Andrea P. aus Baden war immer sehr sportlich. Schon in ihrer Jugend begann sie zu reiten und Trabrennen zu fahren. Später machte sie ihre Leidenschaft zum Beruf und wurde Pferdesportlerin. Im Winter fuhr sie mit der Familie Ski. "Eigentlich war ich immer in Bewegung", erzählt die Mutter zweier Kinder. Bis vor etwa vier Jahren – sie war erst Mitte vierzig – das Hüftleiden begann.

Die stechenden Schmerzen in der rechten Hüfte nahm sie anfangs wenig ernst. "Ich dachte, es sei eine Zerrung", erzählt sie. Das Auf- und Absteigen vom Pferd wurde immer mühsamer, im Sattel sitzen zur Qual. Der Orthopäde stellte eine sogenannte Dysplasie-Arthrose fest: ein angeborenes Hüftleiden mit nachfolgender Gelenkabnutzung. "Schließlich verlor ich jede Freude an meinem geliebten Reitsport", erinnert sich Andrea P.

Besonders Fußball als Kontaktsport ist eine Bewegungsart, die für das Hüftgelenk riskant ist. Die Verletzungsgefahr ist groß.
Illustration: Francesco Cioccolella

Im September 2016, nach dreijährigem Leidensweg, ließ sie sich eine künstliche Hüfte einsetzen, so wie jedes Jahr etwa 20.000 weitere Patienten in Österreich. Die jüngsten sind noch keine 40 Jahre alt, die ältesten um die 90. In Österreich, Deutschland und der Schweiz werden im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mehr künstliche Hüftgelenke eingesetzt als überall sonst auf der Welt. Zu viele?

Vielfältige Probleme

Ein solcher Eingriff dauert in der Regel etwa eine Stunde und bringt vielen Patienten wieder mehr Lebensqualität. "Aber jede Operation birgt Risiken", sagt der renommierte Hüftchirurg Christoph Müller vom Orthopädischen Spital Speising in Wien, der Andrea P.s Prothese implantiert hat. Daher sei es sehr wichtig, im Einzelfall genau abzuklären, ob eine künstliche Hüfte wirklich nötig ist. "Wir bemühen uns immer, zuerst alle nichtoperativen Maßnahmen auszuschöpfen."

Hüftprobleme sind vielfältig. Manchmal steht am Anfang ein Sturz oder Unfall. In den meisten Fällen aber ist der Grund eine Arthrose – also Gelenkverschleiß. Denn unsere Gelenke sind Schwerarbeiter. Bereits beim langsamen Gehen stemmen sie das Dreifache des Körpergewichts, beim zügigem Joggen sogar das Siebenfache.

Die Knorpelschichten wirken dabei wie Stoßdämpfer. Werden diese Puffer in Mitleidenschaft gezogen, kommt es rasch zu Schmerzen und eingeschränkter Beweglichkeit.

Guter Stoffwechsel

Lange dachte man, dass Arthrose vor allem durch Überlastung entstehe. Für diese Theorie spricht, dass viele ehemalige Leistungssportler nach dem Ende ihrer Karriere eine Hüftprothese benötigen. Doch auch andere Faktoren spielen eine wichtige Rolle: das Körpergewicht etwa, die gesamte Lebensweise und die Genetik.

Zur Prävention von Hüftproblemen sollte man zum Beispiel regelmäßig Sport treiben und auf eine ausgewogene, nicht zu kalorienreiche Ernährung achten. Denn je besser der Stoffwechsel insgesamt funktioniert, desto geringer ist die Neigung zu Arthrose. Gymnastik, Krafttraining, Schwimmen, Radfahren, Wandern oder auch Tai-Chi sind besonders zu empfehlen.

Ungünstig wirkt sich hingegen ein bewegungsarmer Alltag aus. "Sitting is the new smoking (deutsch: Sitzen ist das neue Rauchen)", sagt Christoph Müller. Regelmäßiges stundenlanges Sitzen etwa sei alles andere als gesund.

Es fördere nämlich eine Verkürzung der Hüftbeuger und eine Abschwächung der Hüftstrecker (der Glutealmuskulatur). Daher empfiehlt der Chirurg, im Büro zwischendurch aufzustehen, ein paar Kniebeugen zu machen und zu dehnen.

Kräftige Muskeln

Haben Gelenke bereits Schaden genommen, können spezifische Übungen noch immer sehr hilfreich sein: Denn kräftige Muskeln reduzieren den Druck auf die Hüften. Und die Gelenkhaut produziert bei Bewegung vermehrt Gelenkflüssigkeit, die zur Geschmeidigkeit beiträgt. Selbst bei bestehenden Hüftproblemen benötigt man nicht immer sofort eine Prothese: Oft lässt sich durch das Einspritzen von Entzündungshemmern wie Kortison oder "künstlicher Gelenkschmiere" (Hyaluronsäure) Zeit gewinnen.

