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Hübsch (und ein ziemlicher Brocken): die Krontaube.
Fotos: APA/EPA/MACIEJ KULCZYNSKI

Kapstadt – Der Dodo mag ausgestorben sein, aber andere Riesentauben gibt es heute noch. Die Krontaube (Goura cristata) kann über 70 Zentimeter lang werden, das sind die Ausmaße einer kleinen Pute. Und – Großstadtbewohner wird es bei dem Gedanken schaudern – sie kann im Gegensatz zum Dodo noch fliegen. Aber keine Angst: Die Krontaube, die mit ihrem blauen Gefieder und der auffälligen Federkrone wie der Paradiesvogel der Taubenwelt wirkt, kann ihre Kotbomben nur auf Neuguinea und die benachbarten Inseln abwerfen, wo die Spezies endemisch ist.

Das Bewahren der Flugfähigkeit hat der Krontaube mit Sicherheit dabei geholfen, bis heute zu überleben – ganz im Gegensatz zu zwei noch größeren Verwandten: dem legendären Dodo (Raphus cucullatus) von Mauritius und dem weit weniger bekannten Solitär (Pezophaps solitaria) auf der 580 Kilometer östlich von Mauritius gelegenen Insel Rodrigues. Beide Vögel waren knapp einen Meter lang und je nach Schätzung 10 bis 20 Kilogramm schwer.

Der bange Blick ist berechtigt: Europäische Schiffe sind in der Bucht eingetroffen.
Illustration: Julian Hume

Die Ahnen dieser beiden Riesentauben hatten das energieaufwändige Fliegen aufgegeben, als sie ihre abgelegenen Inseln erreichten, auf denen es keine größeren Raubtiere gab. Diese Strategie ging aber nur so lange gut, bis der Mensch eintraf und die behäbigen Bodenbewohner jagte. Noch verheerender erwiesen sich vom Menschen mitgebrachte Säugetiere wie Ratten oder Schweine. Sie machten sich über die Nester des bodenbrütenden Vogels her und besorgten den Rest: Der Dodo wurde im späten 17. Jahrhundert ausgerottet, der Rodrigues-Solitär hielt bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts durch, ehe er ebenfalls verschwand.

In neuem Gewande

Eine neue Studie südafrikanischer Forscher versucht nun, etwas mehr Licht in die Frage zu bringen, wie der Dodo einst lebte. Denn obwohl der Vogel eine Ikone des Artenschutzes und sogar sprichwörtlich geworden ist ("dead as a dodo"), gibt es noch jede Menge Unklarheiten und Widersprüche. Das beginnt schon beim Aussehen: Zeitgenössische Berichte sprachen von braunen ebenso wie von schwarzen oder taubenblauen Tieren. Mal hieß es, Dodos hätten nur ein Daunenkleid getragen, mal war von einem Gefieder aus echten Konturfedern die Rede. Der Hals sei nackt gewesen wie bei einem Geier ... oder auch nicht.

Ein Forscherteam um Delphine Angst von der Universität Kapstadt berichtet nun in "Scientific Reports", dass es für die widersprüchlichen Angaben eine simple Erklärung geben dürfte: Kein Sexualdimorphismus, wie früher gemutmaßt wurde – stattdessen hätten die Dodos einmal jährlich eine umfassende Mauser vollzogen. Normalerweise graubraun, liefen sie dann für einige Zeit in einem schwarzen Daunenkleid umher, bis die neuen Federn nachgewachsen waren.

Aktuelle Rekonstruktion des Dodo.
Illustration: Agnès Angst

Zu ihren Ergebnissen kamen die Forscher durch genaue Analysen der Mikrostrukturen in den Knochen von 22 Dodos, die an verschiedenen Stellen von Mauritius gefunden worden waren. Große Schwankungen in den Kalziumdepots der Knochen werten sie als Indiz für regelmäßige Mauser. Zugleich konnten die Forscher so das Knochenwachstum untersuchen und daraus den Lebens- und Jahreszyklus des ausgestorbenen Vogels rekonstruieren. Was laut Angst eine Lücke füllt, denn obwohl Mensch und Dodo fast ein Jahrhundert lang nebeneinander auf der Insel existierten, wurde so gut wie gar kein Wissen über den ökologischen Kontext des Vogels überliefert.

