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In Blasen besteht an einem Diskurs eher wenig Interesse. Auch kleine Communities kapseln sich im Netz ab. Worauf es im digitalen Diskurs ankommt.

Foto: REUTERS/Erik De Castro

Halbleiter leiten den Strom unterschiedlich, in der einen Richtung mehr/alles, in der anderen weniger/gar nicht. Kennen Sie den Begriff des Halbleitermanagers? Das ist einer, der alle Befehle von oben nach unten durchstellt, aber keine Mitarbeiterinformationen (Warnungen, Klagen, Unstimmigkeiten, Unzufriedenheit, tatsächlich gemessene Abgaswerte) nach oben meldet. In einem Halbleitermanagement blitzt alle Information per Druck oder Massenmail nach unten, aber es findet keine Kommunikation nach oben statt. Oben wissen sie daher von nichts. Mitarbeiter argwöhnen, die da oben schweben in höheren Welten – das kommt von der Halbleitung der Halbmanager.

In der letzten Zeit ist im Netz immer mehr von Filterblasen die Rede. Es geht darum, dass man bei Facebook oder beim Googeln "personalisierte" Inhalte zu sehen bekommt, also vorzugsweise solche, die zum eigenen Weltbild passen. "Das spricht mir aus der Seele" scheint heute das größte Entzücken auszulösen, nach dem sie alle gieren. An einem Diskurs besteht eher wenig Interesse.

Abgekapselte Communitys

Im Internet bilden sich daneben auch viele kleine Communitys, die sich mit einem speziellen Interesse abzukapseln scheinen, wobei besonders Verschwörungstheorien schillernde Interessengemeinschaften erzeugen. Nehmen wir als Beispiel die geschätzt zwanzigtausend Chemtrail-Besorgten, die fest daran glauben, dass man in Flugzeugkondensstreifen sehen kann, wie finstere Mächte Gifte in den Ausstoß mischen und Tag für Tag irgendetwas Dunkles über die Menschheit sprühen.

Verschwörungstheoretiker sind absolut beratungsresistent. Sie können durch keine noch so harten Beweise davon überzeugt werden, dass ihre Theorie falsch ist. Sie sind auch an keinen Beweisen interessiert. Sie wollen aber schon, dass sich die ganze Welt ihren Sorgen anschließt und die Kondensstreifen abschafft. An diesem Beispiel sieht man, was eine Halbleiterblase ist: Kein Argument dringt nach innen, laute Argumente werden nach außen hinausposaunt. Verschwörungstheorien bilden die Grundlage für extreme Halbleiterblasen: nichts rein, alles raus.

Die katholische Kirche in der Halbleiterblase

Nun gibt es gemäßigte Halbleiterblasen, in die ein bisschen hineindarf und aus denen vieles rausgeht. Fallen Ihnen solche ein? Die katholische Kirche sitzt in einer Halbleiterblase, die Papst Franziskus gerade zu mäßigen sucht – denn gerade will man noch die Weltferne beibehalten und gleichzeitig erwarten, dass sich die ganze Welt missionieren lässt. Veganer wollen uns alle verändern, lassen aber oft nicht so wirklich mit sich reden. Viele Unternehmen schotten sich als Halbleiterblasen hermetisch ab und posaunen aber über alle Kanäle, dass sie Mega-Giga-Super-Firmen sind. Halbleiterblasen sind tendenziell nicht offen. Innen hüten und brüten sie die reine Lehre, nach außen wird die Lehre verbreitet.

Viele Verbände sind Möchtegernhalbleiterblasen. Sie diskutieren innen in langen Meetings amateurhaft-zufällig die Interessen ihres Verbandes und jammern unablässig, dass ihnen außen keine Aufmerksamkeit gegönnt wird. "Wir hätten so gerne mehr Mitglieder – wir geben doch unseren ganzen Etat für Sichtbarkeitsberater aus, wir haben ein neues Logo. Außer Mitgliederwerbung kommen wir zu nichts mehr." Fallen Ihnen noch mehr Halbleiterblasen ein?

Parteien als bunte Blasen

Die politischen Parteien waren einmal Halbleiterblasen, und wie! Da liefen Stacheldrahtzäune durch die Familien. Die Parteien hatten damals beratungsresistente oder eben stabile Grundideen, zu denen sie fest standen und deretwegen sie gewählt wurden. Das war ihnen aber nicht genug, nur von der eigenen Halbleiterblase Stimmen zu bekommen. Daher öffneten sie sich, orientierten ihre Grundideen zur Masse hin – gaben sie also weitgehend auf – und wurden so zu ... ja, äh, zu bunten Blasen. Ohne Halbleiter, ohne Filter.

Ich will sagen: Die Halbleiterfunktion ist ja nicht an sich schlecht, es kommt darauf an: auf das Maß der Offenheit nach außen, der Festigkeit im Inneren und der gesunden Tendenz, andere mitzunehmen und deren Kritik ernst zu nehmen. (Gunter Dueck, 29.6.2017)