Seit Jahrzehnten scheitern in Österreich Schulreformen an ideologischen Blockaden. Ja, man hat den Eindruck, dass große Reformen aus diesem Grund gar nicht mehr angegangen werden und man es lieber bei punktuellen Maßnahmen belässt: Pragmatik statt Vision. Kein Thema polarisiert dabei so sehr wie die Debatte um Gesamtschule versus Gymnasium. Während die eine Seite in der gemeinsamen Schule nicht selten die Lösung aller Probleme sah, konterte die andere Seite mit der Keule der Nivellierung nach unten, Stichwort "Eintopfschule". Eine sachliche Auseinandersetzung ist auch heute nicht in Sicht, im Gegenteil: Aus großkoalitionärer Rücksicht wurde das Unwort zuletzt vermieden.

Sind Gesamtschulen wirklich bessere Schulen, die Lösung für die Probleme in unserem Schulsystem? Die Antwort ist Nein, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Mit ganz wenigen Ausnahmen stellt in fast allen vergleichbaren Ländern die gemeinsame Schule den Normalfall dar, ebenso wie übrigens die bis vor kurzem ebenso vehement bekämpfte Ganztagsschule, für die es im Englischen nicht einmal ein Wort gibt. Nur in Deutschland und Ungarn werden wie in Österreich die Kinder im Alter von zehn Jahren getrennt. Innerhalb des Gesamtschulspektrums gibt es also exzellente Schulsysteme auf der einen Seite und sehr schlechte auf der anderen Seite.

Das Argument, mit der gemeinsamen Schule würde sich das Niveau verschlechtern, lässt sich ebenso wenig aufrechterhalten wie andererseits die Behauptung, die Umstellung auf eine gemeinsame Schule würde das Niveau anheben. Es gibt auch keinen soliden wissenschaftlichen Befund dafür, dass die gemeinsame Schule per se bessere Ergebnisse erzielt. Dennoch ist die Verwirklichung der gemeinsamen Schule ein Ziel, das es auch in Österreich anzustreben gilt. Es sollte eine demokratische Selbstverständlichkeit sein, Kinder im frühen Alter von zehn Jahren nicht in vermeintlich bessere und schlechtere zu selektieren, in solche, die als für die höher angesehene Schulform würdig befunden werden, und solche, die nur in die zweitbeste weitergehen dürfen.

Was für eine Botschaft wird hier in diesem frühen Alter betroffenen Kindern mitgegeben? Von der persönlichen Ebene abgesehen, stellt diese Strategie vor allem im urbanen Bereich inzwischen ein massives Problem dar; die soziale Durchmischung vor allem an den städtischen Neuen Mittelschulen ist meist überhaupt nicht mehr gegeben. Und dass diese frühe Trennung vor allem diejenigen trifft, die ohnehin zu den sozial Benachteiligten gehören, stellt nicht nur eine große Ungerechtigkeit dar, sondern wird zunehmend zum gesellschaftspolitischen Problem.

Kinder, die mit zehn Jahren herkunftsbedingt noch Defizite mitschleppen, können diese bis zum Ende der Schulpflicht immer seltener ausgleichen, sei es, weil ihre Herkunftsfamilien sie dabei nicht unterstützen können, sei es, weil es den Schulen, die sie besuchen, an Ressourcen mangelt. Die Abschaffung der frühen Trennung würde nicht automatisch zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen, dazu brauchte es eine Reihe von Reformen im System, allem voran müsste die Qualität des Unterrichts stehen. Die Beibehaltung der frühen Trennung hingegen perpetuiert die Bildungsungerechtigkeit, die in Österreich ohnehin sehr stark ausgeprägt ist.

Wenn Monika Neumann an dieser Stelle (am 12./13. 8. 2017) argumentiert, auch Gesamtschulsysteme reproduzierten soziale Ungleichheiten, so ist ihr dabei ebenso beizupflichten wie bei der Tatsache, dass Aufstieg über Bildung in Österreich möglich ist, wie sie eindrucksvoll an ihrem eigenen Beispiel illustriert. Heute ist es erheblich leichter geworden, auch über den Weg der Berufsbildenden Höheren Schulen. Dennoch ist es problematisch, von Einzelfällen auf das Ganze zu schließen.

Einerseits wird von Neumann auch suggeriert, dass man es schaffen kann, wenn man nur will und sich anstrengt und einen die Eltern dabei unterstützen. Dass es zahlreiche Kinder gibt, deren Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu unterstützen, bleibt dabei ausgeblendet. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Zahl derer, die den Aufstieg über Bildung nicht schaffen oder überhaupt das System ohne Abschluss verlassen, dramatisch hoch ist. So erreichen etwa bei 25- bis 44-Jährigen 56 Prozent der Kinder aus Akademikerhaushalten einen Hochschulabschluss, aber nur sieben Prozent jener, deren Eltern höchstens Pflichtschulabschluss haben. Über Generationen hinweg hat es nur eine leichte Verbesserung der Mobilität gegeben.

Die soziale Herkunft entscheidet noch immer maßgeblich über die Zukunft. Nicht eine andere Erstsprache als Deutsch ist dabei entscheidend, sondern die Kombination von Herkunft aus bildungsfernem Milieu, ökonomisch schwachem Elternhaus und einer anderen Erstsprache. Dieser Mix ist es, der erhebliche Startnachteile mit sich bringt und sehr häufig dazu führt, dass solche Kinder den Weg in das Gymnasium nicht schaffen. So gesehen wäre die Abschaffung der Trennung mit zehn Jahren zwar keine Garantie für eine Qualitätsverbesserung unseres Schulsystems, aber eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit. (Heidi Schrodt, 1.9.2017)