Am Beispiel eines Prachtfinken haben Tübinger Forscher ...

Foto: Universitätsklinikum Tübingen

... den Seheindruck von Patienten mit Achromatopsie nachgestellt.

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So vielfältig die Ursachen von schwerer Sehbeeinträchtigung und Blindheit sind, so vielfältig sind die Behandlungsmethoden.

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Serge Leblanc ist 63 Jahre alt, als er mittags beim Lösen des Kreuzworträtsels feststellt, dass die Kästchen merkwürdig verzerrt aussehen. Wenig später teilt ihm sein Augenarzt die Diagnose mit: altersabhängige Makuladegeneration (AMD), eine nicht heilbare Augenerkrankung, die zur Erblindung führen kann. Die AMD trifft vor allem Menschen ab dem 50. Lebensjahr und gilt als Hauptursache für schwere Sehbeeinträchtigung und Erblindung in den Industriestaaten.

Neben der AMD gibt es eine Vielzahl anderer Ursachen für Blindheit. Manche erleiden einen Unfall, erkranken an grünem oder grauem Star oder sind aufgrund eines Gendefekts von Geburt an blind. So vielfältig die Ursachen einer Blindheit sind, so vielfältig sind auch die Behandlungsmethoden – und die entsprechende Forschung. Vor allem drei Bereiche wecken große Hoffnungen: Netzhautimplantate, Stammzell- und Gentherapie. Aber wie berechtigt sind die Erwartungen?

Spritzen ins Auge

Seit seiner Diagnose erhält Serge monatlich eine Injektion in sein rechtes Auge, um sein Sehvermögen aufrechtzuerhalten. Bei der AMD ist die Stelle des schärfsten Sehens in der Netzhaut betroffen. Aufgrund einer Stoffwechselstörung bilden sich dort neue Blutgefäße, die zum Absterben der lichtempfindlichen Sehzellen führen: Patienten sehen zunächst unscharf und verzerrt, bei Fortschreiten der Krankheit entsteht im Zentrum des Blickfelds ein dunkler Fleck, der zunehmend größer wird. Die Spritze enthält einen Eiweißwirkstoff, der die krankhafte Neubildung der Blutgefäße stoppt. "Vor rund zehn Jahren waren die Spritzen ein enormer Durchbruch, da man bis dahin keine Möglichkeit der Behandlung hatte", sagt Jens Funk von der Universitäts-Augenklinik Zürich.

Zelle soll Wirkstoff selbst produzieren

Für den Patienten sind die Injektionen in das Auge allerdings oft unangenehm, weswegen Wissenschafter an einer anderen Verabreichungsform forschen, etwa der additiven Gentherapie: Sie fügen in Netzhautzellen im Auge die entsprechende Genvorlage für den Wirkstoff ein, sodass die Zellen das Medikament an Ort und Stelle direkt produzieren. Die Behandlung wird derzeit an US-Kliniken erprobt, eine im Mai veröffentlichte Studie berichtete über vielversprechende Ergebnisse.

Bei der sogenannten korrektiven Gentherapie geht es darum, ein defektes Gen durch ein gesundes zu ersetzen: Mithilfe von Viren, die als Transporter dienen, schleusen Forscher das gesunde Gen in die Augenzellen. "Das ist ungefähr so, als würde man einem Buch, in dem ein Druckfehler ist, einen Zettel beilegen mit den korrekten Worten und so die fehlerfreie Information hinzufügen", erklärt Bernd Wissinger vom Tübinger Forschungsinstitut für Augenheilkunde.

Wissinger koordiniert zusammen mit Kollegen aus Tübingen und München die erste Studie zur Gentherapie einer erblichen Augenerkrankung in Deutschland. Die Patienten leiden an Achromatopsie, sie erkennen keine Farben und sehen stark verschwommen. Die Studie wird im Herbst abgeschlossen sein, die ersten Zwischenergebnisse sind positiv: "Uns ging es erst einmal um die Sicherheit, und die Patienten haben die Therapie gut vertragen. Ermutigend ist auch, dass einige der Patienten subjektive Verbesserungen berichten und sich zum Teil auch gerne das zweite Auge behandeln lassen wollen", so Wissinger.

