Populistische Anlassgesetzgebung sieht Christian Pilnacek im "Sicherheitspaket" mit seinen neuen Überwachungsmethoden nicht.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Das sogenannte Sicherheitspaket, Gesetze, die Ermittlern das Mitlesen von Whatsapp und Mithören beim Skypen erlauben, ist in Begutachtung. Ein weiterer Schritt zum Überwachungsstaat?

Pilnacek: Es geht um ein Nachvollziehen von technischen Änderungen. Das Kommunikationsverhalten hat sich verändert, mehr als 60 Prozent der Bevölkerung nützen Whatsapp und Skype statt SMS und klassische Telefonie. Diese Kommunikation können die Strafverfolgungsbehörden bei entsprechender Verdachtslage aber wegen der Verschlüsselungstechnik aus technischen Gründen nicht überwachen – und dem wollen wir begegnen. Wir tun das verhältnismäßig, anders als in Deutschland durchsuchen wir nicht die gesamte Festplatte, sondern beschränken uns ausschließlich auf Nachrichteninhalte. Auf private Aufzeichnungen und andere am Computer gespeicherte Dateien kann man auch künftig nicht zugreifen.

STANDARD: Man kann es, aber man darf es nicht.

Pilnacek: Das übersehen die Kritiker am Gesetzesvorhaben gern: Es gibt eine längere Übergangszeit, damit das für diese Überwachung nötige IT-Programm erstellt werden kann. Das wird dann der Datenschutzbehörde vorgelegt, die prüft, ob das Programm den Anforderungen des Gesetzes entspricht.

STANDARD: Und dann wird der Bundestrojaner eingesetzt?

Pilnacek: Das ist ein Begriff aus Deutschland, aber dort geht es tatsächlich um heimliche Online-Überwachung. Bei dem Programm, das wir dem österreichischen Gesetzgeber empfehlen, geht es nur um Nachrichtenüberwachung.

STANDARD: Ihnen macht da gar nichts Magengrimmen?

Pilnacek: Doch, dass es keine ehrliche Diskussion zu diesem Thema gibt. Es gibt keinen Unterschied in der Eingriffsschwere, wenn Sie ein Whatsapp versenden oder eine SMS, und die darf heute schon überwacht werden. Rechtlich wäre die Überwachung von Whatsapp heute schon möglich – aber es geht wegen der Verschlüsselung technisch nicht. Das jetzige Gesetz ist nur notwendig, damit wir diese Technik einsetzen dürfen, weil wir damit in Grundrechte eingreifen. Und für jeden Grundrechtseingriff braucht man eine gesetzliche Grundlage. Das Totschlagargument, man würde nun den gesamten Nachrichtenverkehr überwachen, stimmt einfach nicht. Die Überwachung ist nur im Einzelfall möglich, mit richterlicher Anordnung und Einbindung des Rechtsschutzbeauftragten. Man sollte den Entwurf gelassen diskutieren.

STANDARD: Sie werden so noch mehr Daten finden und sammeln. Die Auswertung überfordert die Behörden doch jetzt schon?

Pilnacek: Wir sammeln keine Daten und finden nicht mehr Daten, sondern wir gleichen den Verlust an Daten aus, die derzeit nicht ermittelt werden können. Wir hören oft Telefonate von terroristischen Vereinigungen ab, in denen die Abgehörten offen sagen: weitere Informationen nur auf Skype oder Whatsapp.

STANDARD: Auch nach Nine-Eleven kamen die Behörden drauf, dass ihnen die Täter bekannt waren.

Pilnacek: Sie vergleichen mit Ländern, in denen es die Überwachung schon gibt, die wir einführen wollen. Und es geht um Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der Strafprozessordnung für die Aufklärung begangener Straftaten. Nicht um Maßnahmen im polizeilichen Sicherheitspolizei- oder Staatsschutzgesetz, wo es sehr wohl um Datensammlung für die Verhinderung von Straftaten geht. Darum verstehe ich die Kritik an der "breitflächigen Überwachung" nicht. Es passiert keine breitflächige Überwachung.

