Wien – Wer die aktuelle Kinoadaption von Eugen Ruges Bestseller In Zeiten des abnehmenden Lichts noch nicht gesehen hat, könnte dieser Tage ein klassisches Double Feature als Themenabend veranschlagen. Während sich nämlich Bruno Ganz als verbitterter DDR-Funktionär und Jubilar einen ganzen Tag und Film lang in seiner Ostberliner Villa feiern lassen muss, wird nur wenige Kilometer entfernt dies- und jenseits der Mauer im Thriller Atomic Blonde bereits geheimdienstlich für die Zeit nach dem Mauerfall vorgesorgt. Und wo bei denen, die noch die Fassade zu wahren versuchen, symbolisch der Esstisch zusammenbricht, brechen bei den Agenten statt Tischbeinen die Knochen. Bestenfalls.

Nicht nur modisch im Vorteil: Charlize Theron räumt in "Atomic Blonde" in Berlin auf.
Foto: UPI

Es brodelt also schon gewaltig in der Stadt, wenn Charlize Theron als britische Geheimagentin Lorraine Broughton zum Score von Nena und Tom Schilling in Tegel landet, um den Mord an ihrem Kollegen aufzuklären. Dieser stand ihr – ein Foto spricht Bände – auch persönlich nahe, was die Mission nicht einfacher macht. Gefühle haben im Kalten Krieg beziehungsweise in der Graphic Novel The Coldest City, auf der dieser handfeste Spionagekrimi beruht, nichts verloren. Wer sich dennoch welche leistet, ist üblicherweise naiv oder bald tot.

Schon zu Beginn, wenn dem britischen Agenten wie James Bonds Kollegen in Octopussy nicht die Flucht in den Westen gelingen will – statt messerwerfender Zwillinge genügt ein schießwütiger Russe –, aktiviert Atomic Blonde dementsprechend das Genregedächtnis. Die Stadt ist grau, die Innenräume sind grell, die Gespräche in den Bars verschwörerisch, und der Mikrofilm mit einer Namensliste von Agenten befindet sich in einer Armbanduhr nunmehr in russischer Hand.

Erzähl- und Mauersteine

Broughtons Kontaktmann Percival (James McAvoy), der sich längst sein eigenes Netzwerk aufgebaut hat und sich auf beiden Seiten der Mauer gleichermaßen wohlfühlt, ist ein exzentrischer und deshalb so undurchschaubarer wie unzuverlässiger Einzelgänger. Fehlt nur noch eine Rahmenhandlung, in der Broughton vom eigenen Geheimdienst und den Amerikanern (Toby Jones und John Goodmann parlieren in Nebenrollen) nach ihrer Rückkehr verhört wird. Sie hat ziemlich viele blaue Flecken und Schrammen im Gesicht. David Leitich, der als ehemaliger Stuntman die Actionszenen von John Wick inszeniert hat, erzählt in seinem Regiedebüt, wie es dazu kam.

Universal Pictures

Wovon Atomic Blonde profitiert, sind Charlize Theron und die Prügelszenen. Minutenlang dauern ihre wahlweise waffenlosen Auseinandersetzungen mit Gesinnungsfremden und uniformiertem Personal, während die Spitzel und Maulwürfe taktisch agieren, als wären sie bei John le Carré in einer Drehbuchschule gewesen. Doch das kommt diesem Film durchaus zupass: Unaufhaltsam fügt sich ein Erzählstein zum anderen, während auf Archivbildern junge Menschen mit dem Hammer die ersten Brocken aus der Mauer schlagen. (Michael Pekler, 22.8.2017)