Wer soll wie viel Geld bekommen? Verteilungsfragen werden in Wahlkämpfen immer wieder lebhaft diskutiert. Fakten spielen dabei oft eine untergeordnete Rolle.

Foto: ÖVP / J. J. Kucek

Wien – Vorwahlzeit ist die Zeit der Versprechungen. Ein Kandidat verspricht Veränderung, ein anderer gelobt, alles werde so bleiben, wie es ohnehin nie war, viele versprechen alles auf einmal. Oft geht es dabei um Verteilungsfragen: Wer soll mehr bekommen, wo soll gespart werden, wer soll zur Kasse gebeten, wer entlastet werden?

Man könnte annehmen, dass das Ankünden von Sozialkürzungen in Wahlkampfzeiten ein Tabu sei – schließlich macht sich eine Partei, die den Wählern androht, ihnen etwas wegzunehmen, nicht beliebt. Diese Annahme ist falsch. Es kann sehr wohl populär sein, mit Sozialkürzungen zu werben. Sobald Politiker betonen, dass von einer Sozialleistung auch Ausländer profitieren, sinkt die allgemeine Zustimmung zu dieser Leistung – und Politiker, die hier einsparen wollen, ernten dafür Verständnis oder sogar Zuspruch.

Die sozialpolitische Forschung nennt dieses Phänomen Wohlfahrtschauvinismus: Viele Wähler sehen den Wohlfahrtsstaat skeptischer, wenn sie bemerken, dass davon auch viele Menschen profitieren, die ihnen selbst unähnlich sind. Anders herum: In homogenen Gesellschaften gibt es mehr Sympathie für Umverteilung von Reich zu Arm. Wobei die Frage, wie man Ähnlichkeit definiert, sich stark verändern kann.

Überall nur Männer

"Vor hundert Jahren haben sich wenige darüber Gedanken gemacht, dass Politik zu 99 Prozent von Männern gemacht wird", sagt Laurenz Ennser-Jedenastik, Politikwissenschafter an der Uni Wien, zum STANDARD. Es sei ganz einfach normal gewesen, die Trennlinie zwischen dem inneren und dem äußeren Kreis der Macht entlang von Geschlechtergrenzen zu ziehen. Heute sei das etwas anders: Der Diskurs ist stark von der Unterscheidung je nach Herkunft und Religion geprägt.

"Vor den 1980er-Jahren war Immigration im österreichischen Diskurs kein großes Thema", sagt der Politikwissenschafter. Auch die FPÖ habe viel stärker auf wirtschaftspolitische Themen gesetzt, um im Wahlkampf zu punkten. Erst später hätten sie das Zuwanderungsthema für sich als Zugpferd im Parteienwettkampf entdeckt. Und zwar aus gutem Grund: Sozialdemokratie und das bürgerliche Lager bezogen ihre ideologische Prägung aus unterschiedlichen ökonomischen Modellen – starker Staat versus Unternehmerfreiheit.

"In der Frage der Immigration sind aber auch die Anhänger der etablierten Parteien gespalten", sagt Ennser-Jedenastik. Parteien des rechten Randes in ganz Europa würden diesen Spalt gezielt für sich nutzen und versuchen, den beiden etablierten Parteien das jeweils nationalistischere Wählersegment abspenstig zu machen. Allerdings zogen auch die früheren Großparteien nach: SPÖ und ÖVP setzen stärker auf klassische FPÖ-Themen, um die abtrünnigen Wähler zurückzugewinnen.

Wenn nun mehrere Parteien im Wahlkampf auf die Immigrationskarte setzen, dann könnte das aber einen womöglich unerwünschten Nebeneffekt haben: Je ausgeprägter die Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft gegen eine bestimmte Minderheit sind, desto stärker erodiert die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates insgesamt. Das hätte gravierende Folgen: Ob Pensions- oder Gesundheitssystem, ob Bildungspolitik oder Arbeitslosigkeit – all diese Unterstützungssysteme sind darauf angewiesen, dass sich die Mitglieder der Gesellschaft grundsätzlich auf ein solidarisches Miteinander verständigen.

Nicht aus Eigennutz

Wie kommt es nun dazu, dass Menschen ihr Sozialsystem lieber mit In- als mit Ausländern teilen? Lange Zeit wurde das Phänomen mit der Angst vor neuer Konkurrenz erklärt. Jüngere Studien würden das widerlegen, sagt der Politikwissenschafter Frederik Hjorth von der Universität Kopenhagen. "Menschen sind nicht aus Angst um den eigenen Vorteil gegen Zuwanderung", sagt Hjorth zum STANDARD. Es seien weniger rational begründete Ängste als Stereotype, die hier eine Rolle spielten.

Hjorth hat das Phänomen anhand von Migration von EU-Bürgern nach Schweden untersucht. Das Ergebnis: Gegenüber bulgarischen Migranten zeigte sich ein ausgeprägter Wohlfahrtschauvinismus, während es im Fall niederländischer Arbeitsmigranten mehr Bereitschaft gab, Sozialleistungen zu teilen. Und das, obwohl niederländische Arbeitsmigranten nicht mehr in den schwedischen Steuertopf einzahlen als bulgarische. Die Vorbehalte ließen sich eher durch Stereotype erklären, jedenfalls nicht durch ökonomische Fakten, sagt Hjorth.

Mehrere Forscher hätten untersucht, wie es sich auswirkt, wenn ein Land wie Österreich Sozialtransfers an EU-Ausländer zahlt. Das Resultat: Die Migration bringt den Staaten mehr, als die Transfers kosten. Ein Grund: Es handelt sich überwiegend um Menschen mittleren Alters, die – salopp gesagt – mehr zur Wirtschaft beitragen, als sie den Sozialstaat kosten.

Das Phänomen, dass Wähler das Kürzen von Sozialleistungen eher gutheißen, wenn betont wird, dass auch Ausländer sie empfangen, birgt für wirtschaftsliberale Kräfte eine Chance: Unpopuläres lässt sich dadurch leichter verkaufen. So trifft etwa der Mindestsicherungsdeckel in Oberösterreich auch heimische Familien – propagiert wurde er aber mit Verweis auf den Flüchtlingszuzug. (Maria Sterkl, 11.7.2017)