Körperteile, die Probleme machen, werden abgebunden und dann spezielle Übungen gemacht – so funktioniert "Flossing".

Foto: Holger Münch, TRIAS Verlag

Kay Bartrow
Flossing. Richtig anlegen und wirksam üben.
Trias 2017
160 Seiten, 25,70 Euro

Foto: Trias

Bis vor kurzem war "Flossing" hauptsächlich Zahnärzten ein Begriff: Es ist der englische Begriff für das Reinigen der Zähne mit Zahnseide. Doch nun ist "Flossing" auch in der Physiotherapie angekommen: Dort steht es für das temporäre und gezielte Abbinden bestimmter Körperteile mittels elastischer Gummibänder.

Die Idee dahinter: Die Blutzufuhr wird durch die Kompression kurzzeitig unterbunden. Wenn das Gummiband wenig später entfernt wird, entsteht eine Sogwirkung im Gewebe. Endprodukte des Stoffwechsels werden so schneller abtransportiert, neue Nährstoffe rascher zugeführt, zumindest in der Theorie. Zum Einsatz kommt "Flossing" beispielsweise bei Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, aber zunehmend greifen auch Hobbysportler zu den Gummibändern. Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit von "Flossing" fehlen aber noch weitgehend.

Liegestütze und Ball spielen

Der deutsche Physiotherapeut Kay Bartrow legte mit "Flossing. Richtig anlegen und wirksam üben" vor kurzem eine Schritt-für-Schritt Anleitung des Methode für Laien vor. Bartrow empfiehlt, sich Körperteile, die Probleme machen, – die Schulter zum Beispiel oder das Knie – abzubinden und zeigt Übungen vor, die mit den Bändern gemacht werden sollen. Wer sich also beispielsweise die Mittelhand abbindet, der sollte dann mit abgebundener Hand Liegestütz machen oder mit einem Tennisball spielen. Denn in Kombination mit den Übungen würde sich die Friktion erhöhen und Verklebungen und Vernarbungen alter Verletzungen gelöst, argumentiert Bartrow.

Ganz wichtig: Sobald das Band fest angebracht ist, läuft die Zeit. Bei drei Minuten liegt die Obergrenze laut Bartrow, danach sollte das Band wieder entfernt werden. Bei starken Schmerzen, Hautreizungen und Nervenkribbeln muss es überhaupt sofort entfernt werden. Nach einer kurzen Pause, in der die Durchblutung in der betroffenen Körperstelle wieder in die Gänge kommen soll, kann die Anwendung wiederholt werden. "Es darf unangenehm sein, aber nicht zerstörerisch", sagt die Wiener Physiotherapeutin Beatrix Baumgartner vom Fascia Center Vienna.

In Österreich hält die Methode seit 2016 Einzug, erzählt sie. Anfang Juli erst war sie beim "Ironman Austria" in Kärnten im Einsatz und behandelte Athleten am Tag nach dem Wettkampf mit den elastischen Bändern: "Bei Muskelkater wirkt es sensationell", berichtet sie. "Manche Leute haben sich schon nach fünf Minuten gefühlt, als ob sie sofort beim nächsten Wettkampf antreten könnten."

Körperfern bis körpernah

Geflosst wird jedenfalls, wo die körperlichen Beschwerden am größten sind, schreibt Bartrow. Gewickelt wird zudem von "körperfern bis körpernah", also beispielsweise vom Ellbogen in Richtung Schulter. Für jedes Körperteil wird genau vorgezeigt, wie ein Flossingband angelegt wird – und welche Übungen dann gemacht werden sollen, um den Flossing-Effekt zu steigern. Außerdem wird die Anatomie eines jeden Körperteils genau erklärt.

Was ist dran an der Technik? "Flossing ist eine Therapieform, die vor allem darauf abzielt eine Art Neustart zu verursachen um die Bewegungen wieder flüssig durchführen zu können", erklärt der Wiener Orthopäde Steven Moayad. Auch Gert Apich, Physikalischer Mediziner an der Lymphklinik Wolfsberg, findet die Theorie, die hinter "Flossing" steckt, schlüssig. Von Behandlungen in Eigenregie, wie in Bartrows Buch suggeriert, rät er dennoch ab: "Bei Beschwerden muss vorher die Ursache abgeklärt werden", sagt Apich und warnt vor "versteckten Erkankungen" wie Insuffizienzen und Nervenschädigungen.

Auch Physiotherapeutin Baumgartner empfiehlt, vorab den Rat eines Physiotherapeuten einzuholen. Sie weist außerdem auf große Qualitätsunterschiede bei den Flossing-Bändern hin: Manche billigen Bänder seien zu glatt oder zu steif für die Anwendung.

Achtung bei Allergien

Vom "Flossing" abgeraten wird bei offenen Wunden, Hauterkrankungen und bei schweren Gefäßproblemen, bei einer Latex- oder Kautschukallergie oder bei älteren Menschen mit besonders dünner Haut. Bei Diabetikern sei zumindest eine Abklärung mit einem Arzt nötig, betont Baumgartner. Sie ist davon überzeugt, dass Flossing ein ideales "Tool zur Selbstbehandlung" sein kann, beispielsweise für Hobbysportler: "Damit lassen sich viele Überlastungsschäden vermeiden." (Franziska Zoidl, 16.7.2017)