden oder alles zusammen. Weil genau das gemessen würde, was wirklich zählt. Ein sinnvolles Staatsziel.

... statt ärmer und kränker

Wettbewerbsfähigkeit ist dagegen ein Begriff für Unternehmen, nicht für demokratische Staaten! Wettbewerbsfähigkeit kann durch niedrigere Löhne, Sozial-, Arbeits-, Gesundheits-, Umwelt-, Verbraucher-, Steuer-, Transparenz- oder Demokratiestandards erreicht werden. Wettbewerb und "Standortsicherung" dienten bisher als Allzweckwaffe gegen sinnvolle demokratische Regulierungen. Staatsziel Wettbewerbsfähigkeit ist gleichbedeutend mit Handschellen für Gesetzgeber und Gerichte, damit dem Gewinnstreben nichts mehr in die Quere kommen kann. Dann steht aber nicht mehr die Wirtschaft im Dienst der Gesellschaft, sondern die Demokratie im Dienst der Wirtschaft à la "marktkonforme Demokratie". Ist das wirklich das "telos" der großen Koalition?

Aus Sicht einer "souveränen Demokratie" dürfte die Vertretung des Souveräns die Verfassung gar nicht antasten, Legislative und Konstitutive sind sauber zu trennen. Ein No-Go sollte sein, dass die Vertretung des Souveräns kurzerhand die Staatsziele neu definiert und bestimmt. Das Parlament hat die ehrenvolle Aufgabe, den Verfassungswillen, der vom Souverän kommt, auszuführen und in Gesetzen zu materialisieren. Nicht, dem Volk die Willensbildung "abzunehmen", welchen Zwecken der Staat dienen soll, und schon gar nicht, ihm Mittel als Zwecke zu oktroyieren.

Dass sich die Legislative anlässlich einer ihr unliebsamen Entscheidung der Judikative selbst zur Konstitutive aufschwingt, um die Gerichte auf Linie zu bringen, stellt eine bedenkliche Gewaltenballung dar, deren Gewinner Kapitalismus heißt. Letztlich würde er – über die Steigbügel BIP-Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit – in Verfassungsrang gehoben. (Christian Felber, 1.6.2017)