Verfassungsgerichtshofpräsident Gerhart Holzinger spricht sich gegen die Veröffentlichung des Abstimmungsverhaltens der Höchstrichter aus.

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Alpbach/Wien – Verfassungsgerichtshof-Präsident Gerhart Holzinger warnt davor, Verfassungsgerichte infrage zu stellen und politischen Druck auf die Höchstgerichte auszuüben. Entsprechende Strömungen in manchen Staaten Europas seien "bedrückend und besorgniserregend", sagte Holzinger am Sonntag bei den Alpbacher Rechtsgesprächen. Der VfGH-Präsident spielte damit auf die jüngsten Ereignisse in Polen an.

Diese Entwicklungen machten "schmerzlich bewusst, dass auch unser demokratischer Rechtsstaat weder irreversibel noch selbstverständlich ist, sondern täglich aufs Neue errungen und damit gesichert werden muss. Wer sich gegen die Verfassungsgerichtsbarkeit stellt, setzt nicht nur den Rechtsstaat, sondern letztlich auch die Demokratie aufs Spiel", so Holzinger.

Sachliche Kritik erlaubt, polemisch nicht

Zugleich betonte der VfGH-Präsident, der im Juni seinen 70. Geburtstag feierte und mit Jahresende altersbedingt aus seiner Funktion ausscheidet, dass die Akzeptanz durch die Bevölkerung Grundlage für das Funktionieren des Rechtsstaates sei. Die Voraussetzungen für das Funktionieren des Rechts und der Gerichtsbarkeit müsse jede und jeder einzelne sicherstellen. Dies gelte speziell auch für den Umgang mit den Gerichten: "Sachliche Kritik an gerichtlichen Entscheidungen tut dem keinen Abbruch, interessensgeleitete, polemische Gerichts- und Urteilsschelte, von welcher Seite auch immer, aber sehr wohl."

Von besonderer Bedeutung für die Akzeptanz des VfGH und seiner Entscheidungen sei die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter. Diese ist laut Holzinger durch die Bestellung der Verfassungsrichter bis zum 70. Lebensjahr sichergestellt – auch wenn die Auswahl der Personen durch politische Organe erfolgt.

Vertraulichkeit der Abstimmung entscheidend

Holzinger hielt in diesem Zusammenhang ein Plädoyer für die im Vorjahr rund um die Aufhebung der Bundespräsidenten-Stichwahl in Diskussion geratenen Vertraulichkeit des Abstimmungsverhaltens der Höchstrichter. Solche Diskussionen würden vor allem dann geführt, "wenn eine ganz bestimmte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes den Interessen mächtiger gesellschaftlicher Gruppierungen, im Besonderen einzelnen Parteien, zuwiderläuft".

Dem erhofften Gewinn an Transparenz stünden aber schwerwiegende Nachteile gegenüber, erklärte der VfGH-Präsident. Kollegiale Entscheidungsfindung und Autorität des Gerichtshofes würden beeinträchtigt. "Vor allem aber ist zu befürchten, dass eine Veröffentlichung von Sondervoten gerade bei einem Gericht, das vielfach gesellschafts- und damit auch parteipolitisch kontroversielle Fragen zu entscheiden hat, das Verhalten der Mitglieder und damit ihre Unabhängigkeit, verstanden als 'innere Freiheit' nachteilig beeinflussen könnte." Es sei daher maßgeblich für die Unabhängigkeit und Akzeptanz, dass der VfGH weder Abstimmungsverhältnisse noch abweichende Meinungen einzelner Mitglieder ("dissenting opinion") veröffentlicht. Transparenz werde mit den spezifischen Mitteln des Verfahrensrechts und durch die ausführlichen schriftlichen Begründungen hergestellt. (APA, 27.8.2017)