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Reality Leigh Winner, sehr schnell aufgeflogene Whistleblowerin.

Foto: Reuters

Als das FBI mit schwerbewaffneten Beamten aufkreuzte und für Reality Leigh Winner, die gerade nichtsahnend vom Einkaufen zurückkam, die Handschellen klickten, war die Verwunderung groß. Die 25-jährige gebürtige Texanerin, die seit Februar in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia wohnte und arbeitete, galt als "ganz normale Person"; sie fiel nicht auf, war nett, freundlich, hatte Freunde, unterrichtete Yoga.

Doch die ihr zur Last gelegten Vorwürfe wollen nicht recht zum Image des allseits beliebten "All-American Girl" passen: Geheimnisverrat. Darauf stehen bis zu zehn Jahre Haft. Winner soll laut "New York Times" geheime Dokumente bei ihrem Arbeitgeber Pluribus International, einem Sicherheitsdienstleister für das US-Verteidigungsministerium, entwendet, ausgedruckt und per Post an das Aufdeckermagazin "The Intercept" geschickt haben – jenes Online-Medium, das unter anderem von Laura Poitras und Glenn Greenwald betrieben wird.

Sprachen auf eigene Faust erlernt

Diese Publizisten sind keine Unbekannten: Sie waren es, die 2013 die Enthüllungen von Whistleblower Edward Snowden über weltweite Abhörpraktiken des US-Nachrichtengeheimdiensts NSA publik machten.

Wie bei Snowden wusste auch Winners Familie kaum etwas über ihren Job – Diskretion auch den Eigenen gegenüber ist eine Prämisse in dieser Branche. Winners Mutter wusste nur, dass ihre Tochter im vergangenen Dezember nach sechs Jahren den Dienst beim US-Militär quittiert hatte. Dort hatte Winner, die nach Angaben ihrer Mutter auf eigene Faust die Sprachen Paschtu, Farsi und die Variante Dari erlernte, als Sprachanalystin und Kryptografin gearbeitet; stationiert war sie bei der US Air Force in Columbia, Maryland.

Erinnerungen an Snowden, aber keine Parallelen

Winners Geschichte mag stark an Snowden erinnern, doch während der heute im russischen Exil Lebende seine Aktionen und seine Flucht hochprofessionell Monate im Voraus geplant hatte, war das bei Winner offensichtlich nicht der Fall: Das FBI kam auf ihre Spur, nachdem "The Intercept" eine Story über russische Wahlmanipulationen in den USA gebracht hatte. Diese Geschichte berief sich auf Dokumente der NSA, und Winner sei eine von nur sechs Personen gewesen, die die fraglichen Dokumente im fraglichen Zeitfenster am fraglichen Ort ausgedruckt hätten – und die einzige, die direkten Mailkontakt zu dem Magazin hatte.

Möglicherweise beobachteten die Regierungsbehörden Reality Leigh Winner schon seit längerer Zeit. Zumindest in den sozialen Medien dürfte das recht einfach gewesen sein. So verwendete sie etwa ein Profil mit dem kaum abgewandelten Pseudonym "Sarah Winner" – versehen mit ihrem tatsächlichen Konterfei. Im Internet machte Winner generell kein Geheimnis aus ihrer tiefen Ablehnung von Donald Trump als US-Präsident, den sie mitunter als "Stück Scheiße" bezeichnete.

Unprofessionelles Spurenverwischen

Zwar wählte Winner den vergleichsweise anonymen Weg des althergebrachten Postversands, um ihre Dokumente "The Intercept" zukommen zu lassen – doch dass sie es verabsäumte, vorab auch ihre elektronischen Spuren am Mail- und Druckerserver zu verwischen, lässt den Schluss zu, dass sich Winner der Tragweite ihrer Aktionen und der Ermittlungsfähigkeiten der Behörden nicht gänzlich bewusst war – im Gegensatz zu Whistleblowern wie Snowden und Bradley/Chelsea Manning. (Gianluca Wallisch, 7.6.2017)