STANDARD: Was können die Überwachungsmöglichkeiten zur Sicherheit beitragen?

Pilnacek: Sicher ist ein Staat, wenn Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit gegeben sind. Dazu zählen die präventiven Aufgaben von Polizei bzw. Verfassungsschutz und die repressive Seite, also, dass Straftaten aufgeklärt werden können. Auch die Aufklärung schwerwiegender Straftaten in angemessener Dauer und Bestrafung der Täter prägen das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung.

STANDARD: Wie oft denken sich Staatsanwälte derzeit: Könnte ich dem Verdächtigen beim Skypen zuhören oder seine Whatsapp lesen, käme ich weiter in der Causa?

Symbolträchtige Gesetze, wie sie derzeit entstehen, bergen die "Gefahr", dass der Staat "in Richtung Illiberalität" geht, weiß Pilnacek.
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Pilnacek: Das kann man nicht in Zahlen ausdrücken. Die neue Überwachungsmethode wird in wenigen ausgewählten Fällen zum Einsatz kommen, weil die Voraussetzungen streng, die technischen Anforderungen sehr hoch und die Begleitmaßnahmen sehr streng ausgestaltet sind. Ich rechne mit einer zweistelligen Zahl an Anwendungsfällen.

STANDARD: Und das zahlt sich aus?

Pilnacek: In den Fällen, in denen die Methoden eingesetzt werden, schon. Sie darf nur zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt werden, die mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.

STANDARD: Justizminister Wolfgang Brandstetter rechtfertigt die geplante Novelle damit, dass "der redliche Bürger" nicht betroffen sei. Er kann aber davon betroffen sein.

Pilnacek: Aber Sie haben ja Rechtsschutz. Stellt sich heraus, dass der Verdacht zu Unrecht angenommen wurde, können der Betroffene oder der Rechtsschutzbeauftragte Beschwerde erheben. Wenn ihr die Gerichte nachkommen, wird das Datenmaterial vernichtet, da bleibt nichts im Akt. Aber: Grundlos wird das alles ja nicht eingesetzt, es braucht einen hinreichenden und dringenden Verdacht auf eine schwere Straftat.

STANDARD: Geht es nicht auch darum, den Leuten zu suggerieren, man tue alles für ihre Sicherheit?

Pilnacek: Wie bei vielen Gesetzesvorhaben ist da sicher ein Stück Symbolik dabei: Dass man alles tut, um Staatsanwaltschaften und Sicherheitsapparat in die Lage zu versetzen, schwere Taten aufzuklären und dass es keine Lücken in der Strafverfolgung geben soll.

STANDARD: Wenn die neue Überwachung so selten sein wird: Könnte man da statt von Symbolik auch von Populismus reden?

Pilnacek: Populistisch ist das gerade nicht. Es ist uns ein ernsthaftes Thema, unter strengen Vorgaben auch Nachrichten überwachen zu können, die per Skype oder Whats app übermittelt werden.

STANDARD: Noch zum neuen "Staatsfeinde"-Paragrafen. Beim Forum der Staatsanwälte wurde die Bestimmung unter Anlassgesetzgebung eingeordnet: Die vorhandenen Straftatbestände wie Nötigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt würden für Verurteilungen reichen. Auch Symbolik?

Pilnacek: Es gibt gute und schlechte Anlässe für den Gesetzgeber zu reagieren. Bei den Staatsfeinden betrachte ich das differenziert. 2012 traten solche Personen, die den Staat nicht anerkennen, erstmals in Erscheinung, jetzt gibt es ungefähr 1000 und rund 10.000 Unterstützer. Das Justizministerium hat versucht, sie mit den vorhandenen Bestimmungen zu verfolgen und nun einen Tatbestand entworfen, der verhindert, dass wir abwarten müssen, bis die Leute tatsächlich Straftaten begehen.

