Peter Seisenbacher ist für die Justiz derzeit nicht aufzufinden.

Foto: APA/Helmut Fohringer

Wien – Peter Seisenbacher war das, was man in Österreich gerne "Olympia-Held" nennt. Judo-Olympiasieger 1984 und 1988, dazu noch Welt- und Europameister. Vergangenen Herbst wurde aus dem Helden ein Justizfall: Der mittlerweile 57-Jährige wurde nach jahrelangen Ermittlungen angeklagt, zwei unmündige Mädchen sexuell missbraucht zu haben und dies bei einem dritten Mädchen versucht zu haben. Am 19. Dezember 2016 hätte die Hauptverhandlung beginnen sollen. Seit diesem Tag ist Peter Seisenbacher verschwunden.

Der Olympionike erwischte die heimische Justiz mit seiner Abwesenheit auf dem falschen Fuß. "Der Angeklagte war während des Ermittlungsverfahrens erreichbar, die Staatsanwaltschaft hat damals keinen Grund gesehen, einen Haftbefehl zu erwirken", sagt Christina Salzborn, Sprecherin des Straflandesgerichts Wien. Die Ermittler reagierten mit einem internationalen Haftbefehl auf die mögliche Flucht – das ist nun mehr als ein halbes Jahr her. Salzborn bestätigt, dass nach wie vor gefahndet wird, Seisenbachers Anwalt Bernhard Lehofer war nicht zu erreichen.

Das "Wo?" ist das größte Fragezeichen, das Seisenbacher hinterlassen hat. Seine letzte sportliche Tätigkeit war die als Trainer des aserbaidschanischen Judo-Nationalteams. Laut dem Generalsekretär des dortigen Verbandes Elmar Babanli lief Seisenbachers Vertrag nur bis November 2016.

Also ist die letzte Spur eine geschäftliche, die mit Sport nichts zu tun hat: Wie laola1.at im Winter berichtete, arbeitete Seisenbacher für das in San Francisco gemeldete Unternehmen Wayward Enterprises, Inc. – eine Firma, die mit Schürfrechten handelt. Goldminen, Ölquellen, Gasvorkommen, ein heikles Geschäft. Seisenbacher war auf der Wayward-Website im Jänner noch als CEO gelistet – auch in den nun vom STANDARD aufgespürten Gründungsdokumenten scheint sein Name auf.

Waywards Gründungsdokument – Seisenbacher war damals als "Secretary" geführt.
Foto: California Secretary of State

Detail am Rande: Der Anwalt William D. Johnson, bei der Gründung im März 2014 Rechtsvertreter Waywards, ist Vorsitzender der ultrarechten US-Partei American Freedom Party. Bei seiner Auswahl dürfte das jedoch keine Rolle gespielt haben, Johnson ist auf die Zusammenarbeit mit japanischen Geschäftsmännern spezialisiert – und genau das waren zwei der drei Geschäftspartner Seisenbachers. Es drängt sich die Frage auf: Wie kam er zu diesen? Wie kommt ein Ex-Judoka zum Handel mit Schürfrechten?

Kurioses Grüppchen

Persönliche Kontakte könnten die Erklärung liefern: Seisenbacher betonte früher mehrfach sein gutes Verhältnis zu Marius Vizer, Präsident des Judo-Weltverbands und bis 2015 Präsident der globalen Sportverbandsdachorganisation Sport Accord. Auf einer Teilnehmerliste der Sport-Accord-Tagung 2015 stehen unter anderem Kazuyoshi Yoshimura und Kyoh Kunishio – Seisenbachers Partner bei Wayward. Yoshimura wird als CEO eines japanischen Spitals geführt, Kunishio als Sport-Accord-Manager – es ist ein kurioses Grüppchen, das sich im Jahr zuvor mit dem österreichischen Ex-Judoka und dem Georgier Giorgi Aleksidze gefunden hatte.

Eine Judo-Verbindung fungiert hier nur bedingt als Erklärung – Yoshimura ist ein Investor ohne Judo-Hintergrund. Das sagt Harald Horschinegg, und der muss das wissen, denn auch er war für Wayward aktiv. Der österreichische Sportmediziner bezeichnet Seisenbacher als guten Freund, auf seine Vermittlung kam er zum Geschäft mit Bodenschätzen. Da Horschinegg seit Monaten kein Gehalt mehr bekommen habe, habe er nun aber nichts mehr mit der Firma zu tun. Auch die US-amerikanische Rechtsvertretung hat ihr Verhältnis mit Wayward im April wegen ausstehender Zahlungen beendet, bestätigt die Kanzlei dem STANDARD.

Seisenbacher führte für Wayward Verhandlungen und besuchte auch die Besitztümer des Unternehmens.
Foto: Wayward-Website

Seisenbacher führte für Wayward Verhandlungen und besuchte die Besitztümer des Unternehmens. Die Website wayward.la existiert noch, sämtliche Inhalte wurden aber mitsamt Quellcode gelöscht. Es scheint, als wäre das Unternehmen mitsamt Seisenbacher verschwunden. Anders als Wayward kann sich ein "korpulenter" Mensch mit "kräftiger Figur", wie es im europäischen Haftbefehl heißt, aber nicht einfach auflösen. Seine Geschäfte würden Georgien – Kyoh Kunishio soll sich dort aufhalten, Seisenbacher war bis 2012 georgischer Nationaltrainer – oder Aserbaidschan als Aufenthaltsort nahelegen.

Neben dem Kaukasus oder Kalifornien ist Dubai ein heißer Tipp – Wayward hat bzw. hatte dort eine Niederlassung, als einziges der genannten Länder haben die Vereinigten Arabischen Emirate kein Auslieferungsabkommen mit Österreich. Laut laola1.at soll Seisenbacher in dem Wüstenstaat ein Resident-Visum mitsamt Wohnsitz besessen haben. Diese Visa müssen von einer in den Emiraten sitzenden Firma gesponsert werden, alle drei Jahre wird eine Erneuerung fällig. Da Seisenbachers Visum wohl seiner 2014 begonnenen Tätigkeit bei Wayward entstammt, könnte das schon so weit gewesen sein – eine mögliche Komplikation, falls er in Dubai ist und das Unternehmen nicht mehr existiert. Wo genau die Ermittler fahnden, sagt Gerichtssprecherin Salzborn nicht.

Mit seinem Aufenthaltsort bleibt auch Seisenbacher ein Rätsel. So er derzeit wirklich vor dem Gesetz flieht, hat das seine rechtliche Lage übrigens nicht verschlechtert: Das Fernbleiben von einer Gerichtsverhandlung ist keine Straftat. (Martin Schauhuber, 3.7.2017)