Im Mai machte HTC dem Rätselraten rund um die Nachfolge der "One"-Reihe endgültig ein Ende und ließ mit dem U11 eine neues Smartphone-Flaggschiff vom Stapel. Statt Doppelkamera oder schlanker Ränder probiert man sich hier an einer anderen Neuerung: Edge Sense.

Hinter dem Namen verbergen sich sogenannte "Dehnmessstreifen", die die Krafteinwirkung auf den unteren Teil der Seitenränder des Geräts überwachen und damit eine neue Eingabeebene schaffen. Der WebStandard hat sich das Handy näher angesehen.

Foto: derStandard.at/Pichler

Specs

Die Spezifikationen – um den technischen Teil voranzustellen – klingen nach der gängigen Ausstattung für ein Highendgerät 2017. HTC verbaut im U11 den Snapdragon 835 von Qualcomm. Je nach Modell stehen entweder sechs GB RAM und 128 GB Onboardspeicher oder vier GB RAM umd 64 GB Onboardspeicher zur Verfügung. Zur Erweiterung gibt es einen Steckplatz für eine microSD-Karte im gleichen Einschub, in den auch die einzelne nanoSIM-Karte eingelegt wird. Es existiert auch eine Dual-SIM-Variante des Smartphones mit Hybrid-Slot, hier muss sich der Nutzer zwischen zwei SIM Karten oder einer SIM-Karte und Speichererweiterung entscheiden.

Auf der Front sitzt ein 5,5-Zoll-Display mit "Quad-HD"-Auflösung (2.560 x 1.400 Pixel). Darunter findet sich ein zuverlässig arbeitender Fingerabdruckscanner. Über dem Bildschirm ist eine 16-MP-Frontkamera zu finden, auf der Rückseite eine Hauptkamera mit 12 Megapixel. Der Akku bietet eine Kapazität von 3.000 mAh. Das Gehäuse misst 154 x 76 x 8 Millimeter und ist gemäß IP67-Standard gegen Staub geschützt und bei einer Wassertiefe von einem Meter wenigstens 30 Minuten lang dicht.

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Das Handy unterstützt LTE, WLAN nach 802.11ac im Dualband, NFC und Bluetooth 4.2 (per Softwareupdate soll in Zukunft auch Bluetooth 5 unterstützt werden). Wer statt Drahtloskopfhörern allerdings seine klassischen Hörer anstecken will, muss das beigelegte USB-C-Headset oder den mitgelieferten Adapter verwenden. Die 3,5mm-Audioklinke gibt es nicht mehr.

Gut verarbeitet, aber rutschig

Bei der Verarbeitung zeigt sich das HTC-Handy hochwertig. Zwischen Front, Rahmen und Rückseite liegen keine nennenswerten Spalten. Das Material greift sich wertig an. Zum Einsatz kommen Aluminium und Glas. Das Testgerät in "Saphirblau" gefällt. Die Rückseite ließe sich allerdings auch als (verzerrter) Kosmetikspiegel nutzen und sammelt in kurzer Zeit eifrig sichtbare Fingerabdrucke.

Zudem ist sie recht rutschig. In Verbindung mit den relativ üppigen Maßen des Handys und den abgerundeten Seiten ergibt sich daraus erhöhtes Absturzrisiko. Die Verwendung der beiliegenden, transparenten Hülle sollte jedenfalls angedacht werden. Einschalter und Lautstärkewippe hat HTC beide auf der rechten Seite platziert, sie lassen sich dort gut erreichen und erspüren. Der USB-C-Stecker sitzt auf der Unterseite, der Einschub für SIM und Speicherkarte auf der Oberseite.

Top-Display

Beim Display baut man nicht auf ein AMOLED-Panel, sondern "Super LCD 5". Sieht man davon ab, dass bei höher gedrehter Helligkeit Schwarztöne leicht gräulich werden, ist der Unterschied ohne direktem Vergleich kaum zu merken. Unter den Non-AMOLED-Geräten dürfte das HTC U11 wohl den derzeit besten Bildschirm besitzen.

Die Farbdarstellung ist knackig, die Kontraste sehen ordentlich aus. Die Helligkeit (in Verbindung mit der guten Entspiegelung) reicht aus, um auch im gleißenden Sonnenschein noch recht brauchbar mit dem Handy werken zu können.

