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Bild: Hellblade
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Wenn in Videospielen psychische Krankheit dargestellt wird, dann meist als feindliches Anderes: In der Gestalt gewalttätiger, mörderischer Bewohner unzähliger virtueller "Irrenhäuser" oder als monströse kriminelle Psychopathen sind "Verrückte" seit jeher als Gegner in Spielen vertreten. Wenn einmal im Spiel, in Traum- oder Visionssequenzen, die Realität der Spielfiguren selbst ins Wanken gerät, wird dies meist als Wechsel in plakativ-absurde "Paralleldimensionen" dargestellt, aus denen schnellstmöglich der Ausgang gesucht werden muss.

Dass in der einleitenden Sequenz von "Hellblade: Senua’s Sacrifice" als erster eingeblendeter Name jener von Dr. Paul Watson, Neurowissenschafter an der Universität Cambridge, zu lesen ist, ist der erste Hinweis darauf, dass sich der Entwickler Ninja Theory auf völlig andere Art seinem Thema nähert. "Hellblade" ist, so viel vorweg, ein ernsthafter Versuch, die Erfahrung einer an Psychosen leidenden Hauptfigur durch die Mittel des Mediums nachvollziehbar zu machen – ein Kunststück, das gelingt und das Spiel schon allein dadurch außergewöhnlich macht.

So spielt sich "Hellblade"
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Kriegerin mit Psychose

Diese Hauptfigur ist für sich betrachtet schon ungewöhnlich: "Hellblade: Senua’s Sacrifice" spielt im Frühmittelalter irgendwo auf den britischen Inseln, die titelgebende Heldin Senua gehört zum Stamm der Pikten – jener "Barbaren", wegen derer das römische Imperium den seine südlichen Kolonien schützenden Hadrianswall mitten durch die Insel zog. Dass Senua keine Spieleheldin wie viele andere ist, wird schnell klar: Von Anfang an begleitet ein spektakulär in 3D-Sound gestalteter Chor flüsternder Stimmen die Heldin, der besonders mit Kopfhörern ein eindrückliches Erlebnis von jener Erfahrung bietet, die Begleiterscheinung vieler Psychosen, aber auch erlebte Realität einer Vielzahl ansonsten gesunder Menschen ist: Senua "hört Stimmen", die ihre Aktionen kommentieren, sie bestätigen, ihr Vorhaltungen machen oder verhöhnen.

Was nach einem Gimmick klingt, entfaltet im Spielverlauf, in dem Stück für Stück die Vorgeschichte erläutert wird, eine bemerkenswerte narrative Wucht. Senua, die sich auf den Weg macht, um ihren toten Geliebten aus der mythischen Unterwelt der Wikinger zu retten, die ihn getötet haben, ist ihren Halluzinationen, die sich nicht nur auf das Hören der Stimmen beschränken, ausgeliefert – und die Spielerinnen und Spieler ebenfalls.

Dass diese Darstellung der veränderten Wahrnehmung realer psychotischer Episoden der Wirklichkeit ziemlich nahe kommt, wurde den Entwicklern vonseiten medizinischer Spezialisten, aber auch von Betroffenen bestätigt – eine halbstündige "Making-of"-Dokumentation, die dem Spiel beiliegt, zeigt das gelungene Bemühen der Entwickler, im interaktiven Medium eine so noch nicht dagewesene Erfahrung zu ermöglichen: wie es sein könnte, in die Wahrnehmung psychotischer Menschen einzutauchen.

Kämpfe, Rätsel, Nervenzusammenbrüche

Dass "Hellblade" bei alledem kein trockenes "Serious Game" mit erhobenem Zeigefinger geworden ist, sondern ein spektakulär gestaltetes Actionspiel, das in Sachen Optik, Design und vor allem Animation mühelos mit den größten Spielen der Gegenwart mithalten kann, ist eine Sensation, die man würdigen muss. Der britische Entwickler Ninja Theory, bekannt von Hochglanzspielen wie "Heavenly Sword" oder "DmC: Devil May Cry", hat sich für sein Debüt als vom Publisher unabhängiges Studio ein mutiges, gar riskantes Projekt ausgesucht, das sich trotzdem an einen Massenmarkt richtet.

