Drei Gebäude entstehen auf Baufeld D22 in der Seestadt: Bauteil A (Bildmitte) beherbergt die Baugruppe, daneben entstehen 40 Mietwohnungen, dahinter ein Wohnheim für schwerstbehinderte Kinder.

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Die Initiative "Que[e]rbau" hat ihre Zielvorstellung unmissverständlich formuliert: "Que[e]r steht für alle Menschen, die ihre Identität und Lebensform selbst_bewusst entwickeln und definieren." Diese Queer-Definition wurde mit Wohnen verbunden: Que[e]rbau war das Resultat.

Das Endergebnis, ein Wohnhaus in der Seestadt Aspern für alle Generationen, für Singles und Partner_innen sowie insbesondere für selbstdefinierte Familienformen, etwa für Regenbogen-, Patchwork- oder auch Pflegefamilien, wird in Kürze bezogen. Für Architekt Clemens Kirsch ist aus dem politischen Statement bewohnbare Realität geworden: "Es war der Gruppe auch die Platzierung auf dem Baufeld und die Sichtbarkeit des Hauses wichtig, nicht hinten in einer Nebengasse verräumt zu werden. Sie wollten präsent sein. Und sie haben auch den besten Platz dafür gefunden mit dem Vereinscafé, das gut mit dem Außenraum kommuniziert. Das als Schnitt- stelle funktioniert, um selbstbewusst zu kommunizieren: Wir sind da, es gibt uns, und das ist gut so."

Waldspaziergang als Auslöser

Ein Waldspaziergang des Initiators Andreas Konecny mit dem Architekten Roland Hampel, bei dem über das Defizit diskutiert wurde, die eigene Wohnsituation aktiv mitgestalten zu können, war – rückblickend – Auslöser dafür, initiativ zu werden. "Auf die queer-urbane Community bezogen ist der Normwohnungsbau, der mehrheitlich für die Kleinfamilie gedacht ist, nicht das passende Wohnumfeld. Oft befindet sich der Neubau am Stadtrand. Es wäre doch spannend", fordert Konecny mit Nachdruck, "das urbane Gefühl und Leben an die Ränder hinauszutragen."

Rasch war die Idee formuliert und wurde über Social Media in der Community verbreitet. Que[e]rbau wollte quer zu dem bauen, was als normaler sozialer Wohnbau gilt. Von der Idee über die Begeisterung bis zum Zuschlag für einen Baugrund in der Seestadt war es allerdings ein schwieriger Weg. Nach dem ersten – verlorenen – Bauwettbewerb engagierte sich die WBV-GPA (Wohnbauvereinigung für Privatangestellte) für das Projekt und konnte ein freies Baufeld in der Nachbarschaft erwerben.

Den Prozess der Konzeptumsetzung in die architektonische Form vergleicht Architekt Kirsch mit dem "intensiven Kneten des Teiges". Das Vereinscafé, ein Treffpunkt mit einem kleinen vorgelagerten Platz und die Dachterrasse werden den Bewohnerinnen und Bewohnern als zentrale Begegnungszonen dienen. "Mir war auch wichtig, das Stiegenhaus in der Mitte des Baukörpers als Atrium zu einem Ort der informellen Begegnung zu machen. Ein toller Raum, wo die Erschließung inszeniert wird, ein lichtdurchfluteter Raum, der Blickbezug und Kommunikation ermöglicht. Spätestens als der Rohbau gestanden ist, hat der Raum großen Gefallen bei der Baugruppe gefunden", erinnert sich Kirsch.

"Manches zusammen"

Mitinitiator Hampel sorgte schließlich dafür, dass sich Mieterinnen und Mieter ihre vier Wände individuell gestalten konnten: "Das Motto lautete: 'Jeder für sich und manches zusammen'." In einem "Reflexionsbogen" wurden die persönlichen Wohnvorstellungen für die individuelle Beratung notiert. "Der Gruppenprozess und die individuelle Beratung sind parallel gelaufen, waren dazwischen aber verzahnt."

Andreas Konecny von Que[e]rbau macht klar: "Wir wollen nicht die 70er-Jahre-Kommunen wiederaufleben lassen, sondern wir möchten gemeinsames Wohnen weiterentwickeln. Schön ist es, wenn man eine gute Nachbarschaft hat. Aber es geht um Rückzug und Gemeinschaft und nicht um Zwangsbeglückung. Man kann nicht vorwegmoderieren, wie stark der Zusammenhalt ist oder wie viel gemeinsam unternommen werden wird. Das ist etwas, das natürlich entsteht."

"Stabile Kerngruppe"

Dass das Projekt gelungen ist, sei dem Umstand geschuldet, dass sich eine stabile Kerngruppe gebildet hat, betont Hampel. "Das ist wichtig, gerade wenn mit einem Bauträger gemeinsam ein Projekt umgesetzt wird. Denn sonst macht der Bauträger das Projekt und nicht mehr die Gruppe." Für Architekt Kirsch sind Initiativen wie Que[e]rbau keineswegs Modeerscheinungen, sondern individuelle Antworten auf die Frage, wie gemeinschaftliches Bauen und Wohnen künftig verwirklicht werden kann. "Es wird nie ein Mehrheitenprogramm sein, muss es auch gar nicht. Aber es ist eine Bereicherung für die Stadt."

Es sei eine "Typ-Frage", wie sehr man sich einbringen wolle, wie sehr jemandem Nachbarschaft wichtig ist oder doch Anonymität, die vielleicht auch den Reiz der Großstadt ausmacht. Es ist ein schmaler Grat zwischen Zwang und Bereicherung." (Michael Kerbler, 3.6.2017)