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Sehr gute Kamera, aber mit Macken

Viel Lob hat in bisherigen Rezensionen die Kamera erfahren. Der 12-Megapixel-Sensor verfügt über eine f/1.7-Apertur, optische Bildstabilisierung und wird von einem Dual-LED-Blitz flankiert. In der Vergangenheit war die Kamera entgegen der Werbeversprechen oft der Schwachpunkt von HTCs Spitzenhandys. Diesen hat man nun – großteils – ausgemerzt.

Die Kamera zeichnet sich mit sehr flotter Reaktionszeit aus und produziert schöne, aber natürlich wirkende Farben und selbst bei Abendaufnahmen recht wenig Rauschen. Nicht nur bei guten Lichtbedingungen gelingen sehr gute Fotos. Qualitativ liegt man nicht weit weg von Samsungs S8 und dem iPhone 7, drei Dinge gibt es jedoch zu beanstanden.

Die softwaregestützte Nachbesserung der Bilder erfolgt mitunter zu radikal. Sichtbar wird das bei kleinen Details, beispielsweise Blättern oder Dachziegeln in weitere Entfernung. Hier killt das Handy mitunter die Struktur, wahrscheinlich im Bestreben, möglichst viel Rauschen zu eliminieren. Dann schwächelt die Kamera hin und wieder trotz automatischer HDR-Aktivierung mit Gegenlichtsituationen. Und die Frontkamera, die an sich zu den besten ihrer Klasse zu zählen ist und sogar HDR bietet, liefert Aussetzer beim Fokussieren.

Dazu ist aber zu sagen, dass abseits des erstgenannten Problems die Schwierigkeiten vom Nutzer durch manuelles Fokussieren behoben werden können. Die Kamera-App selbst bietet einen netten Pro-Modus mit vielen Anpassungsmöglichkeiten, ist von der Menüführung aber etwas unintuitiv. Die Panorama-Selfie-Funktion könnte zudem noch Verbesserungen beim Aneinanderreihen der Einzelaufnahmen vertragen.

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Assistentenflut

Die Systemoberfläche – vorinstalliert ist Android 7.1 "Nougat" – hat HTC grafisch leicht angepasst. Umgerührt, nicht immer zum Besseren, hat man etwa im Einstellungsmenü. Wischt man vom Hauptbildschirm nach links, erreicht man ein "Highlights"-Panel, auf dem man Neuigkeiten aus sozialen Netzwerken und verschiedenen Apps einspielen lassen kann. Grundsätzlich findet an sich allerdings problemlos zurecht, wenn man die übliche Bedienlogik von Android kennt.

Wer sich digitale Assistenz wünscht, der findet auf diesem Handy gleich drei Optionen vor. Mit dabei ist freilich Google Now, das sich über Sprache mit Kommandos und Suchanfragen füttern lässt und dynamisch Zusatzinformationen – etwa Fahrpläne, wenn man in der Nähe eines Bahnhofes ist oder Verkehrsinfos auf Basis von Kalendereinträgen – liefert. Dann gibt es noch HTCs eigenen Companion ohne Sprachbedienung, der Ähnliches bewerkstelligen soll, sich im Test jedoch schweigsam gab.

Und dann ist auch noch Amazons Alexa auf dem U11 gelandet. Insbesondere bei Wissensfragen zeigt sich die Assistentin meist merkbar schlauer als ihre Konkurrenz. Die Implementation auf dem Handy erscheint allerdings für die deutsche Ausgabe halbgar. Die "HTC Alexa"-App bietet deutlich weniger Einstellungs- und Steuerungsmöglichkeiten, als Amazons eigene, die zusätzlich heruntergeladen werden muss. Darunter fällt etwa die Sprachbedienung anderer vernetzter Geräte oder tägliche Nachrichtenzusammenfassungen. Auch wer der Assistentin etwa seinen Kalender zwecks Sprachbedienung zur Verfügung stellen will, muss den Umweg über die zusätzliche App gehen.

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Edge Sense: Nützlich, aber kein Killerfeature

Intuitiver ist die Umsetzung von Edge Sense. Drückt man das Handy an den Seiten, so lässt sich der Start einer App oder Funktion triggern. Standardmäßig wird hier die Kamera gestartet, man kann aber auch Sprachassistenten und andere Programme hierauf legen Zudem ist es auch möglich, einen "kurzen" und einen "langen" Druck zu definieren, um zwei Funktionen darauf unterzubringen. Die Stärke, mit der man die Ränder drücken muss, lässt sich dabei konfigurieren.

Einmal eingerichtet, funktioniert Edge Sense zuverlässig. Eine versehentliche Auslösung ist während des Tests nicht vorgekommen. Es bleibt aber eben nicht mehr als ein bis zwei zusätzliche Shortcuts. Nützlich: Ja – aber kein Killerfeature.

