Filmregisseurin Athina Rachel Tsangari wollte anfänglich für das Theater arbeiten. Nun ist es so weit. Am 17. August feiert ihre "Lulu"-Inszenierung Premiere auf der Perner-Insel in Hallein.
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STANDARD: In Ihren Filmen spielt die Bewegung von Körpern eine wichtige Rolle. Arbeiten Sie auch für "Lulu" sehr körperlich?

Tsangari: Ja, wir versuchen, jeden Charakter über die Bewegung zu finden, aber mit intensivem Bezug zur Sprache. Wir erarbeiten das Stück als Tragikomödie, die Stimmungen überlagern einander ja ständig. Man weiß nicht, ist es Spiel, oder doch todernst. Buchstäblich endet ja jeder Akt mit einem Tod.

STANDARD: Warum drei Lulus?

Tsangari: Die Fetischbeziehung, die die Männer zu Lulu unterhalten, wächst ja ins Monströse. Ich nehme also den Untertitel Monstretragödie wörtlich. Alle sind hier irgendwie Monster, Lulu definitiv aber nicht. Sie ist lediglich ein von der Gesellschaft konstruiertes "Monster". Die Art und Weise, wie sie sich dagegen wehrt und damit spielt, das verlangt nach mehr Lulus.

STANDARD: Sie schätzen Pina Bausch. Hat sie Ihre Arbeit in irgendeiner Weise beeinflusst?

Tsangari: Ich fühle mich der melancholischen Heiterkeit ihrer Figuren sehr verwandt und auch der Methode, mit der Persönlichkeit der jeweiligen Tänzer intensiv zu arbeiten. Dieser Arbeitsstil hat mich grundsätzlich beeinflusst.

STANDARD: Inwiefern ist die Arbeit für die Bühne anders als am Set?

Tsangari: Die Bühne ist etwas ganz Neues für mich. Sie ist quasi ein Ort voller Möglichkeiten, der nichts verzeiht. Normalerweise sehe ich die Welt durch die Linse. Am Filmset wird eigentlich nur mehr exekutiert. Ich bin also an den kontrollierten Ton gewöhnt, hier aber ist es anders. Auf der Bühne herrscht eine eigene Intensität.

STANDARD: Weil am Theater anders zusammengearbeitet wird?

Tsangari: Es ist wirklich das Schwierigste, was ich bisher gemacht habe. Aber ich habe einen absoluten A-Cast, wenn man das so sagen kann. Wir arbeiten mit Screwball, zugleich aber gibt es diesen dunklen Unterton. Wie macht man das also körperlich sichtbar? Klar, es ist kein Tanz, aber die Bewegungen sind nicht einfach nur illustrierend, sondern zentrale Behauptungen. Nach Lulu werde ich wohl eine andere Regisseurin sein.

STANDARD: Gab es je den Wunsch oder Plan, am Theater zu arbeiten? Sie haben ja Performance studiert.

Tsangari: In meiner Jugend in Griechenland habe ich sehr viel Theater gesehen. Beim Studium in New York hat mich auch die Idee, sich im Performancebereich mit Alltagsgesten zu beschäftigen, sehr interessiert. Ich wollte Theaterregisseurin werden, mich mit antiken Dramen und Komödien befassen, Euripides und Aristophanes, meinen beiden Favoriten, aber das auf eine mehr interdisziplinäre Art und Weise. Durch Zufälle hatte ich mich dann aber in das Kino verliebt.

STANDARD: Bettina Herings Anruf war also nur eine Frage der Zeit?

Tsangari: Vielleicht habe ich es insgeheim gehofft, dass ich einmal Theater machen könnte. Bettina Hering weiß, dass ich hier ein Risiko eingehe, weil ich doch anders arbeite und Perfektionistin bin.

STANDARD: War "Lulu" Ihre Wahl?

Tsangari: Bettina Hering hat das Stück vorgeschlagen, und all meine Bedenken haben sie nicht beeindruckt. Lulu ist ein sehr schwieriges Stück, weil es einem ständig aus den Fingern rutscht. Kaum eine Frage darin kann klar beantwortet werden. Meint man zu wissen, was eine Figur möchte, so ist man im nächsten Absatz schon wieder nicht mehr sicher.

STANDARD: Aber das ist doch Ihren Filmen sehr ähnlich! Sie geben rätselhaften Vorgängen Raum.

Tsangari: Ja, schon. Aber im Unterschied zu Lulu weiß ich über mein eigenes Skript Bescheid!

STANDARD: Wie gehen Sie mit der deutschen Sprache um?

Tsangari: Ich sehe Lulu als "Musical ohne Musik". Es geht immer um die Kadenz der Sprache, um die Schwingungen. Ich versuche, mit den Schauspielern eine Partitur zu kreieren, aus ihren Stimmen und Persönlichkeiten heraus. Ich höre sehr genau zu und habe mich in die deutsche Sprache bereits verliebt. Ich finde, das Deutsche ist für Screwball prädestiniert, die Sprache bewegt sich so schnell.

STANDARD: Einer Ihrer Lieblingsfilme ist "Wanda" von Barbara Loden. Gibt es einen roten Faden von dieser Frauenfigur zu Lulu?

Tsangari: Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Wanda ist eine meiner absoluten Heroinnen. Ich denke, alles, was wir tun, ist die Summe aller Einflüsse, denen wir ausgesetzt sind. Deshalb ist es so wichtig, dass wir am Ende nicht wissen, wer Lulu ist. Ist sie eine der drei Schwestern Tschechows oder ist sie eher Katherine Hepburn in einer ihrer Rollen. Sie zu dritt auftreten zu lassen hat übrigens auch den Grund, dass Lulu im Grunde genommen ein einsames Mädchen ist, das dringend Freundinnen braucht. So einfach ist das! Ich verweigere mich großen Symbolen und Statements. Als Griechin komme ich aus einer kulturellen Tradition, die das zur Genüge strapaziert hat. Ich mag einfache Dinge, die dann aber vielleicht gar nicht einfach sind.

STANDARD: Drei Lulus könnten die Opposition von junger Frau und Männerwelt in Bewegung bringen.

Tsangari: Genau, ich wollte das einfach nicht mehr sehen. Ich bin von diesen Oppositionen gelangweilt. Es gefällt mir, wie die Lulus als "vereinte Kräfte" auftreten, während sie natürlich auch widersprüchlich agieren. Wie die Männer auch. Ich will nicht eine Geschichte über eine nach Aufmerksamkeit lechzende junge Frau sehen. Ich will sehen, wie jede einzelne Konvention, sei es Klasse, Geschlecht oder Eros, auseinanderfällt – und sich in der nächsten Szene dann wieder neu formiert. So werden Mechanismen sichtbar. Es ist das unromantischste Stück, das es gibt. Ich mag es sehr. (Margarete Affenzeller, 9.8.2017)