STANDARD: Das Ende kommt insofern zur richtigen Zeit, als Sarah Brandt und Borowski offenbar gar nicht mehr miteinander können. Ein würdiger Abschluss?

Kekilli: In der Folge steht der Egoismus Borowskis im Vordergrund, den sich Brandt so nicht gefallen lassen will. Aber als Abschluss war dieser Tatort nicht geplant, denn wir drehten danach noch mindestens zwei Folgen, die allerdings vor Das Fest des Nordens ausgestrahlt wurden. Es ist etwas kompliziert.

STANDARD: Das heißt, der "Tatort" am kommenden Sonntag ist Ihr letzter im Fernsehen, aber nicht der letzte, den Sie gedreht haben?

Kekilli: Richtig, das war Das dunkle Netz im März. Aber da sagt Sarah Brandt ja auch schon, dass sie sich versetzen lassen will, wobei das jetzt eher ein Zufall ist.

STANDARD: Wann haben Sie für sich beschlossen aufzuhören?

Kekilli: Ungefähr Ende August 2016. Danach gab es Gespräche, der Norddeutsche Rundfunk wollte eine Abschlussfolge, aber ich war unsicher und habe mich letztlich dagegen entschieden. Ich denke, dieser Tatort ist ein guter Abschluss.

STANDARD: Wie kommentieren Sie Ihren letzten Einsatz?

Kekilli: Er wird polarisieren. Die Dreharbeiten mit dem Regisseur Jan Bonny waren spannend, und ich mochte hier die Rolle der Sarah Brandt.

"Zwischendurch erkannte ich meine Rolle nicht wieder: Was ist mit Sarah Brandt passiert? Steht nur da und sagt nichts?"
Foto: NDR / Christine Schröder

STANDARD: Das klingt, als sei das nicht immer so gewesen.

Kekilli: Ich war nicht immer glücklich damit und musste oft kämpfen. Bei Serien wie Game of Thrones, wo ich vier Staffeln spielen durfte, gibt es Headwriter, die dafür sorgen, dass eine Figur einem roten Faden folgt, auch wenn einzelne Folgen von unterschiedlichen Regisseuren gemacht werden. Beim Tatort wurde die Figur der Sarah Brandt von Autor Sascha Arango 2010 eingeführt, man machte sich Gedanken über die Rolle, Auftreten, Kostüm. Danach kamen manchmal Regisseure, die mir immer auch mal ein Kleid anzogen. Heute würde ich dazu sagen: Auf keinen Fall! Das passt nicht zu Sarah Brandt.

STANDARD: Warum sagten Sie nichts?

Kekilli: Ich sagte es damals, aber es geht dann auch darum, die Mitte zu finden. Da kommt ein Regisseur von außen, will natürlich Ideen einbringen, ich versuche als Schauspielerin, meiner Rolle einen roten Faden zu geben, gleichzeitig wollte ich Kompromisse eingehen und offen sein für Vorschläge, und so ließ ich mich überreden. Zwischendurch erkannte ich meine Rolle nicht wieder: Was ist mit Sarah Brandt passiert? Steht nur da und sagt nichts, ist von der starken Frau zum Mädchen geworden? Ich habe natürlich trotzdem versucht, meine Farbe einzubringen. Dann gab es Glücksfälle, wie beim Fest des Nordens, wo sie mit dem Golfschläger auf eine Gruppe losrennt – das war wieder meine Sarah Brandt.

STANDARD: Sahen Sie auch die Gefahr, nur noch mit der Rolle identifiziert zu werden?

Kekilli: Ich möchte nicht unfair sein, ich bin froh und dankbar, dass ich eine solche Chance hatte, erstens in einer Kultreihe sieben Jahre dabei sein durfte und zweitens, dass die Rolle eine Deutsche war und keinen Migrationshintergrund hatte. 2010 war der Tatort vielleicht bei Schauspielern noch nicht so beliebt wie heute. Manche Regisseure fragten mich, was ich nach meinen Rollen in Der Fremde oder Winterreise dort tue. Sie warnten mich, ich habe das damals nicht so empfunden. Lieber eine gute Fernsehrolle als ein schlechter Kinofilm, dachte ich. Das hat sich auch bestätigt, die Grenzen zwischen Fernsehen und Kino sind immer mehr verschwommen. Ich glaube aber, wenn man zu lange in einer Reihe ist, dass man für Regisseure oder Produzenten nicht mehr so interessant ist. Leider.

