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Zwei Frauen sitzen auf einer Mauer in Berlin-Kreuzberg. Der Szenebezirk ist Anziehungspunkt für junge Menschen aus der ganzen Welt.

Foto: Reuters / Axel Schmidt

Wien/Berlin – Schlange stehen, Gehaltszettel sowie Bonitätsauskunft vorweisen, das bissige Haustier des Vermieters tätscheln: Die Wohnungssuche in deutschen Großstädten kann zum Spießrutenlauf werden. Wer sich in München oder Berlin um eine Mietwohnung bemüht, darf mit 50 bis 100 Mitbewerbern rechnen.

Die angespannte Lage am Mietmarkt ist in der Bundesrepublik besonders relevant. Jeder zweite Haushalt lebt hier in Miete. Das ist weitaus mehr als in jedem anderen Land in der EU.

Derzeit fehlen über eine Million Wohnungen, schätzt Jochen Möbert, Immobilienexperte bei der Deutschen Bank. Der Neubau ist zwar von rund 150.000 im Jahr 2009 auf etwa 280.000 Einheiten heuer gestiegen, benötigt werden jedoch bis zu 350.000, wie der Immobilienbericht der Regierung berechnet. Andere Schätzungen gehen von einem Bedarf von über 400.000 neuen Wohnungen aus, sagt Möbert.

Migrationsdruck

Die Einwanderung von über 1,5 Millionen Menschen – vorwiegend Flüchtlinge und EU-Ausländer aus Osteuropa – sind nur teilweise für die zusätzliche Nachfrage nach Wohnraum verantwortlich. Auch die Landflucht verschärft die Knappheit in den Ballungszentren.

So war nach der Wende die Bevölkerung in Berlin sogar geschrumpft und stagnierte bis 2010. Seither strömten über eine halbe Million Menschen in die Bundeshauptstadt. Vor der Bundestagswahl im September hat die Politik das Thema leistbarer Wohnraum wiederentdeckt.

Wahlgeschenke

Die Union verspricht ein Baukindergeld von jährlich 1200 Euro. Auch sollen Steuerabschreibungen und Freibeträge bei der Grunderwerbssteuer den Bau von 1,5 Mio. Wohnungen anstoßen.

Die SPD nennt ihre neue Förderung Familienbaugeld und will sie sozial staffeln. Zusätzlich wollen die Sozialdemokraten die Mietpreisbremse verschärfen. Dass Union und SPD mit großzügigen Wahlgeschenken protzen, ist bezeichnend. 2005 hatte die große Koalition die staatliche Förderung für den Wohnungskauf, die Eigenheimzulage, abgeschafft, weil sie zu teuer war.

Die Vorschläge der Opposition reichen von einer Abschaffung der Mietpreisbremse (FDP) sowie der Senkung der Grund- sowie Grunderwerbssteuer (AfD) bis zu strikteren Regulierungen und mehr sozialem Wohnbau (Grüne) und sogar "enteignungsgleichen Eingriffen" zum Gemeinwohl (die Linke).

Regulierter Markt

Bisher hat die Politik der Wohnungsnot wenig entgegengesetzt. Der Teufel lag oft im Detail. Einer der größten Streitpunkte betrifft die Mietpreisbremse. Seit Anfang 2015 gilt in über 300 Gemeinden ein Deckel für Mieterhöhungen.

Die Preisbremse hat aber nicht einwandfrei funktioniert, sagt Konstantin Kholodilin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Einerseits könnten die gedeckelten Gemeinden das Problem auf benachbarte verlagert haben, wo die Preise vergleichsweise stärker anzogen, andererseits nützen Vermieter mitunter bestehende Spielräume, um den Preisdeckel zu umgehen.

Keine Hilfe für Ärmere

Sozial Schwächere profitieren ohnehin nicht von der Preisbremse, da sie im starken Wettbewerb benachteiligt werden, erklärt DIW-Ökonom Claus Michelsen. Im Zweifelsfall bevorzugen Vermieter die solventen Bewerber. Leistbare Heime für Bedürftige könne nur der soziale Wohnungsbau ermöglichen.

Umgekehrt schreckt die Preisbremse Investoren ab, sagt Möbert. Mietwohnungen werfen eine Rendite von rund vier Prozent in Großstädten ab, wie der Deloitte Property Index zeigt. Nach Steuern und Kosten bleibt nicht so viel übrig.

Die meisten Länder haben zudem die Grunderwerbssteuer erhöht, ohne die Erträge in den Wohnbau zu stecken. Die Wohnpolitik ist derzeit chaotisch, bemängeln die Experten. Einheitliche Anreize wären notwendig, bevor Steuergeld verteilt werde. (Leopold Stefan, 17.8.2017)