Ein Jahr im Leben eines Dodos

Laut Angst soll der Lebenszyklus der Riesentaube so ausgesehen haben: Die Brutsaison begann im August, also im Winter der Südhalbkugel. Die Dodo-Küken konnten damit in einer milden und futterreichen Saison schlüpfen und so viel fressen, dass sie rasch wuchsen. Die Analyse von Knochen junger Exemplare zeigt, dass sie binnen Monaten annähernd die Größe erwachsener Tiere erreichten, auch wenn der Skelettbau noch für einige Jahre der eines Jungtiers blieb.

Durch ihre Größe waren die Küken robust genug, den harschen Bedingungen des südlichen Sommers von November bis März standzuhalten. In dieser Jahreszeit wird Mauritius von Zyklonen und starken Regenfällen heimgesucht, die Blätter und Früchte – seinerzeit vermutlich die Hauptnahrung der Dodos – von den Pflanzen peitschen und so das Nahrungsangebot schmälern. War diese Zeit des Darbens vorbei, traten die Dodos in die Mauser ein, die den Körper ebenfalls einiges an Energiereserven kostet, um bis zur neuen Brutsaison wieder optimale Fitness zu erreichen.

Dieses Muster deckt sich laut der Forscherin zum einen mit dem Mauserverhalten heute noch auf Mauritius lebender Vögel – darunter auch eine beträchtlich kleinere Dodo-Verwandte, die Rosentaube (Nesoenas mayeri). Zum anderen würde es auch zu den Berichten zeitgenössischer Seefahrer passen, die zu unterschiedlichen Jahreszeiten auf Mauritius waren. Deren Genauigkeit ist freilich mit Vorsicht zu genießen.

Szene aus dem Sumpf von Mare aux Songes, wo eine große Menge von Dodo-Knochen gefunden wurde. Die Vögel teilten sich ihr Ökosystem unter anderem mit Riesenschildkröten der Gattung Cylindraspis, die mittlerweile ebenfalls ausgestorben sind.
Illustration: Julian Hume

Andere Widersprüche betreffen die Masse des Dodos: Schätzungen reichen von zehn Kilogramm bis zum Doppelten oder gar Dreifachen. Zum Teil lässt sich dies laut Angst und ihren Kollegen durch die wetterbedingten heftigen Fluktuationen im Nahrungsangebot erklären, die den Dodo monatelang auf Diät setzten, ehe er sich wieder vollfressen konnte. Zudem wurde schon in früheren Studien gemutmaßt, dass unser Bild vom Dodo etwas verzerrt ist, weil es auf gefangene Tiere zurückgeht. Die wurden schwankungsfrei gefüttert und teilweise sogar gemästet, um mehr Fleisch zu liefern.

Mögliche Wiederkehr?

Weitere Erkenntnisse könnte es geben, wenn das Aussterben des Dodos eines Tages rückgängig gemacht werden sollte. Der Gedanke ist nicht ganz aus der Welt, auf den Wunschlisten diverser "De-Extinction"-Programme steht der Dodo ganz oben. Und es ist neben einer Vielzahl von Knochen sogar weiches Gewebe erhalten geblieben: ein getrockneter Kopf und ein Fuß mit Hautresten im Naturgeschichtsmuseum der Universität Oxford. Möglicherweise ließe sich daraus Dodo-DNA für eine Rekonstruktion gewinnen.

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Dieses Dodo-Skelett wurde vor einem Jahr für schwindelerregende 376.000 Euro versteigert. Und dabei stammt es gar nicht von einem konkreten Individuum, sondern wurde aus den Knochen verschiedener Exemplare zusammengesetzt.
Foto: AP Photo/Matt Dunham

Allerdings würden solche gentechnischen "Rückholungen" nicht ohne ergänzendes Erbgutmaterial verwandter Tiere auskommen. Der wiederauferstandene Dodo wäre genetisch nicht mit dem ausgestorbenen identisch – von möglichen Verhaltensunterschieden ganz zu schweigen, wenn man Tiere gleichsam aus dem Nichts in die Welt setzt.

Entgegen der in "Jurassic Park" vollmundig erklärten Prognose von der Veralterung der herkömmlichen Paläontologie werden daher auch in Zukunft Wissenschafter wie Delphine Angst und ihr Team gebraucht, die geduldig in Staub und Knochen herumstochern, um so ein möglichst zutreffendes Bild der Vergangenheit zu rekonstruieren. Zumindest bis jemand eine Zeitmaschine baut. (jdo, 27. 8. 2017)