STANDARD: Der "Tatort" steigerte nicht die Nachfrage nach Sibel Kekilli?

Kekilli: Nein, so kann man das auch nicht sagen. Aber nachdem ich öffentlich bekanntgab, dass ich aufhöre, bekam ich mehr interessante Drehbücher als in den letzten zwei Jahren. Manche Regisseure und Produzenten denken, das ist die Tatort-Kommissarin, und die ist schon so mit ihrer Rolle eins, dass wir sie für eine andere Rolle gar nicht wollen.

Sibel Kekilli spielte vier Staffeln in der Fantasyserie "Game of Thrones": Shae, die kluge Mätresse des kleinwüchsigen Tyrion Lennister (Peter Dinklage).
Foto: HBO

STANDARD: Sie sind ja nicht nur "Tatort"-Kommissarin, sondern spielten vier Staffeln in der derzeit erfolgreichsten Serie der Welt, in "Game of Thrones".

Kekilli: Das war mein Glücksgriff, aber dieser Effekt verstärkte sich dadurch nur noch mehr! Zum Beispiel spiele ich jetzt eine sehr interessante Figur in der Serie Bruder für ZDF neo. Diese Rolle hätte ich nie bekommen, wenn ich noch Kommissarin im Tatort wäre. Auch weil ich vertraglich keine weitere Polizistenrolle hätte annehmen dürfen.

STANDARD: Sie hatten eine Zeit die Sorge, als türkischstämmige Frau im Film abgestempelt zu werden. Ist Ihnen gelungen, dieses Image durch Sarah Brandt abzuschütteln?

Kekilli: Nein. Ich bekomme immer noch türkische Rollen – was natürlich auch gut ist. Ansonsten hätte ich Winterreise nicht spielen können, ich hätte meine Filmpreise für Die Fremde und Gegen die Wandnicht bekommen. Ich möchte aber nicht Quotentürkin sein und keine Rolle spielen, die voller Klischees ist.

STANDARD: Gelingt Ihnen das?

Kekilli: Es ist ein Drahtseilakt. Die Besetzer denken oft nicht daran, dass ich mit dunklen Haaren und dunklen Augen aussehe wie ganz viele deutsche Frauen. Es ist in manchen Köpfen drin, aber zum Glück gibt es auch andere, für die schauspielerische Leistung zählt. Natürlich verstehe ich auch, dass ich keine Blonde spielen kann mit blauen Augen. Aber man sollte schon mutiger sein und mich nicht besetzen, weil ich Türkin bin, sondern weil ich eine gute Schauspielerin bin.

STANDARD: Wie gehen Sie mit dieser Form des Rassismus um?

Kekilli: Das Interessante ist ja, dass ich in den ganzen Tatort-Jahren kein einziges Mal von Zuschauern angesprochen wurde, dass Sarah Brandt Deutsche ist und ich aus der Türkei komme. Aber bei der Presse wurde ich immer wieder gefragt, warum ich denn Sarah Brandt heiße, wer die Idee hatte, ob es meine Idee war, warum ich denn eine deutsche Rolle spielen würde, eine Türkin hätte doch interessantere Facetten. Aha, sage ich dann: Das heißt, Sie finden deutsche Rollen langweiliger als türkische?

STANDARD: Wie sehen Sie die Darstellung von Menschen mit Migrationshintergrund im deutschsprachigen Film und TV?

Kekilli: Meistens voller Klischees, bei den Oscars wurde kritisiert, dass Preise nur die weißen Schauspieler bekommen. Wie ist es hier und in Österreich und der Schweiz? Das ist doch dasselbe. Bei den Nominierungen sieht man selten Schauspieler mit Migrationshintergrund, nur wird hier nicht darüber gesprochen.