Moskau/Minsk/Brüssel – Bei der Nato schrillen schon seit Wochen die Alarmglocken. Grund sind die Pläne Russlands für die alle vier Jahre stattfindenden Militärmanöver Sapad ("Westen"), die in diesem Jahr nicht nur an der Grenze Russlands zu EU- und Nato-Staaten, sondern auch in Weißrussland und in der Exklave Kaliningrad zwischen dem Baltikum und Polen stattfinden sollen. Die Nato befürchtet, dass Russland dafür zwischen dem 14. und 20. September wesentlich mehr als jene 12.500 Soldaten in Bewegung setzen wird, die das Verteidigungsministerium in Moskau als geplante Zahl angibt. Sie rechnet mit bis zu 100.000 Mitgliedern des Militärs.

Der Streit um die Zahlen hat einen einfachen Hintergrund: Unter den Vorgaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind Mitgliedsstaaten (also auch Russland) verpflichtet, Beobachter zuzulassen, wenn die Zahl der Teilnehmer 13.000 übersteigt. Auch deshalb geht die Nato davon aus, dass Moskau – das keine Beobachter zulässt – die Zahlen deutlich untertreibt. So waren etwa auch bei der bisher letzten Sapad-Übung im Jahr 2013 nach Schätzungen aus dem Westen bis zu 70.000 Einsatzkräfte beteiligt.

Die fehlende Möglichkeit, die Intention hinter den Manövern durch eigenes Personal zu überprüfen, gibt Spekulationen Auftrieb: Sie reichen vom Verdacht, Russland könnte nach dem Ende der Manöver Material und Soldaten in Weißrussland zurücklassen, um so die militärische Einflusssphäre zu vergrößern, bis zu wilden Spekulationen, dass unter dem Deckmantel von Manövern in Wahrheit eine überraschende Invasion des Baltikums oder der Ukraine vorbereitet werde.

"Defensive Maßnahmen"

Beiden Gerüchten versuchten die stellvertretenden Verteidigungsminister Russlands und Weißrusslands, Alexander Fomin und Oleg Belokonew, am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Moskau entgegenzutreten. Es handle sich um defensive Maßnahmen; russische Truppen würden spätestens Ende September wieder in ihre Basen zurückkehren. Invasionen anderer Staaten seien "selbstverständlich nicht geplant".

Die Nato bleibt freilich misstrauisch. Der Kommandant der US-Truppen in Europa, Ben Hodges, hatte bereits vor einigen Wochen gewarnt: Sowohl die russische Annexion der Krim als auch der Krieg in Georgien hätten unter dem Deckmantel von Manövern in nahegelegenen Gebieten begonnen, sagte er. Die Allianz plant daher abschreckende Maßnahmen: Für die Dauer von Sapad sollen bis zu 600 zusätzliche Soldaten aus drei Luftlandeverbänden im Baltikum stationiert werden.

Zumindest das Szenario, das Moskau übt, ist diesmal weniger offensichtlich bedrohlich, als es dies 2009 war: Damals gipfelte Sapad in einem simulierten Atomschlag auf Warschau.(mesc, 29.8.2017)