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Die Rivalen Kurz und Kern stehen laut Jugendforscher Heinzlmaier für die "Verleiblichung" der Politik – bei vielen Jugendlichen ernten sie dennoch Misstrauen.

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FPÖ-Chef Strache: einst Nutznießer, jetzt Opfer der Reduzierung von Politik auf Äußerlichkeiten?

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Heinzlmaier sieht Kern und Kurz als Politiker jenseits der Identität – "keine klassischen Charismatiker, sondern Schauspieler, die ihre Rolle perfekt spielen".

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STANDARD: Ihr Institut hat 16- bis 24-Jährige Jugendliche befragt, wie Christian Kern und Sebastian Kurz, die Chefs von SPÖ und ÖVP, bei ihnen ankommen. Darf sich einer der Kandidaten freuen, oder sind beide durchgefallen?

Heinzlmaier: Letzteres schon deshalb nicht, weil wir keine Schulzeugnisse verteilt haben. Beide haben ihre Vorzüge: Für Kanzler Kern spricht die Erfahrung, was eine Frage des Alters und der beruflichen Karriere ist. Außenminister Kurz hingegen punktet mit dem Image des jungen, ungestümen Erneuerers. Umgekehrt gilt also: Kern hat ein Modernitätsdefizit, Kurz ein Erfahrungsdefizit.

STANDARD: Kurz trauen deutlich mehr Befragte zu, sich für junge Menschen einzusetzen, aber beide ernten generelles Misstrauen. Die Hälfte der Jungen hält weder den einen noch den anderen für ehrlich und sagt: Das ist keiner von uns.

Heinzlmaier: Auch Kern und Kurz leiden unter dem allgemeinen Ruf ihrer Branche. Abgehobenheit und Unehrlichkeit sind die typischen Zuschreibungen. Beide sind nicht aus diesem engen Imageraum herausgekommen: Sie bleiben Politiker.

STANDARD: Woher kommt dieser generell schlechte Ruf?

Heinzlmaier: Eine große Rolle spielt, dass viele Politiker in ihrem Leben nie etwas anderes gemacht haben als Politik. Die Leute haben das Gefühl, dass sich Politiker nie auf die Ebene der normalen Menschen begeben – soziale Aufsteiger in hohen Ämtern erwecken den Eindruck, ihre Herkunft nicht mehr zu kennen. Und natürlich sind in einer materialistischen Welt die für den Durchschnittsösterreicher hohen Einkommen ein Faktor. Die Leute gehen nicht davon aus, dass jemand mit 20.000 Euro brutto im Monat so lebt wie sie: Geld verändert die Kultur, die Lebensart, die Werteinstellung. Mit der Gehaltsdifferenz wächst die empfundene Distanz.

STANDARD: Dabei verkörpern Kern und Kurz laut Ihren Erkenntnissen mit ihrem Slim-Fit-Look doch eh den gefragten Typus.

Heinzlmaier: Andere Politiker schneiden ja auch noch viel schlechter ab. Insofern sind Kern und Kurz leuchtende Vorbilder – ohne sie würde ihren Parteien wie einem Dudelsack mit Loch die Luft ausgehen. Beide sind Showstars: Politiker jenseits der Identität, keine klassischen Charismatiker, sondern Schauspieler, die perfekt ihre Rolle spielen – und bei Bedarf auch eine ganz andere spielen könnten. Und sie verkörpern einen Trend zur Verleiblichung der Politik: Der attraktive Körper, die optische Performance spielen eine wichtige Rolle.

STANDARD: Zum Teil umfasst Ihre Umfrage auch Heinz-Christian Strache, der bisher als sehr attraktiv für Jugendliche galt. Warum ist es plausibel, dass der FPÖ-Chef bei Ihnen nun schlechter als seine Konkurrenten um die Kanzlerschaft wegkommt?

Heinzlmaier: Da hat sich etwas geändert. Der FP-Chef hat stark auf die körperliche Attraktivität gesetzt – und ebenso stark abgebaut. Straches Popularität unter Jugendlichen leidet unter dem Verfall seiner Leiblichkeit: Mit einem blassen Gesicht und einer hässlichen Brille kann er nicht punkten.

STANDARD: Weil Strache schlechter aussehen soll als vor ein paar Jahren, soll er nun unpopulärer sein: Ist es wirklich so simpel, dass es nur mehr um Äußerlichkeiten geht?

Heinzlmaier: Zumindest muss das Aussehen zu dem Image passen, das man in die Bevölkerung ausstrahlen will. Bei Kern und Kurz passen Form und Inhalt recht gut zusammen. Strache hingegen müsste mehr auf sich achten. Er zeigt sich als jemand, dem seine Gesundheit nicht wichtig ist.

STANDARD: Massige Politiker wie Helmut Kohl oder Winston Churchill hätten heute keine Chance?

Heinzlmaier: Eine derartige Statur wäre ein großer Nachteil. Fettleibige Politiker müssen schon richtige Originale sein wie etwa der Wiener Bürgermeister: Michael Häupl ist ein körperloses Wesen. Ob er heutzutage allerdings noch einmal so in die Politik einsteigen könnte, ist sehr zweifelhaft.

STANDARD: Warum wirkt Kurz auf junge Frauen bei fast allen Werten – von Sympathie bis Durchsetzungsvermögen – besser als Kern?

Heinzlmaier: Er ist eben ein junger, fescher Kerl. Gerade in einer Zeit, in der Geschlechterrollen total ästhetisiert werden, wollen junge Frauen lieber einen hübschen Kandidaten als einen schiachen. Sie finden Kurz halt geil, da gibt es allerlei Projektionen und Fantasien, die man schwer auf einen 50-Jährigen richten kann – selbst wenn der auch ganz hübsch ist.

STANDARD: Was können Politiker besser machen, um bei Jugendlichen zu landen?

Heinzlmaier: Die Jungen unterscheiden sich besonders in einem stark von den Alten: Sie setzen auf Veränderung und Modernisierung. Das müssen Politiker in den Vordergrund rücken, ebenso wie das Versprechen von Freiheit, Autonomie und Unabhängigkeit. "Mach dein Ding, wir unterstützen dich dabei": Das ist die Botschaft für den jungen Menschen.

STANDARD: 77 Prozent der Jugendlichen sprechen sich mehr oder minder deutlich für die Demokratie aus. Sehen Sie da das Glas halb voll oder halb leer?

Heinzlmaier: Ich halte dieses Ergebnis nicht für bedenklich. Der Anteil jener, die nach autoritären Systemen rufen, ist sogar gesunken – vor 40 Jahren hätten wir da noch ganz andere Ergebnisse gehabt. Da gibt es keinen Grund für Alarmismus. (Gerald John, 28.7.2017)