In anderen Fällen können Chirurgen das Gelenk durch einen kleineren Eingriff (eine sogenannte Hüftspiegelung) von abgeriebenen Knorpelteilchen reinigen, einen Engpass (Impingement) beseitigen oder das Labrum (den Hüftmeniskus) reparieren und so wieder flexibel und schmerzfrei machen.

Bei Andrea P. allerdings waren alle möglichen Alternativen zu einer Prothese ausgeschöpft, erinnert sich der Wiener Hüftspezialist Christoph Müller. Und im Gespräch mit dem Facharzt wurde auch der Reitsportlerin aus Baden selbst schnell klar: "Wenn ich wieder mobil sein will, ist eine künstliche Hüfte die einzige Chance."

Keramik und Metall

Beim Implantieren einer solchen Prothese wird der Oberschenkelkopf abgesägt, ein Schaft aus Metall (meist Titan) in den Oberschenkelknochen getrieben und darauf ein neuer Kopf aus Keramik gesteckt. Darüber hinaus bringt der Chirurg eine Gelenkpfanne aus Titan mit einer Einlage aus Keramik oder Kunststoff in das Becken ein.

In Österreich sind zementfreie Prothesen aus Titanlegierungen, die gut einwachsen und keine Allergien auslösen, der Standard. Als sogenannte Gleitpaarung (die Teile im Kunstgelenk, die sich zueinander bewegen) werden ein Lager aus besonders widerstandsfähigem Polyethylen oder Keramik und eine Kugel aus Keramik verwendet.

"Mit diesen Komponenten haben wir die besten Erfahrungen gemacht", sagt Oberarzt Müller, der jedes Jahr etwa 200 künstliche Hüften implantiert. Nur bei sehr schlechter Knochenqualität (Osteoporose) muss zementiert werden.

Empfehlenswerte Sportarten

Doch wie mobil ist man mit einer Hüftprothese? Darf man damit wieder tanzen, joggen, Ski fahren oder gar Karate trainieren? Von Kontaktsportarten raten die meisten Experten ab. Schwimmen, Joggen, Tanzen und Wandern hingegen könne man meist bereits wenige Monate nach der OP wieder ohne Bedenken. "Wir empfehlen das sogar", sagt Christoph Müller. Denn ein Gelenk, dass von trainierten Muskeln stabilisiert wird, halte länger.

"Das gilt auch und besonders für Prothesen", so der Hüftspezialist. Selbst Fußball und Skifahren, aber auch Kampfsportarten wie Judo oder Karate schließt er persönlich in Einzelfällen nicht aus. "Was vor den Hüftproblemen möglich war, ist es in der Regel auch mit einer künstlichen Hüfte wieder", sagt Müller. "Ich würde aber davon abraten, nach einer Hüftoperation eine Kampfsportart oder Skifahren neu zu erlernen."

Übergewicht und mangelnde Bewegung können Hüftschmerzen verursachen.
Foto: iStock

Künstliche Hüften halten durchschnittlich gut 15 bis 20 Jahre. Danach müssen sie meist ausgewechselt werden. Solche Operationen sind komplizierter und heikler als der Einsatz der Erstprothese und sollten nur von erfahrenen Chirurgen durchgeführt werden. Das Alter ist insofern ein Kriterium.

Doch obwohl Andrea P. bei ihrer ersten Hüftoperation, im September 2016, erst knapp 51 Jahre alt war, zögerte sie nicht. "Ich wollte mich wieder richtig bewegen können und voll am Leben teilnehmen", erinnert sich die Pferdesportlerin.

Operateure mit Verantwortung

Früher hieß es unter Fachleuten, man solle so lange wie möglich warten, damit eine Wechsel-OP vermieden werden könne, sagt Hüftchirurg Christoph Müller. Inzwischen sehe man das differenzierter: "Aufgrund der Verbesserung der Prothesen spielt das Alter bei der Entscheidung nicht mehr so eine zentrale Rolle", sagt er.

Es sei sinnvoller, eine 50-jährige Patientin mit schweren Hüftproblemen zu operieren als eine 70-Jährige, die nur geringe Beschwerden habe – mögliche Wechseloperationen hin oder her: "Wenn alle Alternativen ausgeschöpft sind und ein Patient leidet, macht es keinen Sinn, die Implantation einer künstlichen Hüfte hinauszuzögern."

In jedem Fall aber scheint es angebracht, sehr genau abzuwägen, ob man sich einer solchen Operation wirklich unterziehen will. "In Österreich werden im internationalen Vergleich sehr oft Hüftprothesen eingesetzt", kritisiert der Mediziner und Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer aus Wels. "Zu oft."

Die Gründe dafür seien vielfältig. "Um viele kleine Spitalsstandorte zu sichern, wurde hierzulande begonnen, in Unfallchirurgie-Abteilungen und neu eröffneten Orthopädien die Endoprothetik (das Ersetzen von Gelenken durch Prothesen) auszuweiten", sagt Pichlbauer. Das habe eine "angebotsinduzierte Nachfrage" gefördert.

