Arzneimittel aus der Klasse der Benzodiazepine sind als Tranquilizer und Schlafmittel hoch wirksam und sicher in der Monotherapie. Doch in Österreich gibt es wahrscheinlich rund 140.000 Abhängige. Eine neue Broschüre der Wiener Sucht- und Drogenkoordination soll Ärzte bei der sachgerechten Verschreibung unterstützen.

"Dass Benzodiazepinabhängigkeit ein relevantes Problem ist, belegen Schätzungen, wonach ein bis zwei Prozent der Allgemeinbevölkerung betroffen sind. Es sind rund 140.000 Menschen in Österreich, die in ihrem Leben zumindest eine gewisse Zeit davon abhängig sind", sagte Hans Haltmayer, Arzt und Beauftragter für Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, am Montag bei einem Hintergrundgespräch.

Die Experten unterscheiden zwei verschiedene Formen der Benzodiazepinabhängigkeit: In die Niedrig-Dosis-Sucht rutschen Personen durch problematische Langzeit-Verschreibung der Tranquilizer und Schlafmittel durch Ärzte. "Die Betroffenen sind unauffällig. Sie geben an, die Mittel zu brauchen, 'um funktionieren (auch schlafen; Anm.) zu können'. (...) Frauen und ältere Menschen sind besonders gefährdet", sagte Haltmayer. Oft stecken hinter dem Gebrauch dieser Medikamente anfänglich psychische Krisen, Traumata, Angstzustände und verschiedene psychiatrische Erkrankungen.

Mischkonsum als Todesursache

Die zweite Gruppe stellen Opiatabhängige dar, die noch zusätzlich diese Arzneimittel in hohen Dosierungen einnehmen. "Diese Betroffenen sind oft schwer beeinträchtigt", betonte der Experte. Bei Todesfällen im Zusammenhang mit illegalen Drogen besteht in Österreich fast immer ein Mischkonsum aus Opiaten und Benzodiazepinen und/oder Alkohol. Die Tranquilizer bzw. Alkohol können die Dämpfung des Atemzentrums im Gehirn durch die Opiate massiv verstärken.

Die Broschüre, die unter Mitwirkung zahlreicher Experten und Stellen entstanden ist, listet auf rund 40 Seiten die Anwendungsgebiete für Benzodiazpine auf – das reicht vom Alkoholentzug bis zur Geriatrie – und gibt mit einem Ampelsystem Hinweise auf eine ärztliche Verschreibung "Lege artis" (grün), "riskant" (gelb) oder "kontraindiziert" (rot). Für den üblichen Gebrauch im medizinischen Alltag sollte immer ein Therapiefahrplan erstellt werden.

Laut Haltmayer ist eine Faustregel, dass Benzodiazepine nicht länger als acht Wochen verschrieben werden sollten. Gleichzeitig sollte eine Abklärung vorhandener psychischer Störungen und – so notwendig – eine für das jeweilige Leiden infrage kommende multimodale Behandlung gestartet werden.

Langsam ausschleichen

Das Problem liegt darin, dass eine einmal aufgetretene Diazepinabhängigkeit nur sehr schwer zu behandeln ist. "Eine stationär durchgeführte Entzugstherapie dauert drei bis sechs Wochen. Ein ambulanter Entzug gelingt nur dann, wenn man die Dosis langsam, schrittweise und über Monate hinweg reduziert", sagte der Experte. Die erzielten dauerhaften Abstinenzraten seien gering. Der Wiener Suchtmittelmonitor aus dem Jahr 2015 hat ergeben, dass um die 20 Prozent der Befragten in den vorangegangenen 30 Tagen zumindest einmal ein solches Arzneimittel verwendet hatten.

Ein Erfolg wurde in den vergangenen Jahren bei den Benzodiazepinen im Zusammenhang mit Opiatabhängigkeit in Österreich erzielt: Der Gebrauch von nach der Einnahme rasch anflutenden Wirksubstanzen wurde durch mehrere Maßnahmen weitgehend zurückgedrängt. (APA, 12.6.2017)