Bild nicht mehr verfügbar.

Genetische Untersuchungen geben unerwartete Aufschlüsse über mögliche Beziehungen zwischen frühen Vertretern von Homo sapiens und Neandertalern.
Foto: REUTERS/Nikola Solic

Jena/Wien – War erst im Juni bekannt geworden, dass im heutigen Marokko bereits vor mehr als 300.000 Jahren Vertreter von Homo sapiens lebten (100.000 Jahre früher, als bisher angenommen), so sorgt nun die DNA-Analyse eines Neandertaler-Knochens für neue Spekulationen in Sachen Menschheitsentwicklung.

Konkret handelt es sich um die sogenannte mitochondriale DNA aus einem 124.000 Jahre alten Oberschenkelknochen, der 1937 bei Grabungsarbeiten in der Höhle Hohlenstein-Stadel im Südwesten Deutschlands entdeckt wurde.

Bei Ausgrabungen in der Höhle Hohlenstein-Stadel vor 80 Jahren wurde der nun untersuchte Knochen entdeckt.
Foto: Photo Museum Ulm

Da die mitochondriale DNA (mDNA) anders als die DNA im Zellkern ausschließlich über die Mutter vererbt wird, hilft sie, mütterliche Abstammunglinien zurückzuverfolgen, Populationen zu unterscheiden und näherungsweise zu berechnen, wieviel Zeit vergangen ist, seit zwei Individuen zuletzt einen gemeinsamen Vorfahren teilten, da genetische Veränderungen in vorhersagbaren Raten auftreten.

Frühe Trennung der Abstammungslinien

Das Besondere an der nun sequenzierten mDNA: Laut den Daten hat sich die Abstammungslinie dieses Neandertalers von der aller anderen bisher untersuchten Neandertaler vor 220.000 Jahren getrennt, wie Forscher um Cosimo Posth (MPI für Menschheitsgeschichte) im Fachblatt "Nature Communications" schreiben.

Dieser 124.000 Jahre alte Oberschenkelknochen eines Neandertalers lieferte die DNA für die neuen Spekulationen.
Foto: Oleg Kuchar, Photo Museum Ulm

Das bedeutet nicht nur, dass die genetische Vielfalt unserer nächsten Verwandten früher einmal größer war als während ihrer Endphase vor 40.000 Jahren. Spannender ist eine weitere mögliche Schlussfolgerung: Es deutet viel darauf hin, dass zwischen der Aufspaltung von Neandertalern und modernen Menschen vor 470.000 Jahren und der Trennung der Neandertalerlinien vor 220.000 Jahren Kreuzungen zwischen Neandertalern und modernen Menschen stattfanden.

Vorverlegung des Auszugs aus Afrika

Das wäre zum einen deutlich früher als bisher angenommen. Denn aufgrund der bekannten DNA von Mensch und Neandertaler ging man eher davon aus, dass die Paarungen erst nach dem Auszug aus Afrika vor rund 100.000 Jahren stattfanden. Das bedeutet freilich auch, dass es – siehe die eingangs erwähnte Marokko-Studie – frühe Vertreter von Homo sapiens gegeben hat, die sich lange vorher in Richtung Europa begaben.

In eine grafische Darstellung gebracht, könnte die Aufspaltung (und WIedervereinigung) von Neandertalern, modernen Menschen und den Denisova-Menschen in etwa wie folgt passiert sein:

Grafik: Annette Günzel, © MPI für Menschheitsgeschichte

Vor etwa 600.000 bis 700.000 Jahren trennten sich demnach die Linien von modernen Menschen und einer anderen Gruppe, die Afrika in der Folgezeit verließ. Aus dieser gingen dann in Eurasien Neandertaler und Denisova-Mensch hervor. Eine erste, bisher unbekannte Gruppe von Urmenschen wanderte dann vor 300.000 bis 400.000 Jahren aus Afrika aus, vermischte sich mit Neandertalern und hinterließ jene genetischen Spuren, die man nun in dem 124.000 Jahre alten Oberschenkelknochen gefunden hat.

Um diese Hypothesen zu erhärten, wäre freilich DNA aus dem Zellkern des Knochens nötig. Aufgrund des schlechten Erhaltungszustands und der hohen Kontamination durch moderne menschliche DNA sei das allerdings laut Erstautor Cosimo Posth "äußerst schwierig". (tasch, 4.7.2017)