Ermessensspielraum des Arztes

Zudem lasse sich die Indikation zu einer solchen OP kaum objektivieren. "Ob eine konservative oder eine operative Therapie angeboten wird, liegt also ganz im Ermessensspielraum des diagnostizierenden Arztes." Verstärkt werde die Tendenz zur künstlichen Hüfte dadurch, dass es keinerlei Begrenzung beim Zugang zu solchen Prothesen gebe.

Implantationen würden daher bei sehr vielen Interessenten vorgenommen, obwohl es Umstände gebe – wie etwa Übergewicht und hohes Alter – bei denen es weniger wahrscheinlich sei, dass Patienten nach der OP ihre Mobilität wieder erhalten oder ihre Lebensqualität steige, so Pichlbauer.

Entscheidet man sich für eine Hüftprothese, so empfiehlt sich oft die minimalinvasive Methode der Implantation: Während der Chirurg bei der klassischen OP die Muskulatur an der Hüfte durchtrennt, um einen guten Zugang zum Gelenk zu bekommen, wird sie beim minimalinvasiven Zugang mit Spezialinstrumenten nur zur Seite gehalten. Das schont die Muskulatur, und sie kann ihre wichtige Funktion schneller wieder übernehmen.

Goldstandard

"Die minimalinvasive Technik ist bei der Implantation von Hüftgelenksprothesen inzwischen der Goldstandard", sagt Hüftspezialist Christoph Müller. "Und diese Methode ist in mehr als 95 Prozent der Fälle möglich." Dennoch gibt es in Österreich noch immer Ärzte, die aus Tradition und Gewohnheit vor allem die klassische Methode praktizieren.

Ob minimalinvasiv oder klassisch: In der Regel geht alles gut beim Einsetzen künstlicher Hüftgelenke. Doch nicht immer. Chirurgen, die wenig Erfahrung mit solchen Eingriffen haben, scheinen dabei häufiger Komplikationen zu unterlaufen. Eine Studie deutscher Krankenkassen kam unlängst zum Schluss, dass sich jede siebente Komplikation bei einer Hüftoperation allein dadurch vermeiden ließe, dass solche Eingriffe nur noch in Spitälern vorgenommen würden, wo sie zu den Routineoperationen gehören.

Das Risiko für Allergien gegen Bestandteile der Prothesen konnte zumindest in Österreich durch die Verwendung neuer Materialien seit gut zehn Jahren stark gesenkt werden. "Was uns – und die Kollegen in allen anderen Ländern – hingegen noch immer beschäftigt, sind bakterielle Infektionen, die nach der Operation in Einzelfällen entstehen können", sagt Christoph Müller. Insbesondere multiresistente Keime – Bakterien, gegen die Antibiotika nicht mehr wirken – können dabei zum Problem werden.

Schnell wieder fit

Heikel ist die Implantation einer künstlichen Hüfte insbesondere bei Menschen mit starkem Übergewicht (Adipositas). Denn bei der Operation selbst lässt sich das Gelenk dann weniger leicht freilegen. Und Adipositas begünstigt Entzündungsprozesse und Verschleißerscheinungen. Stark übergewichtige Patienten brauchen doppelt so oft Revisionsoperationen (das Auswechseln der Prothese) und erleiden nach dem Eingriff doppelt so oft Infektionen wie andere Patienten. Oft raten Chirurgen Betroffenen vor der Operation daher zu einer Diät.

Bei Andrea P., die nie unter Gewichtsproblemen litt, verlief die Operation optimal. Schon am Abend danach durfte sie das erste Mal aus dem Bett aufstehen. "Das ist im Orthopädischen Spital Speising nach solchen Eingriffen die Regel", sagt der Wiener Hüftchirurg Christoph Müller. Nur vier Tage verbrachte die Reitsportlerin insgesamt im Krankenhaus.

Einige Hinweise gaben ihr die Ärzte mit auf den Weg nach Hause: Während der ersten sechs Wochen sollte sie beispielsweise tiefe, weiche Sitzgelegenheiten meiden und sich beim Schlafen auf der Seite zur Entlastung der operierten Hüfte ein Kissen zwischen die Knie klemmen. Bereits drei Wochen nach der Operation durfte Andrea P. in Absprache mit ihrem Physiotherapeuten aber wieder mit leichtem Kraft- und Ausdauertraining beginnen und drei Wochen später sogar wieder erstmals aufs Pferd steigen.

Ihr Tipp an andere Betroffene: "Die Anweisungen und Empfehlungen der Ärzte und Physiotherapeuten immer genau befolgen."

Inzwischen liegt Andrea P.s Operation ein Jahr zurück. Die zweifache Mutter aus Baden reitet wieder regelmäßig, engagiert sich als Funktionärin im Sportverein – und freut sich schon auf den nächsten Skiurlaub. "Ich mache eigentlich wieder alles wie früher", sagt sie, "für mich fühlt es sich an, als hätte ich gar keine Prothese." (Till Hein, CURE, 19.11.2017)