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Foto: Frank Kunert

Im März 2017 publizierte das "Time Magazine" dieses Cover und stellte diese Frage an Trump.

Cover: Time Magazine

Ist die Wahrheit tot? Das "Time Magazine" stellt diese Frage, und das vor schwarzem Hintergrund, so als ob die Wahrheit schon längst zu Tode getragen wurde. Die "New York Times" dagegen wirbt auf dem Times Square im Herzen Manhattans selbstbewusst auf einem Transparent mit nur einem Wort für sich: "Truth".

Was ist die Wahrheit? Debatten darüber beschäftigten schon die griechischen Philosophen, sie steht nicht erst seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im Mittelpunkt von Auseinandersetzungen. Die meisten werden wohl Aristoteles zustimmen, dass etwas, das von der Welt sagt, sie sei so und so, wahr ist, wenn die Welt auch wirklich so und so ist.

Aber was ist wirklich so in Zeiten von Fake-News und "alternativen Fakten", von Filterblasen und Bots? Wenn soziale Medien mit gefälschten Informationen geflutet werden, die sich dank Algorithmen weiterverbreiten, je mehr sie geteilt werden? Was kann man noch für wahr halten, wenn selbst im Weißen Haus gelogen wird, fragt (sich) nicht nur das "Time Magazine".

Dass falsche oder inkorrekte Informationen weitergegeben wurden, hat es immer schon gegeben. Was False News von Fake-News unterscheidet, ist die Intention: Das sind bewusst gefälschte, frei erfundene, irreführende oder vorgetäuschte Nachrichten, die mit dem Ziel in die Welt gesetzt werden, dass sich diese rasant verbreiten – im Netz oder durch mediale Berichterstattung.

Wahrheitssuche

Der Begriff Fake-News wird schon seit dem Jahr 2000 immer wieder verwendet, in den allgemeinen Sprachgebrauch fand er erst im Vorjahr Eingang – auch dank Donald Trump, der diesen gern für Medien wie CNN oder die "New York Times" verwendet, die nicht falsch, sondern kritisch über ihn berichten – und auch einige seiner Aussagen als Fake-News entlarven.

Recherche und Objektivität sind die Basis für journalistisches Arbeiten, man kann dies auch mit Wahrheitssuche gleichsetzen. Das eint Journalisten mit anderen Berufsgruppen wie Richter oder Philosophen, die sich auf Thomas von Aquin, Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel stützen können: Ein Beweis muss erbracht werden. Auch vor Gericht gilt dieses Prinzip, sonst wird im Zweifel für den Angeklagten geurteilt.

Aber was ist, wenn Gefühle schon als Nachweis ausreichen, um etwas als Wahrheit zu verbreiten? Trump hat im Interview mit dem "Time Magazine" sein Verständnis von Wahrheit preisgegeben. Er setzt Wahrheit mit einem Gefühl, mit Instinkt gleich: "Ich bin eine sehr instinktive Person. Aber es stellt sich heraus: Meine Instinkte sind richtig." Sein Gefühl sagt dem wohl mächtigsten Menschen der Welt, was richtig, was wahr ist. Wahr ist, was ich behaupte.

Fatale Folgen für die Welt

Da können Beweise, wie sie Wissenschafter zur Belegung des Klimawandels vorlegen, nichts dagegen ausrichten. Das kann, wie die USA durch ihren Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen gerade gezeigt haben, fatale Folgen für die Weltpolitik haben.

Der US-Satiriker Stephen Colbert hat für diese Form der gefühlten Wahrheit den englischen Begriff "Truthiness" geprägt, der sich am besten mit "Wahrheitlichkeit" übersetzen lässt – eine Mischung aus Wahrheit und Wirklichkeit. Je öfter man eine Behauptung hört oder liest, desto eher wird sie für wahr gehalten – nach dem Motto: Das wird wohl stimmen. So viele können nicht irren. In Zeiten, in denen alles wahr sein kann, ist nichts mehr wahr.

Sogar Philosophen wie Jürgen Habermas haben inzwischen eingesehen, dass das Streben nach absoluter Wahrheit und unerschütterlicher Gewissheit (wie einst der Gottesbeweis) unerfüllbar ist. Auch Juristen sprechen von relativer Wahrheit.

Was zunehmend fehlt, ist jedoch der Wille zur Wahrheitsfindung, den Friedrich Nietzsche als Überwindung des Nihilismus und Abschaffung von Irrtümern und Täuschungen beschrieben hat. Der Schriftsteller Jean Améry hat die Suche nach Wahrheit als Maxime ausgegeben, dass wir uns "Wahrheitähnliches erblickend annähern".

"Aufrichtigkeit" und "Genauigkeit"

Im postfaktischen Zeitalter kommt diese Annäherung, die Wahrheitsfindung, zu kurz, deren zwei "Grundtugenden" der Philosoph Bernard Williams als "Aufrichtigkeit" und "Genauigkeit" beschrieben hat. Im Bereich der Medien sollte dies durch Transparenz ergänzt werden.

Fakten sollen Fake entlarven, faktenbasierte Wahrheiten sollen gefühlten Wahrheiten und Wahrheitlichkeiten entgegengestellt werden. Für die Medien bedeutet das, mehr wissen und erfragen zu wollen. Immer häufiger werden Faktenchecks als solche ausgewiesen, Recherchen offengelegt. Das heißt aber auch: nicht jedem Spin zu folgen, nicht auf jede Provokation einzusteigen. Damit setzt man sich Angriffen von Moralpolizisten, Wutbürgern und US-Präsidenten gleichermaßen aus; von all jenen, die nur die eine Seite der Wahrheit kennen wollen: Für die Wahrheit nicht mehr als eine Behauptung, ihre Behauptung ist.

Medien, die sich alle auf die Wahrheitssuche begeben, müssen das Ergebnis dort sichtbar machen, wo Informationen ungeprüft übernommen und extreme Meinungen ungefragt weiterverbreitet werden: in den sozialen Netzwerken. Aber auch Suchmaschinen haben auf Kritik reagiert und wollen, wie Google, stärker gegen gefälschte Nachrichten im Netz vorgehen.

Aber auch für die Bürger bedeutet das, sich mehr anzustrengen, mehr wissen und hinterfragen zu wollen – ganz im Sinne des aufklärerischen Imperativs von Immanuel Kant, der den Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit sogar als Postulat formuliert hat. Im 21. Jahrhundert gibt es zwar viel mehr Informationen, die Wahrheits- und Wahrhaftigkeitssuche ist aber schwieriger geworden. (Alexandra Föderl-Schmid, 3.6.2017)