Das Prinzip funktioniert

Auf Heilung können in absehbarer Zeit dennoch nur wenige hoffen: 150 verschiedene monogene Netzhauterkrankungen sind bekannt. Eine Gentherapie muss für jeden einzelnen Genfehler entwickelt werden. Auch für die häufigeren Augenkrankheiten wie den grünen Star oder die AMD ist die Methode ungeeignet, da in diesen Fällen viele verschiedene Gene am Krankheitsprozess beteiligt sind. "Momentan sind das alles Machbarkeitsstudien. Sie zeigen, dass das Prinzip funktioniert, was zweifellos ein Erfolg ist. Von einer Standardtherapie, die wir Patienten konkret anbieten können, sind wir aber weit entfernt", sagt Michael Müller von der Universitäts-Augenklinik Frankfurt.

Ähnliches gilt für die Stammzelltherapie. Bei AMD etwa möchten Augenärzte die absterbenden Sehzellen der Netzhaut durch neugezüchtete Sehzellen ersetzen. "Es geht darum, Blindheit zu verhindern", sagt Tim Krohne von der Universitäts-Augenklinik Bonn. Dazu programmierten Krohne und seine Kollegen Zellen aus der Haut von Menschen in ein Embryonalstadium zurück. Aus diesen sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen gewannen sie anschließend gesunde Sehzellen, die sie in die Netzhaut einpflanzten. Im Tierversuch konnte das fortschreitende Absterben der Sehzellen so gestoppt werden. Mittlerweile wurde die Methode weltweit in mehreren Studien am Menschen erprobt. "Die Stammzelltherapie ist in der Augenheilkunde so weit wie in keinem anderen Fachgebiet", sagt Krohne, dennoch wird es bis zur Zulassung noch Jahre dauern, da weitere große Studien zur Wirksamkeit notwendig sind.

Mikrochip als Implantat

Zugelassen sind indessen schon künstliche Netzhautimplantate. Unterschieden werden zwei Systeme: Die wenige Quadratmillimeter großen Mikrochips werden entweder auf die Netzhaut (epiretinal) oder unter die Netzhaut (subretinal) operiert.

Das epiretinale Implantat funktioniert mit einer in die Brille integrierten Videokamera, die das Auge ersetzt. Ein kleiner tragbarer Computer wandelt die Videobilder in elektrische Signale um und sendet sie per Funk an den Mikrochip auf der Netzhaut. Beim subretinalen Implantat ersetzt ein lichtempfindlicher Mikrochip die Funktion der abgestorbenen Sehzellen. Die von den Mikrochips erzeugten Signale werden über den Sehnerv in das Sehzentrum des Gehirns weitergeleitet.

Momentan kommen die Sehprothesen nur für Patienten mit Retinitis pigmentosa infrage. Betroffene erblinden oft im Lauf ihres Lebens, da ihre Sehzellen verkümmern. In der Regel verfügen sie aber noch über einen ausreichend intakten Sehnerv, der die Weiterleitung der Implantatsignale ermöglicht.

Zunehmende Individualisierung

Einen normalen Seheindruck können beide Systeme nicht wiederherstellen. "Aber Patienten können Lichtquellen erkennen und Hell und Dunkel unterscheiden. Für jemanden, der nichts sieht, ist das viel", sagt Funk. Ob die Technik jemals für die große Gruppe der AMD-Patienten eingesetzt werden kann, ist momentan noch ungewiss.

Eine Technik, die alltäglich geworden ist, weltweit sogar die häufigste Operation darstellt, ist der Austausch der trüb gewordenen Linse bei grauem Star. "Noch werden die Linsen nicht für jeden maßgeschneidert, aber die Individualisierung nimmt durch die steigende Anzahl verschiedener Linsentypen zu", sagt Müller. In den Entwicklungsländern sieht es freilich anders aus: "Grauer Star wird hierzulande sehr früh operiert, in Afrika meist sehr spät", sagt Funk, "dann machen wir Blinde sprichwörtlich wieder sehend." (Juliette Irmer, 10.8.2017)