Das zeigt sich in der erwähnt großartigen Hochglanzpräsentation, aber auch im Gameplay, das die bekannten Stärken beibehält: Die immer wiederkehrenden Kämpfe gegen albtraumhafte Wikinger und teils riesige Bossgegner sind rasant und leicht taktisch angehaucht, mehr Zeit verbringt man allerdings im Spiel mit dem Lösen von Rätseln, die mit der Umgebung und der eigentümlichen Wahrnehmung der Protagonistin spielen. Die Mischung aus ruhigen Passagen, sich im Spielverlauf wandelnden Puzzle-Aufgaben und Kämpfen wird ergänzt – und überstrahlt – von den nicht interaktiven narrativen Szenen, in denen Senua als beinahe einzige Hauptdarstellerin eine erschütternd emotionale schauspielerische Glanzleistung abliefert. Umso beeindruckender ist, dass deren reales Motion-Capturing-Vorbild die eigentlich nur als Platzhalterin vorgesehene und als Video-Editorin bei Ninja Theory tätige Melina Juergens ist – sie wurde schließlich den eigentlich geplanten professionellen Schauspielerinnen, die Senua Leben verleihen sollten, vorgezogen.

Meisterhaft erzählt – und jetzt doch ohne Permadeath

"Hellblade: Senua’s Sacrifice" ist besonders als narratives Erlebnis beeindruckend: Wie sich die auf Spielerinnen und Spieler übertragene, konstante Verunsicherung der Wahrnehmung mit dem stückweisen Aufdecken der Vorgeschichte und dem Handlungsverlauf verwebt, ist meisterhaft und sorgt in den zwischen sechs und acht Stunden Spieldauer für Spannung, Staunen und eine erzählerische Wucht, wie sie selten zu sehen ist. Wer sich allerdings hauptsächlich ein schnörkelloses Action-Gewitter erwartet, wird enttäuscht werden: Dafür sind die rein auf Kampf- oder Reaktionsschnelligkeit aufgebauten Passagen zu rar, die ruhigeren Abschnitte zu lang und die Erzählung zu sehr im Vordergrund.

Es ist ein wenig schade, dass sich die im Spiel ganz zu Beginn getroffene Warnung, dass bei zu häufigem Versagen im Spiel aller Fortschritt zurückgesetzt werde, inzwischen als Bluff herausgestellt hat, denn die Anspannung, die mit dieser – immer fiktiven, jedoch von der Spielerschaft als Realität wahrgenommenen – Gefahr verbunden war, passt hervorragend zu einem Spiel, das sich bemüht, den albtraumhaften Ausnahmezustand seiner Protagonistin auf sein Publikum zu übertragen. "Hellblade" ist beileibe kein "Feel Good"-Spiel, sondern lässt konstant am Abgrund wanken; in Kämpfen, die oft nur um Haaresbreite gewonnen werden können, in chaotischen Fluchtpassagen und in einer Geschichte, die sich nicht scheut, ihre düstersten Themen bis ins Hier und Jetzt reichen zu lassen.

Fazit

"Hellblade: Senua’s Sacrifice" ist ein Experiment, das seinen eigenen Ansprüchen auf überwältigende Art und Weise gerecht wird. Es erzählt originell und komplex eine düstere Geschichte, die sowohl von Mythen wie auch ganz persönlichen Tragiken spricht, nähert sich dem Thema psychische Erkrankung auf bislang kaum gesehene und höchst eindrückliche Art und lässt diese beiden Themen in einer beeindruckenden, auch schauspielerisch mitreißenden und technisch perfekten Präsentation zusammenfließen. Dass es nicht durchgängig ein adrenalingetränktes Kampfspiel ist, kann man ihm angesichts dieser ambitionierten Leistung nicht ankreiden.

Dass sich Ninja Theory für ihr erstes unabhängiges Projekt zudem auch preislich dem Indie-Bereich anpassen, sollte die Hürde für alle Spielerinnen und Spieler so weit senken, dass sie diesen Mut auch durch Kauf belohnen, vor allem, weil das Spiel bei halbem Vollpreis ansonsten alle Kriterien für einen AAA-Titel übererfüllt. "Hellblade: Senua’s Sacrifice" ist ein Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst – und jetzt schon ein Höhepunkt des Spielejahres 2017. (Rainer Sigl, 13.8.2017)

"Hellblade: Senua’s Sacrifice" ist für PC und PS4 erschienen. UVP: 29,99 Euro.