Das partizipative Wohnprojekt entsteht im neuen Stadtentwicklungsgebiet "Leben am Helmut-Zilk-Park".

Visualisierung: Einszueins

Querschnitt

Plan: einszueins

Grundriss Erdgeschoss

Plan: einszueins

Warum ich mit 59 Jahren gemeinsam mit drei Dutzend Menschen ein Wohnhaus bauen wollte? Weil wir weg von der Hyperindividualität zurück zum Wir finden müssen. Nein, nicht zurück zum Kollektiv. Sondern zu einem Lebensentwurf, der das Wohl der Gemeinschaft im Fokus hat. Und ich teile die Meinung von Architekt Rüdiger Lainer, der in dieser Reihe "Gemeinschaftlich Bauen und Wohnen" sagte: "Partizipative Wohnprojekte erbringen den Nachweis, dass Architektur eine soziale, eine gesellschaftsverändernde Relevanz hat."

Es geht Gleis 21 um eine Weichenstellung: In einem partizipativen Prozess soll – unterstützt von einem Architekten – eine neue Wohnform gefunden werden. Gemeinsames Eigentum soll gemeinsam genutzt werden. Das zu planen kostet Zeit, Geld und Geduld. Aber es tut gut. "In ein Wohnprojekt zu ziehen ist der längste und teuerste Kurs für Persönlichkeitsentwicklung, den man je in seinem Leben machen kann", schreibt Cohousing-Pionierin Diana Leafe Christian. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Soziokratische Regeln

Die Großgruppe, die Vollversammlung von Gleis 21, sitzt zusammen und debattiert Finanzierungsmodalitäten des Bauprojekts. Zuvor haben Doris und Martin, die in der Arbeitsgruppe Finanzen arbeiten, den jüngsten Stand der Gespräche mit den Banken referiert. Die Gruppe entscheidet auf Basis soziokratischer Regeln. Es wird nicht per Mehrheitsvotum abgestimmt, sondern es wird nach der Debatte gefragt, ob es begründbare leichte oder schwere Einwände gegen den formulierten Beschlussantrag gibt. Bisher blieb der schwere Einwand die Ausnahme. Der bedeutet nämlich zurück an den Start, um eine für alle tragbare Lösung zu finden. Das Gute daran: Eine im Konsens getroffene Entscheidung wirkt nachhaltig. Und gibt der Gruppe Kraft, Zuversicht und Mut, auch die nächsten Schwierigkeiten zu bewältigen.

Unsere Vision vom gemeinschaftlichen Leben endet nicht an der Haustüre, sondern reicht ins Viertel, ins Grätzel, in den 10. Bezirk hinaus. Es geht uns nicht ums "schöner Wohnen" (das ist ein angenehmer Nebeneffekt), sondern um das "miteinander Leben". Deshalb wollen wir unsere Erdgeschosszone als Raum der Begegnung gestalten, was wir schon durch die offene Bauweise signalisieren. Es gibt drei Pavillons, denen verschiedene Funktionen zugewiesen sind und in denen unterschiedliche Medien eine tragende Rolle spielen, wie etwa der Film – in Kooperation mit dem Stadtkino Wien. Geplant sind gemeinsame Projekte mit dem Stadtfernsehen Okto TV und Radio Orange, aber auch Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich "Neue Medien". Ganz wichtig: ein gemütliches Lokal, in dem man entspannt feine vegetarische Küche am Helmut-Zilk-Park genießen kann. Dieses breitgefächerte Angebot wird in der Erdgeschosszone der Öffentlichkeit offeriert.

Wohnungen für Flüchtlinge

Mindestens ebenso wichtig ist uns jenes Projekt, das wir mit der Diakonie Wien verwirklichen werden. Gleis 21 finanziert einige Wohnungen, um sie Flüchtlingen mit positivem Asylbescheid zur Verfügung zu stellen, damit sie bei und mit uns leben können. Mit diesem Gesamtkonzept konnten wir eine Jury überzeugen, Gleis 21 ein Grundstück im Sonnwendviertel Ost zuzusprechen.

Für all das werden wir ein finanzielles Risiko eingehen. Ein Businessplan gibt Orientierungshilfe, was und wie wir unsere Ideen umsetzen, damit wir die schwarze Null schaffen, um unsere Kredite bedienen zu können.

Die Gruppe – mittlerweile 43 Erwachsene und 14 Kinder – ist zusammengewachsen. Das gegenseitige Vertrauen ist stark. Es trägt uns, weil wir uns wechselseitig anspornen und unsere vielen, sehr unterschiedlichen Fähigkeiten einsetzen, um dem gemeinsamen Ziel näherzukommen. Wir wissen mittlerweile, dass wir nicht alle Wünsche und Vorhaben der ersten Stunde verwirklichen werden können. Nicht zuletzt wegen der rapide gestiegenen Wohnbaukosten in Wien. Faktum ist: Form follows finance.

Wachsendes Interesse

Dennoch sind wir uns sicher: Der Spatenstich wird im Sommer erfolgen. Gleis-21-Architekt Markus Zilker sieht ein wachsendes Interesse am gemeinschaftlichen Wohnen in Wien. "Es gibt ganz viele Menschen, die sich für solche Wohnformen interessieren und damit auch zivilgesellschaftliches Engagement zeigen. Das reicht weit über das Wohnen hinaus. In Wirklichkeit geht es um eine Lebensform."

Gleis 21 hat etwas von einem – gemischten – Fußballteam: Spielen können wir nur, weil wir uns voneinander abhängig machen. Ohne diese Abhängigkeit gäbe es keinen Spaß und keinen Sieg. Und auch nicht unsere Stadt mit diesen spannenden Formen des gemeinschaftlichen Wohnens. (Michael Kerbler, 10.6.2017)