STANDARD: Das birgt doch die Gefahr, dass man Gesinnung bestraft?

Pilnacek: Die Gefahr ist gegeben. Aber der Gesetzeswortlaut zur staatsfeindlichen Bewegung ist sehr fokussiert auf das Phänomen. Wir wollen demokratiegefährdende Verhaltensweisen frühzeitig strafrechtlich erfassen – und gleichzeitig auch die Beamten stärken, die mit diesen Leuten täglich zu tun haben, die Haftbefehle gegen sie im Internet veröffentlichen oder die Staatsvertragsmächte zu Schritten gegen Österreich auffordern. Und auch jene Leute stärken, die in ähnlich prekären Situationen leben wie "Staatsverweigerer", sich aber bemühen, ihre Schulden zu zahlen und ihre Probleme zu lösen.

STANDARD: Wie erklären Sie sich, dass diese "Staatsverweigerer" plötzlich überall auftauchen?

Pilnacek: Wie bei anderen Extremismen: Es ist eine gewisse Erosion an den Rändern der Gesellschaft zu beobachten.

STANDARD: Behebt man die nicht besser mit Sozialpolitik als mit neuen Strafgesetzen?

Pilnacek: Sozialpolitik ist wichtig; aber in manchen Teilen der Gesellschaft gibt es die Meinung, dass die Eliten nicht mehr fähig sind, die Anliegen der Bevölkerung mit offenem Ohr und offenen Herzen wahrzunehmen und zu vertreten. Das sieht man auch am Hass im Netz, wo man aber mit Sozialpolitik und Diversion viel bewirkt. Bei staatsfeindlichen Bewegungen ist man mit der Ursachenforschung noch nicht so weit.

STANDARD: Spielt man mit den neuen, symbolträchtigen Gesetzen nicht jenen in die Hand, die den illiberalen Staat wollen?

Pilnacek: Ich sehe die Gefahr, dass das in Richtung Illiberalität geht – auf der anderen Seite schützen wir die Freiheiten der Bürger, die etwa ihre Kinder sorgenfrei zu Großveranstaltungen schicken wollen. Schutzgewähren ist Aufgabe des Staats; die Frage ist, ob sie in Balance zur Freiheitswahrung steht. Bei den neuen Überwachungsmaßnahmen steht übrigens nicht der Terrorismus allein im Vordergrund, sondern auch die Entwicklung im Darknet – denken Sie nur an den Kinderpornoring, der gerade aufgedeckt wurde.

STANDARD: Diese Leute haben Sie aber sowieso erwischt.

Pilnacek: Ja, aber mit den neuen Methoden wäre es schneller gegangen. Was ich meine: Es geht um schwere Kriminalität, bei der man unter strengen Voraussetzungen in Geheimnisbereiche von Menschen eindringen darf.

STANDARD: Angriffe von Selbstmordattentätern werden Sie aber auch durch Whatsapp-Lesen nicht verhindern können.

Pilnacek: Wir können Sie nicht verhindern, aber gewährleisten, dass Täter zur Verantwortung gezogen werden. Das bringt Rechtssicherheit und Sicherheitsgefühl und das ist ein hoher gesellschaftlicher Wert. Ich sehe eine Doppelbödigkeit in der Diskussion: Beim Hass im Netz will man viel strengere Strafen, da wollen auch die Grünen, dass das Internet nicht zum rechtsfreien Raum wird. Doch wenn der Staat internetbasierte Nachrichten überwachen will, gilt er als illiberal. Ohne diese Überwachung tun wir uns aber auch beim Verfolgen von Hasspostings von Fake-Accounts schwer.

STANDARD: Was ist strafrechtlich gesehen derzeit das größte Problem in Österreich?

Pilnacek: Die Hasskriminalität und ihre Bekämpfung. (INTERVIEW: Renate Graber, 15.7.2017)