Bei den Benchmarks schneidet das Handy in etwa ab, wie andere Geräte mit ähnlicher Ausstattung. Es liegt dabei in der Score-Nachbarschaft des Galaxy S8, allerdings stets einige Prozent darunter. Firmwareseitig ist eventuell noch die eine oder andere Optimierung fällig. Manchmal verzögern sich App-Starts etwas und gelegentlich sind auch Mikroruckler beim Navigieren festzustellen, wenn man mehrere Apps gleichzeitig geöffnet hat.

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Ordentliche Performance

Sonst bringt die Hardware (getestet wurde die Variante mit 64 GB Speicher und vier GB RAM) jene Performance mit, die man erwarten darf. Grafisch aufwändige Games laufen flüssig. Alltägliche Aufgaben – von Websurfen über Messenger bis Youtube – stellen kein Problem dar.

Die Akkulaufzeit ist gemessen an der für ein Flaggschiff eher sparsam bemessenen Kapazität von 3.000 mAh in Ordnung. Selbst wenn man das Handy intensiver traktiert, sollte eine volle Ladung für einen Arbeitstag reichen – viele Reserven sind dann jedoch nicht mehr übrig. Da Quickcharge 3.0 unterstützt wird, lässt sich das Telefon aber flott wieder nachtanken.

Akustik

In akustischer Hinsicht muss man der HTC One-Reihe und ihren Stereo-Frontlautsprechern nachtrauern. Den "Boomsound" (so das Wording des Herstellers) erzeugt nun ein unterseitiger Lautsprecher in Kombination mit dem Ohrhörer. Das klingt immer noch besser, als auf den meisten anderen Smartphones, aber auch nicht so gut, wie etwa noch am HTC One M9. Das U11 erreicht eine recht hohe Lautstärke, die man allerdings nicht nutzen sollte, da sie zu einem hörbaren "Scheppern" des Klangs führt.

Die mitgelieferten "Sonic"-Hörer hingegen leisten gute Arbeit. Sie bringen einen integrierten Geräuschfilter mit, der verlässliche Arbeit leistet, sind angenehm zu tragen und liefern guten Sound, der aber noch etwas stärkeren Bass vertragen könnte. Die Hörer können zudem automatisch ein Soundprofil generieren, welches an das eigene Ohr angepasst sein soll. Laut HTC kommt dafür ein Ultraschall-Messverfahren zum Einsatz. Der akustische Unterschied zwischen der Standardeinstellung und dem adaptierten Sound war allerdings subjektiv vernachlässigenswert.

Die Klangqualität bei Telefonie gibt wenig Grund zur Kritik. Mitunter greift die Geräuschunterdrückung etwas zu stark ein, was sich beim Gegenüber in einem "reißenden" Unterton der eigenen Stimme bemerkbar macht, die Verständlichkeit aber nicht beeinträchtigt. Der Gesprächspartner wiederum wird klar und verständlich übertragen.

Fazit

HTC hat mit dem U11 ohne Zweifel ein sehr gutes Smartphone abgeliefert. Sieht man von dem etwas mager dimensionierten Akku ab, sind die genannten Schwächen allesamt softwareseitig abstellbar. Die halbfertige Integration von Alexa verwundert allerdings etwas und der HTC Companion konnte seine vorhandenen oder fehlenden Qualitäten im kurzen Testzeitraum nicht beweisen. Das Fehlen der Kopfhörerklinke dürfte manchen Interessenten vermutlich sauer aufstoßen.

Zu den Stärken des Smartphones zählen seine Kamera, das Display und, mit kleinen Abstrichen, die Akustik. Edge Sense ist eine nette, passabel umgesetzte Idee, aber wie gesagt kein Killerfeature.

Der taiwanische Hersteller hat allerdings ein Problem: Die Konkurrenz. 750 Euro wurde ursprünglich als Preisempfehlung ausgesprochen, womit man sich in Galaxy S8- und iPhone-Sphären bewegt hat. Mit Blick auf das Gesamtpaket erscheint dies etwas überambitioniert. Mittlerweile ist das Gerät aber schon um gut 100 Euro weniger zu bekommen. Ein weiterer Preisverfall erscheint angesichts der anstehenden Neuveröffentlichungen wahrscheinlich. (Georg Pichler, 02.09.2017)

Testfotos

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Gemischte Lichtsituation
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Frontkamera, Tageslicht
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Frontkamera (Panorama-Selfie), Tageslicht
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